Ulf

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Ich saß zuhause in meinem WG-Zimmer und war dabei, einen Antrag für meine Studienbeihilfe auszufüllen. Dafür benötigte ich die Sozialversicherungsnummer meines Papas, also wählte ich seine Telefonnummer, um nachzufragen. Niemand ging ans Telefon. Ich wählte noch einmal, da mein Papa immer gesagt hat, beim zweiten Mal klingelt das Handy dann laut, dann geht er ran. Er ging wieder nicht ran, stattdessen hörte ich eine andere männliche Stimme: „Landespolizeidirektion Steiermark, wer spricht da?“. Im ersten Moment dachte ich, mein Papa hätte mal wieder Mist gebaut, wäre mit der Polizei ins Diskutieren gekommen, Probleme mit dem Führerschein, was auch immer. „In welchem Bezug stehen sie?“. Mir wurde mulmig, gab es einen Unfall, in den er verwickelt war? War er im Krankhaus? Ist er wohl auf? „Sie sind die Tochter? Hmm, das ist jetzt unpassend, dass Sie anrufen, normalerweise kommen wir in solchen Fällen persönlich vorbei.“ Mir wird schlecht. Nein so schlimm kann es nicht sein, er hatte sicher einen Unfall und wird sich wieder aufrappeln, wie damals schon. „Ihr Vater ist heute gestorben“.

Was hast du in dem Moment gefühlt, als du es erfahren hast?

Meine Brust zieht sich krampfartig zusammen, ich bekomme keine Luft, Stiche in meinem Magen, eine unendliche Leere breitet sich in meinem Kopf aus. Ich rolle mit meinem Stuhl zurück, beuge mich vor, krümme mich zusammen, ringe nach Luft. In dem Moment legt sich ein Schalter in mir um, von „Manuell“ auf „Automatik“, nur in diesem Modus überlebe ich die drauffolgenden Monate. Ich musste sofort raus aus der Wohnung.

Ich saß unten vor dem Haus an einer stärker befahrenen Straße, es war unheimlich laut, mein Kopf brummte, ich hyperventilierte und hatte Atemnot. Nachdem ich meine Mutter nicht erreichte, rief ich meine Großeltern mütterlicherseits an, sie holten mich zu sich nach Hause. Meine Mutter und ihr Bruder kamen an dem Abend auch ins Haus meiner Großeltern. Ich informierte Papas Schwester und seine beste Freundin, danach betrank ich mich und weinte mich in den Armen meiner Mutter in den Schlaf.

Wie hast du die Zeit bis zur Bestattung erlebt?

Als alleinige Tochter ohne bestehender (Ehe)partnerin meines Vaters war ich vollkommen allein verantwortlich für alles, was nach seinem plötzlichem Tod kam. Die Todesnachricht überbringen, Organisation des Begräbnisses, Ausräumen der Wohnung, Notartermine, Nachlass, Abmelden aller Verträge, Konten und Fahrzeuge. Da war keine Zeit, um zu realisieren, was passiert ist, kein Platz für Trauer oder andere Gefühle.

Ich bin wie eine automatisierte Maschine von A nach B nach C gegangen und hatte täglich eine To-Do-Liste zu erledigen. Da die Obduktion und die anschließende Verbrennung sehr lange dauerten, wurde mein Vater erst 2 Monate nach seinem Tod begraben. Ich kann mich nur noch dunkel an diese Zeit erinnern.

Ich war wie von einem dichten Nebel umgeben, in Watte eingepackt, abgekapselt von meiner Umgebung, meine Welt hatte keine Farben mehr, alles war nur noch in Grautönen gezeichnet. Kalendereinträge von der Woche nach seinem Tod: Emotionslos, bedrückt, ständig wenig Luft zu Atmen, Schwere in der Brust, Erschöpfung, Leere, Hoffnungslosigkeit, sehr schwierig allein zu sein, Angst vor naher Zukunft, Überforderung, Einsamkeit, Verloren, Sinnlosigkeit weiterzumachen.

Wie hast du den Tag der Bestattung in Erinnerung?

Mein Papa wurde verbrannt, seine Urne wurde in einer Friedhofswiese in meiner Heimatstadt begraben. Aufgrund der geltenden Coronamaßnahmen durften nur 50 Personen am Begräbnis teilnehmen, ich habe also sehr bedacht eingeladen – Familie, engste FreundInnen von meinem Papa und meinen eigenen Freundeskreis.

Den ganzen Tag konnte ich nicht fassen, dass das wirklich passiert, dass alle Menschen da sind, um sich von meinem Papa zu verabschieden, von meinem Papa, der tot ist. Meine Mama, mein Partner und meine FreundInnen waren mir eine große Stütze an diesem Tag. Das Begräbnis war schön, ich habe eine sehr ehrliche Rede über meinen Papa gehalten, ein paar Menschen konnte ich damit ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Zum Abschluss eins seiner Lieblingslieder „Don’t Worry, Be Happy“, die Urne wurde in das Erdloch gelassen, die Leute umarmten mich, weinten, bedankten sich für die schöne Verabschiedung. Am Abend haben wir im Park zusammen gesessen, miteinander geredet, getanzt und den Tag gefeiert – hätte er uns zu gesehen, er hätte sich so gefreut.

Da mein Papa so plötzlich verstorben ist, konnte ich mich in keiner Weise von ihm verabschieden, auch das Begräbnis war kein Abschied für mich. Es war nur der Abschluss vom größten Teil der harten Arbeit, die ich nach seinem Tod erledigten musste, ich spürte das erste Mal nach zwei Monaten sowas wie Erleichterung. Ein erstes Gefühl von Abschied kam viel später.

Wie hat sich die Trauer angefühlt?

In den ersten Monaten nach dem Tod meines Papas hatte ich ein sehr drückendes Gefühl in der Brust, Atemnot, Schlafstörungen, selbstverletztendes Verhalten, überwältigende Ängste, Panikattacken. Ich war ständig unter Menschen und konnte nicht allein sein, gleichzeitig fühlte ich mich so oft fehl am Platz und war überfordert mit den sozialen Interaktionen.

