Warum sich die Beziehung zwischen Kindern und Eltern durch einen Verlust verschlechtert
Trauer verändert Menschen. Klingt nach einer Floskel? Stimmt aber! Der Verlust eines geliebten Menschen beeinflusst jeden Einzelnen und auch die Beziehungen der Hinterbliebenen zueinander. Vor allem nach dem Verlust eines Elternteils, kann es dazukommen, dass sich die Beziehung zum verbleibenden Elternteil oder auch das gesamte Familienverhältnis verändert. In manchen Fällen verschlechtert sich die Beziehung oder der Kontakt bricht sogar gänzlich ab. Woran das liegt, erklären wir dir hier!
Distanzierung als normaler Entwicklungsprozess
Eine gewisse Distanzierung zwischen Eltern und jungen Erwachsenen ist ein natürlicher Prozess. Der Wunsch nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit prägt diese Entwicklungsphase und beeinflusst die familiären Beziehungen. Interessanterweise zeigen Studien, dass etwa 20% der Heranwachsenden sich von ihrem Vater distanzieren, während dies bei der Mutter nur bei etwa 9% der Fall ist.
Diese Distanzierung kann sich sowohl physisch als auch emotional ausdrücken. Während sich die physische Distanz in selteneren Besuchen oder Telefonaten zeigt, äußert sich die emotionale Distanz eher in einem abnehmenden Gefühl der Verbundenheit und dem Verlust gemeinsamer Gesprächsthemen.
Verlust als ungewollte absolute Distanzierung
Der Tod eines Elternteils stellt eine besonders extreme Form der Distanzierung dar – eine, die weder gewollt noch erwartet war. Diese absolute und unumkehrbare Trennung kann nicht nur schwer zu verarbeiten sein, sondern auch das Verhältnis zum verbliebenen Elternteil grundlegend verändern. Die daraus entstehende Entfremdung kann unterschiedlich ausgeprägt sein und verschiedene Zeitspannen umfassen.
Faktoren, die die Entfremdung beeinflussen
Das Ausmaß der Entfremdung nach einem Verlust wird von verschiedenen Faktoren bestimmt. Eine zuvor positive und unterstützende Familienbeziehung kann als Schutzfaktor wirken und macht eine starke Entfremdung weniger wahrscheinlich.
Vorbelastungen aus der Vergangenheit, wie etwa eine Scheidung oder das Hinzukommen eines Stiefelternteils, können hingegen das Risiko für eine Entfremdung erhöhen. Solche früheren Erfahrungen haben das Familiengefüge möglicherweise bereits einmal erschüttert und komplexer gemacht.
Der Umgang mit Entfremdung
Die Entfremdung nach dem Verlust eines Elternteils kann das Familiengefüge stark belasten. Jedes Familienmitglied braucht seinen eigenen Raum und seine eigene Zeit für die Trauerbewältigung. Der Versuch, ein besonders enges Familienverhältnis zu erzwingen, kann kontraproduktiv sein.
Verluste können Menschen grundlegend verändern. Diese Veränderungen können sich in neuen Ansichten, Meinungen oder Verhaltensweisen des verbliebenen Elternteils zeigen. Wenn das Kind diese Veränderungen nicht nachvollziehen oder akzeptieren kann, kann dies zu weiterer Distanzierung führen.
Unterstützung von außen
Als außenstehende Person kannst du in dieser Situation hilfreich sein:
- Biete dich als Gesprächspartner an, ohne zu drängen
- Zeige Verständnis für alle Beteiligten, ohne zu urteilen
- Respektiere die individuellen Gründe für das Verhalten der Trauernden
- Gib allen Beteiligten die Zeit, die sie brauchen
Hoffnung bei Kontaktverlust
Selbst wenn es zum vollständigen Kontaktverlust kommt, ist dies meist keine dauerhafte Situation. Die meisten erwachsenen Kinder entfernen sich nicht permanent vom verbliebenen Elternteil. Der Zeitpunkt der Wiederannäherung lässt sich zwar nicht vorhersagen, aber es ist wichtig, der sich zurückziehenden Person den nötigen Raum für ihre Trauer zu geben. Ein empathischer, wertschätzender Umgang ohne Druck ist dabei der beste Weg, die Beziehung langfristig zu erhalten.
Quellen
Arranz Becker, O., & Hank, K. (2022). Adult children’s estrangement from parents in Germany. Journal of Marriage and Family, 84, 347-360. https://doi.org/10.1111/jomf.12796.