Ich griff zu oft und zu viel zum Alkohol um meine Nerven zu beruhigen, anfangs in der Gruppe, später auch allein. Ich meldete mich von allen Lehrveranstaltungen mit Anwesenheitspflicht an meiner Universität ab, bei wenigen Online Kursen und Prüfungen versuchte ich dran zu bleiben. Ich war schon vor Papas Tod in einer Gruppentherapie, aus dieser musste ich austreten – der Vergleich zwischen meiner Lebenssituation und der von den anderen Teilnehmerinnen war für mich nicht auszuhalten.

Ich wechselte in eine wöchentliche Einzeltherapie, die mir half herauszufinden mit wem und wie ich meine Zeit verbringen möchte, Angstzustände in den Griff zu bekommen, Taktiken gegen das selbstverletzende Verhalten zu erlernen. Meine Familie und FreundInnen standen hinter mir, versuchten mich abzulenken und zu unterstützen, trotzdem fehlte mir ein Geschwisterkind oder ein Mensch, der meinem Papa so nahe stand wie ich es tat, ein Mensch mit dem ich mich austauschen könnte.

Hast du etwas Bestimmtes unternommen, was dir in deiner Trauer geholfen hat?

Ich fühlte mich nicht verstanden von meinem Umfeld, ich war allein mit meinem Schmerz. Also suchte ich nach einer Trauergruppe. Nachdem ich keine passende gefunden hatte, stellte ich mithilfe eines Vereins eine eigene Trauergruppe für junge Erwachsene auf die Beine. Die Gruppe gibt es bis heute – hier fühle ich mich verstanden, ich kann alle meine Gedanken, Gefühle und den Schmerz teilen.

Wir hören zu und versuchen uns zu unterstützen, wir erzählen von unseren Erfahrungen und wie man mit den unterschiedlichsten Situationen gelernt hat umzugehen. Wir begleiten uns gegenseitig durch die Höhen und Tiefen der Trauer.

Weiter sittete ich regelmäßig Hunde und half wöchentlich auf einem Hundegnadenhof aus – die wärmende Nähe der Hunde, ihre Zuneigung und ihre Lebensfreude brachten mir die ersten Farbtupfer in mein graues Leben zurück.

Gab es bestimmte Lichtblicke für dich in dieser Zeit?

Von meinem Papa erbte ich einen uralten Campingbus, den ich herrichtete und einige Ausflüge und Reisen unternahm – das waren wunderschöne Zeiten und Erinnerungen, für die ich sehr dankbar bin.

Mein Papa war zudem viele Jahre Tauchlehrer in Ägypten, er hat mir das Tauchen beigebracht und mir das Meer näher gebracht. Heute besuche ich jährlich seine „Familie“ in Ägypten, nehme FreundInnen und Familienangehörige mit und teile die Welt des Tauchens mit ihnen.

Bei diesen Reisen bin ich mit Wärme und Dankbarkeit erfüllt, es sind für mich die schönsten Zeiten seit seinem Tod. Vielleicht werde ich auch in seine Fußstapfen treten und eine Tauchlehrerausbildung machen.

Gab es emotionale Rückschläge?

Die ersten sehr harten Rückschläge waren mein eigener erster Geburtstag ohne ihn, sein Geburtstag, der erste und der zweite Todestag. Diese Tage zeigen einem wie schnell die Zeit vergeht, dass die Erde sich einfach weiter dreht und das Leben keine Rücksicht auf dein Leid nimmt.

An diesen Tag habe ich immer einen Hund an meiner Seite, ich schreibe eine Nachricht an meinen Papa in mein Fotoalbum und organisiere ein Treffen seiner und meiner FreundInnen und wir stoßen auf ihn an.

Würdest du sagen, dass die Trauer verschwunden ist oder dass sie immer noch ein Teil deines Lebens ist?

Das Schwierige mit der Trauer: Sie kommt bei mir immer und immer und immer und immer wieder mit voller Wucht, jedes Mal mit derselben Intensität wie kurz nach seinem Tod. Ich glaube die Trauer wird nie verschwinden, sie wird wahrscheinlich von anderen Schicksalsschlägen im Leben – gute als auch schlechte – übertrumpft und dadurch in den Hintergrund wandern.

Ich stelle mir oft noch Fragen, auf die es keine Antwort gibt. Da das Verhältnis meines Papas zu seiner Familie sehr schlecht war und meine Eltern schon ewig getrennt waren, trage ich die Trauer mit mir alleine herum und kann sie nicht wirklich mit jemandem teilen, das macht mir das Leben oft sehr schwer. Ich kann mit dem Gefühl der Ungerechtigkeit nicht umgehen, ich fühle mich oft allein mit allem, ich fällt mir immer noch unheimlich schwer das Thema selbst anzusprechen.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Was die Trauer aushaltbarer gemacht hat, sind die Zeitabstände zwischen den dunklen Zeiten – diese werden länger und die Höhen werden immer höher, ich kann die Glücksmomente wieder an mich ranlassen, sie dankbar annehmen und erleben. Ich habe den Fokus leider sehr spät erst auf mich selbst gerichtet – anfangs musste ich sehr viel erledigen, dann hatte ich das Gefühl wieder funktionieren zu müssen.

Ich habe mir zu wenig Zeit für mich genommen, bis heute trage ich den Wunsch in mir mich für 2-3 Wochen vollkommen allein zurückzuziehen auf eine Almhütte oder ans Meer. Irgendwann habe ich mich dann viel mit meiner Kindheit und Jugend auseinandergesetzt und sie versucht zu verarbeitet, ich hab meine Gegenwart reflektiert und mir viele Gedanken darüber gemacht, wer ich sein möchte, wen ich um mich haben möchte und was mich glücklich macht im Leben.

Hast du einen Rat für jemanden, der gerade eine ähnliche Situation durchlebt?

Der plötzliche Verlust meines Papas hat mir aufgezeigt, wie vergänglich wir alle sind und wie wichtig es ist, das Leben jeden Tag neu zu gestalten, es wertzuschätzen und dankbar zu sein. Ich habe einige FreundInnen im Trauerprozess verloren, weil sie sich abgewandt haben, mir nicht geholfen haben oder überfordert waren. Dafür sind andere Beziehungen viel enger, intimer, offener und ehrlicher geworden.

Heute lebe ich viel bewusster, nehme mir mehr Zeit für mich selbst und achte besser auf meine Bedürfnisse. Ich bin achtsamer und dankbarer für die Menschen, Dinge und Hobbys, die ich habe.

Enwa

Storytelling Parents

Wie hast du die Zeit erlebt, in der du wusstest, dass sie sterben wird?

Ich habe meine Mutter nicht nur die letzten 5 Monate ihres Lebens fast täglich besucht, sondern 4 Jahre jeden Tag auf diesem Weg, den sie nie wirklich akzeptieren wollte, begleitet – einige Silvester, Jahresübergänge und Skiurlaube ohne sie verbracht, und auch davor schon. Sie konnte einfach nicht mehr, aber manche Traditionen wurden dennoch auch auf anderen Wegen weitergeführt. Die Zeit bis zum Tod waren mit sehr vielen Besuchen verbunden, mit Geschichten vorlesen und erzählen. Darin war mein Vater um einiges besser als ich. Ich habe die Zeit einfach genutzt, da zu sein und Zeit zu haben (auch, wenn es schwer war und sich daran zurückzuerinnern immer wieder schwer ist). Der Tod stand nie im Vordergrund. Es gab nie das Ende, bis auf die letzten Wochen davor, wo es einfach nur noch ein Warten war.

Wie hast du sie in den letzten Stunden vor ihrem Tod begleitet?

Am Todestag selbst hatte ich Schule. Es war die erste Schulwoche nach den Ferien – eine neue Klasse, einige Altbekannte und sehr gute Freunde. Ich wollte nicht so viel verpassen und wollte nicht einfach fehlen. Und da wir vorher schon einen Zeitraum wussten, wann die Herzmaschine ausgestellt werden sollte, war das der einfachste Weg nicht zu viel darüber nachzudenken. In der großen Pause bin ich gegangen. Die ganze Familie traf sich und jeder hatte nochmal ein bisschen Zeit, sie zu besuchen und um Abschied zu nehmen.

Es war seltsam auf etwas zu warten, weil man wusste, dass es passiert und trotzdem surreal, als es auf einmal da war. Als es dann so weit war, sollte ich nicht mehr ins Zimmer rein. Ich wollte eigentlich, aber auch so war es schlimm genug. Ich habe draußen vor dem Zimmer mit meinem Opa gewartet. Er hat mir eine Geschichte vom kleinen Prinzen und dem Fuchs erzählt und über das Geben und Zurückgeben. Auch wenn ich sie nicht mehr zusammenbekomme, hat die Botschaft dahinter gezählt.

Entchen und Waldo, ein Stoffentchen und ein Bernhardinerstoffhund, je handgroß, haben immer die Geräte überwacht und bis zum Ende alles kontrolliert. Alle meine Stofftiere haben Namen, also brauchten die beiden auch einen. „Waldo und der Oberförster“ war das Lieblingspixiebuch meiner Mom und der Hund sah genauso aus. Und Entchen erklärt sich selbst. Stille. Piep. Piep. Piep. Das rote Alarmlicht leuchtet auf. Ein kurzer Schockmoment. Geht etwas schief? Doch was soll eigentlich schief gehen? Kurz später warteten wir dann (die Ärzte meinten, es könne Stunden und Tage dauern) und irgendwann ist es dann passiert. Stille. Kein Piepen mehr, kein monotoner Beat. Nichts.

Wie hast du die Zeit bis zur Bestattung erlebt?

Zwischen dem Todestag und der Bestattung lag eine Woche. Da wir es vorher wussten, war alles irgendwie schon geregelt und geplant. Einige letzte Dinge mussten noch organisiert werden, aber im Großen und Ganzen war es vorher schon vereinbart, wie es abläuft. Eine Woche später… In der Schule war ich in Gedanken woanders. Ich habe nicht komplett teilgenommen. Ich habe aber auch nicht gesagt, was los ist. Ich wollte einfach nur, dass es weitergeht.

Dienstag, 4 Tage später… In der Mittagspause gehe ich nach Hause. Ich habe Nachmittagsunterricht, aber das ist mir egal. Ich kann nicht mehr. Ich habe Hunger und mir ist schlecht. Es ist der Tag, an dem meine Klasse es erfährt – wie als hätte ich es gewusst. Ich hätte es gerne selbst gesagt oder miterlebt, aber ich weiß auch, dass es besser war, nicht anwesend zu sein. Ich habe von einer Freundin, die es vorher schon wusste, die Stimmung und Reaktionen bekommen. Ich hätte es gern miterlebt. Und doch ist es besser so.

Es war seltsam, die Tage danach in die Schule zu gehen und zu wissen, dass die anderen es wissen, auch wenn sie es lange nicht ganz wissen und nur einen Bruchteil des Ganzen. Ich wollte Normalität und die bekam ich größtenteils. Immer noch die Woche. Sie neigt sich dem Ende zu. Meine Abwesenheit ist nicht unbemerkt, aber auch verständlich. Ich gehe in der ersten Pause. Ein Klassenkamerad fragt, wieso. Es ist feige gewesen und ich würde es gern ändern, aber so 6 Jahre später auch etwas komisch, vor allem, weil es mittlerweile eh vergangen ist, aber ich konnte den Grund nicht sagen. Ich war nicht bereit dazu und habe einfach nur gesagt, dass es so ist. Er weiß wieso und trotzdem fühlt es sich falsch an, dass ich es nicht einfach sagen konnte.

Wie hast du den Tag der Bestattung in Erinnerung?

Es war der Tag der Beerdigung. Ich hatte anderes im Kopf als auch noch zu sagen, wieso ich gehen musste. Es war sonnig. Es gab einen Gottesdienst und einige Lieder, die sich meine Mom gewünscht hat. Anschließend gab es noch ein Beisammensein mit Kuchen. Es war ein komischer Tag und trotzdem sehr schön.

Abends hat es dann geregnet und es gab über dem Haus einen Regenbogen, gerade als wir dann nach Hause kamen. Eine Bestattung, welcher Art auch immer, gehört dazu und bildet einen Abschluss. Es war sehr emotional und ich hab es leid, dass alle sagen, dass es ihnen Leid tut. Denn auch, wenn es nicht einfach ist, weiß und wusste ich, dass es besser so ist.

Einige Tage später war im familiären Kreis die Beisetzung auf dem Friedhof. Es ist nicht einfach, an diesen Ort zu gehen und doch immer wieder schön. Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass die Verstorbene sich ihren Platz vorher selbst ausgesucht hat und eigentlich diesen Weg mit der Planung vorher, in der Nacht, in der sich alles änderte, bevor eine lange Zeit begann, bereits beschritten hatte.

Wie hast du die Zeit nach der Beerdigung wahrgenommen?

Die ersten 12 Monate danach… Das Leben geht weiter. Ein neuer Alltag beginnt und doch wird der alte fortgeführt. Man hatte knapp 5 Monate Zeit sich darauf vorzubereiten und doch ist es anders, wenn es dann endgültig so ist. Es musste sich neu einspielen und doch ging es weiter wie davor. Für mich war der Tag, an dem es passiert ist, wie eine Hölle. Ein Fluch, der nicht enden wollte. Es war seltsam, als diese Höllentage weniger wurden und dass sie nur noch punktuell auftreten, aber es ist auch schön.

Was hat dir in deiner Trauer geholfen?

Mir hat es geholfen, jeden Tag kleine Briefe zu schreiben und einfach von meinem Tag zu erzählen, aber genauso, einfach alleine zu sein. Trauer hat sich mit der Zeit gewandelt. Die Todestage haben sich gewandelt und jeder einzelne ist individuell verschieden. Himmel und Hölle zugleich. Trauer ist ein Prozess. Ähnlich wie Depressionen und doch komplett gegenteilig. Man entwickelt sich mit und lernt. Es gibt nie das Alter, in dem man bereit dafür ist, aber man lernt mit der Zeit, damit umzugehen.

Mir haben zudem kreative Trauergruppen mit anderen jugendlichen Trauernden geholfen. Ohne Worte, einfach kreativ austoben. Dann zunehmend Stück für Stück erzählen können, was passiert ist bis hin zu dem Punkt, dass man es erzählt, weil es wie die eigenen Narben ein Teil der Geschichte ist. Ich bin froh, es teilen zu dürfen, da es Teil des Verarbeitens ist und gleichzeitig die Angst nimmt, es zu vergessen je weiter die Zeit vergeht.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Doch eins weiß ich auch fast 6 Jahre später. Das Leben geht weiter und mit ihm die Trauer und endlose Verbindung. Und so stark auch andere Tage wiegen und der Ablenkung dienen, dieses Erlebnis wird immer präsent bleiben und nicht mit der Zeit vergehen, sondern jedes Jahr aufs Neue an gleicher Stelle stellen.

Die Angst des Vergessens gehört dazu, doch sie wird ersetzt durch das Erinnern. Gemeinsam statt einsam. Entchen und Waldo haben mich immer begleitet und mir zugehört. Sie haben mir geholfen, erst mal selbst es zu verarbeiten und ein kleines Zeichen von „ich bin da“ zu senden.

Wie waren die Reaktionen aus deinem Umfeld?

Meine Freunde und Klassenkameraden haben geholfen, da sie den Wunsch nach Normalität respektiert haben und trotz des Wissens es nicht in den Vordergrund gestellt haben. Mittlerweile kann ich zwar sagen, dass es den Freundeskreis davor und den danach gibt, aber es gibt auch ein paar wenige, die beide Seiten und Zeiten kennen, auch wenn sich so manche Wege trennen und getrennt haben. Nicht zwingend dadurch, aber sicherlich auch.

Die ganze Klasse hat eine Karte geschrieben, es gab einige stille Umarmungen und Zeichen von „wir sind da“, aber das Wichtigste war mir, einfach weiterzumachen wie davor und keinen Unterschied zu machen und ich bin sehr dankbar, dass dieser Weg meistens so geklappt hat.

Hast du auch Reaktionen von deinen Mitmenschen erlebt, die dich verletzt haben?

Ich habe auch manche Situationen mit unpassenden Bemerkungen gehabt, eine von meiner Pfarrerin, die selbst Seelsorgerin ist und irgendwo den Prozess durch meine Konfirmandenzeit kannte. Ich weiß, wie es gemeint war, aber sie kann nicht erwarten, dass ich 30 teils fremden Leuten einfach meine Geschichte erzähle, damit sie anfangen, etwas zu machen und ihren Glauben festigen.

Ich muss dazu sagen, dass ich seither nicht mehr so regelmäßig und oft in die Kirche gegangen bin, auch wenn ich nie streng gläubig war oder so, einfach, damit ich sie nicht mehr sehen musste. Mittlerweile sind neue Pfarrer da und ich bin auch darüber hinweg, aber vor allem, weil es am zweiten Todestag war, war das ziemlich unangebracht, dieses Ereignis zu neutralisieren und darüber hinwegzusehen. Und so gibt es nicht nur im Glauben und der Kirche immer wieder Momente der Rückschläge, Verletzbarkeit und der Trauer, sondern auch so im Alltag. Meistens, wenn irgendetwas einen daran erinnert oder man etwas damit verbindet.

Würdest du sagen, dass die Trauer verschwunden ist oder dass sie immer noch ein Teil deines Lebens ist?

Heute, 5 Jahre und 298 Tage später (zum Zeitpunkt, wenn ich das schreibe), kann ich sagen, dass es nie leichter, nur anders wird. Dass es Momente gibt, die bleiben, auch wenn Jahre vergehen und dass es die Erinnerungen an diese geliebten Menschen sind, die uns den Schmerz verspüren lassen.

Doch wenn ich eins sagen kann, dann, dass ich an diesem Weg gewachsen bin und schon viel gelernt habe und dies ein niemals endender Prozess sein wird. Kleines Eichhörnchen, bitte hör nie auf mich zu besuchen, denn du bist so viel stärker als du denkst und so viel mehr als du glaubst, auch wenn die Trauer manchmal meine Kraft raubt. Trauer verschwindet nie, sie verändert und entwickelt sich und doch bleibt sie ein Bestandteil, der niemals verschwinden wird.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Lerne, mit der Trauer umzugehen und sie zu teilen, denn gemeinsam trägt sie sich leichter. Erinnere dich an die schönen, gemeinsamen Momente und lebe für diese Person(en) weiter, denn sie würden nicht wollen, dass du dich in einer Höhle versteckst, während draußen das Leben wartet. Habt andere Leute um euch, die euch zuhören, auch wenn ihr einfach nur schweigt. Ihr seid mit eurer Trauer nie allein, doch mit dem Leben auch nicht. Daher gibt es und wird es immer wieder Rückschläge geben, Tage, an denen die Trauer stärker und präsenter ist, doch das ist kein Grund, das Leben nicht zu leben und erleben. Sei glücklich alle Tage lang!

Hans-Peter

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Mein Vater ist an einem frühlingshaften Sonntag im März 2012 gestorben. Es war der Tag vor meinem Abitur. Ich war an dem Morgen mit meiner Mutter im Gottesdienst, meine jüngere Schwester ist zuhause geblieben und mein Vater war mit ein paar Freunden hobbymäßig Fußball spielen. Mein Vater war sportlich, Nichtraucher, hat nie getrunken, war gerade mal 52 Jahre alt und hat doch plötzlich beim Fußballspielen einen Herzinfarkt erlitten.

Ein Mitspieler hat ihn noch beatmet bis die Notärztin kam. Über eine Nachbarin, dessen Mann in derselben Mannschaft gespielt hat, hat meine Schwester als Erste von dem Unglück erfahren. Sie ist direkt zum Sportplatz gefahren, wo sie leider gesehen hat, wie mein Vater mit dem Defibrillator behandelt wurde. Nach dem Gottesdienst konnten meine Mutter und ich auch endlich erreicht werden (wer uns angerufen hat, weiß ich nicht mehr) und wir sind sofort zum Unfallort gefahren.

Mein Vater war bereits im Krankenwagen eingeladen und die Notärztin sagte uns zur Beruhigung noch, dass er eine 70 prozentige Überlebenschance hat. Meine Mutter ist mit ins Krankenhaus gefahren, meine Schwester zu einer Freundin und zu mir kam mein damaliger Freund. Es vergingen ein paar Stunden bis eine Nachbarin (nicht die oben erwähnte, sondern eine andere, die zum Glück auch Sozialarbeiterin ist) zu uns herüberkam, um uns mitzuteilen, dass mein Vater im Krankenhaus gestorben ist, dass die Ärzt:innen nichts mehr für ihn tun konnten.

Meine Mutter hatte es nicht über sich gebracht, uns angerufen und daher die Nachbarin informiert. Diese hat uns daraufhin auch ins Krankenhaus gefahren, wo bereits meine Mutter, gute Freunde meiner Eltern und der Krankenhausseelsorger auf uns gewartet haben. Nach einem Gespräch mit dem Pfarrer durften wir nochmal zu meinem Vater. Eine Krankenpflegerin hat mich und meinen damaligen Freund zu der Leiche begleitet. Ich weiß noch, dass ich die Krankenpflegerin ganz entsetzt gefragt habe, ob sie es nicht schrecklich findet, in ihrem Beruf so viele Familiendramen und Tode mitzubekommen. Sie musste damals auch fast weinen.

Das Gesicht meines Vaters war bereits leicht aufgedunsen und etwas gelblich, aber ansonsten war es nicht so schlimm ihn tot zu sehen. Ein paar Tage später im Beerdigungsinstitut wollte ich ihn aber nicht mehr sehen, da ich Angst hatte, dass er bereits zu entstellt war.

Was hat euch an diesen schweren Tagen geholfen?

Der restliche Tag nach dem Tod meines Vaters war total verrückt. Obwohl es das schlimmste Erlebnis in meinem Leben war, war der Tag nach seinem Tod auf komische Weise auch schön: Auf einmal saßen alle Nachbar:innen bei uns im Esszimmer, die es sonst nie schaffen sich alle gemeinsam zu treffen, haben Kerzen für uns angezündet und für uns Essen gemacht.

Tagelang standen plötzlich Suppentöpfe und Süßigkeiten vor der Tür. Eine Nachbarin hat mich zu meiner besten Freundin ein paar Straßen weiter gebracht, damit ich ihr auch die schrecklichen Neuigkeiten überbringen konnte. Später am Tag musste ich meinen Schuldirektor anrufen, um ihm vom Todesfall zu berichten und um ihm zu sagen, dass ich vermutlich das Abitur nicht mitschreiben kann. Er kannte meinen Vater auch persönlich und war daher sehr betroffen.

Glücklicherweise hat er mit geraten, dass Abitur regulär mitzuschreiben, auch wenn es hart werden könnte. Er meinte, dass ich jetzt noch unter Schock stehe und daher das Abitur vermutlich besser verkraften würde als in ein paar Wochen, wenn ich alles realisiert habe. Damit hatte er zum Glück Recht – ich habe mein Abitur in völliger Trance geschrieben, aber es wurde trotzdem ziemlich gut und ich war froh, alle vier Prüfungen vor der Bestattung fertig zu haben.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Genau in der Woche zwischen Papas Tod und seiner Bestattung habe ich meine Abiturprüfungen geschrieben. Als ich Montagmorgen zur ersten Prüfung kam, haben mich der stellvertretende Direktor und meine Deutschlehrerin vor allen Leuten umarmt. Als ich auf Toilette war, hat dieselbe Lehrerin meiner Klasse gesagt, dass mein Vater am Tag davor gestorben ist. Da aber bereits Redeverbot war, als ich wieder hereinkam, konnte ich nur sehen, wie mich alle angeschaut haben.

Meinen Freundinnen aus den anderen Klassen hatte ich noch nichts gesagt, da ich nicht wollte, dass sie ebenfalls beim Abitur abgelenkt sind. Eine Lehrerin hatte uns zur Motivation während der Klausur Schokolade auf den Tisch gelegt. Ich habe als Einzige ein Stück mehr bekommen. Generell waren es oft kleine Dinge oder Gesten, an denen ich gemerkt habe, dass die Menschen an einen denken und mittrauern.

Nach den Prüfungen hat mich mein damaliger Freund (er war auf der Nachbarschule) abgeholt. Wir kamen an vielen feiernden Abiturient:innen vorbei, die er aus Solidarität mit mir aber auch hat links liegen lassen. Uns war einfach nicht zum Feiern zu Mute. In derselben Woche kam mein Onkel aus Stuttgart angereist und hat eine Woche lang für uns gekocht und die Beerdigung mit meiner Mutter, seiner Schwester, geplant. Der Vater meines Vaters hat außerdem den Sarg und die Blumen mitausgesucht. Für ihn war der Tod meines Vaters mit am schlimmsten. Er sagte immerzu: „Es hätte doch mich treffen sollen“.

Hast du dich an der Organisation der Bestattung beteiligt?

Nach meinen Prüfungen habe ich nachmittags mit meiner Mutter die Trauerkarten frankiert und mit Adressen beschriftet. Sie hatte einen sehr schönen Text geschrieben und die ganze Karte mit dem Beerdigungsinstitut entworfen. Da mein Vater Albert Schweitzer mochte, stand auf der Karte: „Das einzig wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen“. Generell waren wir alle sehr froh über das Beerdigungsinstitut. Es hat bei der kompletten Organisation geholfen, die Beerdigung koordiniert, das Kondolenzbuch besorgt, Fotos von meinem Vater gesammelt und ihn sehr schön aufgebahrt, sodass auch noch Freund:innen ihn sehen konnten.

Das Beerdigungsinstitut hat mir und meiner Schwester ein kleines Holzherz geschenkt, das mich immer an Papas Sarg erinnert. Meine Mutter hatte einen sehr schnittigen Holzsarg gewählt, um seiner Sportliebe zu gedenken. Zur Vorbereitung der Beerdigung haben meine Schwester und ich uns öfter mit unserer Pfarrerin getroffen. Wir durften die Lieder wählen und ein Gedicht, das wir bei der Beerdigung gemeinsam vorgetragen haben. Einige Monate später, als die Erde über dem Sarg genug abgesackt war und der Grabstein gesetzt werden konnte, durften wir auch diesen mitgestalten. Meine Mutter und Schwester haben ihn mit dem Steinmetz behauen und ich habe die Schrift ausgewählt.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Mein Vater wurde in der katholischen Kirche bei uns in der Straße von einer evangelischen Pfarrerin beerdigt. Es war uns wichtig, dass er auf dem kleinen Friedhof mit Bergblick bei uns um die Ecke liegen kann. Sein Grab hat meine Mutter so gewählt, dass man genau auf das Kirchenportal schauen kann.

Zur Beerdigung kamen sehr viele Menschen, da mein Vater erstens noch jung war und zweitens beim Radio gearbeitet hat, wodurch er viele Menschen kannte. Sogar der Oberbürgermeister hat einen Blumenkranz geschickt. Wir saßen als Familie in der ersten Reihe, sodass ich erst nach der Trauerfeier gesehen habe, dass vor dem Kirchenportal auf dem Friedhof noch viel mehr Menschen standen.

Ein Kollege meines Vaters hat eine sehr schöne Rede über meinen Vater gehalten. Ich habe für mein Leben aber daraus mitgenommen, dass man Menschen viel häufiger schöne Dinge sagen sollte während sie leben und nicht erst wenn sie tot sind. Meine Patentante hat mir fast während des gesamten Gottesdiensts ihre warme Hand zwischen meine Schulterblätter gelegt, was sehr beruhigend war.

Das Kondolieren vor dem Grab hat über eine Stunde gedauert. Es war schön, dass so viele Leute da waren, aber ich weiß nicht mehr, was sie uns alle gesagt haben. Da ich nicht ganz in schwarz kommen wollte, hatte ich einen roten Samtmantel an, den mir mein Vater in Frankreich in einem Secondhand-Laden gekauft hatte. In der Zeit danach hatte ich auch oft die alte Lederjacke von ihm an, um ihn bei mir zu haben.

Wie ging es nach der Bestattung weiter?

Nach der Beerdigung sind wir in einer kleineren Runde essen gegangen. Die Tage davor hatte ich mit meiner Mutter die Location und das Essen ausgesucht. Eine meiner Freudinnen hat mir eine Kette aus Gänseblümchen von der Wiese vor dem Lokal gebastelt, die ich noch lange in meinem Zimmer hängen hatte. Bei vielen Verwandten und Freunden habe ich mich einfach gefreut sie mal wieder zu sehen, auch wenn der Anlass dafür denkbar schlecht war.

Bei der Beerdigungsfeier (Leichenschmaus klingt immer so makaber) hat meine Mutter die Eltern meines damaligen Freundes kennengelernt. Zwischen meiner und seiner Mutter ist durch Gespräche über Trauer, Tod und Glaube sehr rasch eine sehr intensive Freundschaft geworden, die bis heute anhält. Etwas kitschige Sätze wie „Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere“ können also wirklich wahr werden. Generell glaube ich, dass man sich nach so einem Schicksalsschlag darauf einstellen muss, dass vorhandene Freund:innen nicht mit der Situation umgehen können, aber dadurch plötzlich ganz andere Menschen und Dinge ins Leben treten, die es sehr bereichern können.

Ich erinnere mich insgesamt sehr positiv an die Beerdigung und gehe auch immer noch gerne zu Papas Grab (in dem mittlerweile auch sein Vater liegt), auch wenn ich von einigen Trauernden weiß, dass diese Rituale für sie keineswegs hilfreich sind.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Die Zeit nach dem Tod meines Vaters war sehr seltsam für mich. Sein Tod ist quasi mit dem Ende meiner Schulzeit zusammengefallen. Die Frage „und was machst du nach dem Abitur?“ hat natürlich auch vor mir keinen Halt gemacht. Vor Papas Tod hatte ich den Plan direkt studieren zu gehen, habe mich dann aber entschieden noch ein Jahr bei meiner Mutter und meiner Schwester zu bleiben. Ich habe viel Zeit damit verbracht, noch spontan einen FSJ-Platz (freiwilliges soziales Jahr) zu bekommen.

Direkt nach dem Abitur (Ende März) habe ich bis zum Sommer ansonsten alles so gemacht, wie es bereits geplant war: Zu Freunden nach Frankreich fahren, mit Freunden in den Urlaub fahren, das Zeltlager leiten, den Abiball hinter mich bringen. Bei all den Aktivitäten habe ich gemerkt, dass es vielen Leuten schwergefallen ist, mich auf Papas Tod anzusprechen. Ich selbst wollte auch nicht immer damit anfangen, um den Leuten die gute Laune nicht zu verderben. Ich habe von vielen gehört, dass „sie mich mal ablenken wollen“. Aber das funktioniert nicht.

Natürlich gab es auch lustige Tage für mich und ich habe noch andere Dinge außer trauern getan, aber ich habe trotzdem pausenlos an meinen Vater gedacht. Mir wäre es lieber gewesen, wenn mich Leute zu schönen Aktivitäten mitgenommen hätten und mich trotzdem auf Papas Tod angesprochen hätten. Das Sprechen darüber hätte manche Momente für mich eher leichter gemacht, als das Schweigen auszuhalten. Auch Sätze wie „du kannst dich jederzeit melden, ich bin immer da für dich“ sind nett gemeint, haben mir aber nicht sehr geholfen. Wenn es einem so grundlegend schlecht geht, wie nach einem Tod muss man schon sehr kommunikativ bewandert sein, um so gezielt Bedürfnisse an andere richten zu können. Mit 17 Jahren konnte ich das auf jeden Fall nicht und ich denke, dass es einem auch in höherem Alter in solchen Situationen schwerfällt, sich so bewusst an andere zu wenden.

Oft ist es ja auch mehr eine Traurigkeit, die über allem schwebt, als eine konkrete Sache, mit der man sich an jemanden wenden kann. Mir hat es immer mehr geholfen, wenn Menschen von sich aus auf mich zugekommen sind und einfach mitangepackt haben oder mich zum Reden aufgefordert haben. Ich fand es z.B. auch hilfreich von anderen Menschen zu hören, dass sie ebenfalls jung einen Elternteil verloren haben. Sie kamen mir auf einmal viel menschlicher vor und waren keine unnahbaren Erwachsenen mehr, sondern irgendwie Gleichgesinnte. Außerdem habe ich gesehen, dass sie trotzdem ein schönes Leben hatten und sie die frühe Erfahrung des Todes stark und lebensnah gemacht hatte.

Wie ist deine Familie mit der Trauer umgegangen?

Meine Schwester fand es gar nicht hilfreich, solche Geschichten zu hören, da sie oft das Gefühl hatte, dass dann nicht auf das eigene Schicksal eingegangen wird.

Generell sind alle in unserer Familie anders mit Papas Tod umgegangen und haben anders getrauert. Ich denke, es gibt daher kein allgemeingültiges Rezept, wie man so einen Schmerz verarbeitet und auch für Umstehende gibt es keine Anleitung, was man am besten zu Trauernden sagt. Was sich aber, glaube ich, die Allermeisten nach einem Verlust wünschen, ist darauf angesprochen zu werden und ernstgenommen zu werden, dass es auch Jahre später noch weh tun kann.

Gab es etwas, was dir in dieser schweren Zeit geholfen hat?

Nach der Bestattung war ich einige Male bei der Trauerbegleiterin des Beerdigungsinstituts, die mir etwas sehr Schönes gesagt hat: Sie meinte, dass ich mir Trauer wie eine innere Verletzung vorstellen soll. Da diese Verletzung nicht so sichtbar ist, wie ein gebrochener Fuß in einem Gips, ist es schwerer für andere sie zu sehen. Sie ist aber trotzdem da und man muss diese Verletzung gesund pflegen, genauso wie man es mit einem gebrochenen Fuß tun würde. Tatsächlich habe ich durch Papas Tod gemerkt, dass sich eine seelische Verletzung wie ein körperlicher Schmerz anfühlen kann. Besonders in den ersten Tagen hatte ich ein starkes Ziehen am Herz.

Mit die heilsamste Erfahrung in dieser Zeit war mein Freiwilligendienst, den ich schließlich in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke absolviert habe. Das Motto „Lebe den Tag“ wurde dort sehr stark gelebt, da es darum ging, den älteren Menschen in jedem Moment eine Freude zu bereiten, da sie es im Moment danach vielleicht schon wieder vergessen haben. Der Tod war hier auf einmal auch neben dem Leben möglich. Alle haben in dem Wissen gelebt, dass bald einer der Bewohner:innen sterben kann, aber das hat die Freude über jeden Tag nicht geschmälert.

Mir hat es sehr gutgetan, zu wissen, dass man über den Tod sprechen kann und den Tod erleben kann, ohne sein Leben aufzugeben. Nach Papas Tod hatte ich viele existentielle Fragen von „Wozu lebt man überhaupt“ bis „Was ist meine eigene Bestimmung auf dieser Welt“, die erst durch meinen Freiwilligendienst weniger wurden.

Der einzige andere Ort, an dem der Tod völlig selbstverständlich genannt wird, ist für mich die Kirche. Nach Papas Tod bin ich öfter mit meiner Mutter zu Gottesdiensten gegangen und auch während meines Studiums habe ich versucht, regelmäßig zu Taizé-Gebeten o.ä. zu gehen. Ich bin froh, dass Papas Tod auch bei uns in der Familie kein Tabuthema war, sondern meine Mutter uns oft gefragt hat, wie es uns geht. Ich konnte darauf zwar nicht immer sinnvoll antworten, aber so wusste ich doch, dass ich jederzeit zu ihr kommen konnte und sie Papa nicht vergessen möchte.

Gab es bestimmte Zeiten, die besonders schwer für dich waren?

Viele Menschen sagen, dass nach einem Trauerfall bestimmte Tage wie Weihnachten oder Ostern am schlimmsten sind. Bei mir war dieser Tag der Abiball. Von allen anderen Abiturient:innen waren beide Eltern da, selbst die Geschiedenen saßen geeint an einem Tisch. Nur bei mir wurde der Vater durch den Onkel ersetzt. Soweit ich mich erinnere war dieser Tag der einzige an dem ich mich in der Öffentlichkeit nicht zusammenreißen konnte und ich auf dem Weg zur Toilette anfing zu weinen. Die Eltern von zwei Freundinnen haben mich getroffen und dann erstmal ziemlich lange getröstet.

Generell habe ich selten vor Anderen geweint, aber fast jeden Abend zu Hause im Bett oder bei meinem damaligen Freund. Wenn ich aber irgendwie in die Situation kam, nochmal Papas Tod zu schildern hat sich meine Stimme immer ganz komisch verändert und ich wurde total nervös und habe gezittert.

Komischerweise bin ich ein Jahr nach Papas Tod nochmal in ein viel größeres Loch gefallen als direkt danach. Direkt nach seinem Tod stand noch so viel an, dass mich aufgefangen hat. In der Zeit zwischen meinem Freiwilligendienst und dem Studium war hingegen wenig geplant und mir ist auf einmal schwer gefallen mich zu motivieren. Ich habe zwei Reisen abgesagt, da ich mich völlig energielos gefühlt habe. Mein einziger Lichtblick war der baldige Beginn des Studiums. Bis dahin habe ich die Trauer als sehr wellenförmig wahrgenommen. Manchmal war sie stark und betäubend und manchmal kam mir alles weit weg vor und als wäre all das gar nicht meine Lebensgeschichte.

Rückschläge kamen vor allem, wenn andere unschöne Ereignisse in meinem Leben passiert sind (z.B. Trennung, Unsicherheiten im Studium etc.). Als ich anderthalb Jahre nach Papas Tod für mein Studium in eine andere Stadt gezogen bin, hatte ich einerseits das Bedürfnis „ganz neu zu beginnen“ und gleichzeitig war es mir sehr wichtig neuen Bekanntschaften schnell zu erzählen, dass ich meinen Vater verloren hatte. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Teil meines Lebens so stark zu meiner Identität geworden war, dass mich niemand, ohne von Papas Tod zu wissen, wirklich kennen konnte.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Für mich gibt es eine Zeit vor und eine Zeit nach Papas Tod. Sein Tod ist in unserer Familie eine Art Zeitrechnung geworden, wenn wir über vergangene Ereignisse sprechen. In der Zeit vor Papas Tod waren wir eine ganz normale Familie. In der Zeit danach mussten wir uns mit Dingen wie Halbwaisenrente und Erbschaft beschäftigen und meine Mutter war auf einmal alleinerziehend.

Nach Papas Tod sind gewohnte Traditionen an Weihnachten anders geworden und meine Schwester wurde magersüchtig. Sein Tod hat uns als Frauen-Gespann getrennt und neu zusammengebracht und uns alle stärker und erschöpfter gleichzeitig werden lassen. Papas Tod ist mittlerweile fast neun Jahre her und er kommt immer noch fast jeden Tag in irgendeinem Gedanken von mir vor. Wenn ich zuhause bei meiner Mutter in meinem Elternhaus bin, kommen die Erinnerungen noch stärker zurück.

Welchen Einfluss hat dein Vater und sein Tod auf dein heutiges Leben?

Wir haben nach Papas Tod sehr schnell seine Kleidung verschenkt und auch seine anderen Sachen verräumt oder aussortiert. Wenn ich heute im Keller bin, finde ich trotzdem immer wieder Dinge von ihm, die mich an verschiedene Erlebnisse mit ihm erinnern. Ich war immer sehr gerne mit meinem Vater an der frischen Luft und muss besonders bei Reisen an Urlaube und Ausflüge mit ihm denken. Ich habe ihn also quasi immer im Gepäck, egal wo ich bin.

Ich merke, dass ich mich bis heute in bestimmten Situationen frage, was mein Vater dazu gesagt hätte, ob er sich mit meinem heutigen Freund verstehen würde und ob er stolz wäre, wo ich heute stehe. Ich war immer eher ein Papa-Kind und bin froh, dass ich mich mit ihm immer sehr gut verstanden habe und nach seinem Tod keine ungeklärten Konflikte allein mit mir ausmachen musste. Ich versuche, besonders durch Gespräche mit meiner Mutter und meiner Schwester, mir Situationen und Charakterzüge von ihm lebendig zu halten. Da er Radiojournalist war, haben wir den großen Vorteil, neben Fotos auch Tonaufnahmen als Erinnerung zu haben.

Papas Tod hat mir geholfen viele andere Situationen zu relativieren. Ich war zum Bespiel nur sehr selten vor Prüfungen aufgeregt, da ich mir immer gesagt habe, dass es „nur“ Prüfungen sind und viel schlimmere Dinge im Leben passieren können. Eine zeitlang fand ich es schrecklich, wenn Notarztwagen an mir vorbeigefahren sind, aber das ging mit der Zeit weg. Sätze wie „die Zeit heilt alle Wunden“ würde ich hingegen nicht per se unterschreiben. Mit der Zeit verliert sich zwar der Schmerz, die Erinnerung verblasst, aber der Tod der geliebten Person ist plötzlich Teil der Lebensgeschichte. Gleichzeitig glaube ich, dass dieses Annehmen nur passiert, wenn man sich aktiv mit dem Verlust auseinandersetzt. Sich nur in seiner Trauer gehen lassen und darauf zu warten, dass es die Zeit schon richten wird, kann später zu ganz schönen Rückschlägen führen.

Was hat dir am meisten geholfen?

Mir hat es geholfen, mehrmals zu der Trauerbegleiterin des Beerdigungsinstituts zu gehen. Auch die Kirche, meine Familie und mein Freiwilligendienst haben zu einer Verarbeitung des Schmerzes beigetragen. Mir tat es außerdem sehr gut in die Natur und in die Berge zu gehen. Sonnenaufgänge und beeindruckende Aussichten, haben mir gezeigt, dass die Welt trotz allem Schmerz immer noch voller Schönheit ist.

Rita

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Meine Mutter ist an unheilbarem Krebs verstorben. Es war am 04.09.2009, ein Freitag. Meine Mutter war schon länger bettlägerig und mein Vater hat meine Schwester (damals 18) und mich (damals 17) im Januar 2009 darauf eingestellt, dass unsere Mutter das Jahr wahrscheinlich nicht überleben wird. Mein Bruder war zu jung um das sofort zu erfahren (haben wir zumindest gedacht).

Da es also absehbar war, dass meine Mutter dem Tod entgegen geht und von Tag zu Tag schwächer wurde, haben wir versucht, alle Wünsche zu erfüllen, die sie noch hatte. Zum Glück ist mein Vater beruflich gut aufgestellt und konnte so als Privatpatient vieles möglich machen. Der Größte Wunsch meiner Mutter war es, zu Hause zu versterben. Also wurde unser Wohnzimmer im Jahr 2009 schnell zu einem Krankenzimmer. Ein entsprechendes Bett und sämtliche Geräte und Arzneien waren ab sofort Teil der Einrichtung.

Wir und meine Tanten und Onkel, Omas und Opas haben uns ab Juni mit Nachtwache abgewechselt. Schule und der Sport (Fussball) hat mir sehr geholfen, mich abzulenken.

Freitags morgens kam dann mein Vater ins Zimmer, weckte mich und sagte, dass Mama es geschafft hat. Am Ende war es mehr eine Erlösung, sowohl für sie als auch für die gesamte Familie. Da der Zeitpunkt abzusehen war, kam es nicht ganz überraschend. Trotzdem nimmt es einen sehr mit wenn es dann soweit ist. Ein bisschen Hoffnung bleibt ja doch bis zum Schluss.

Wie hast du auf den Tod reagiert?

Ich war wie gelähmt. Hätte ich mir vorher nie ausmalen können eine Leiche zu berühren, war nun ich derjenige, der meine Mutter nicht gehen lassen wollte. Alle Verwandten und engen Freunde kamen vorbei. Ein guter Freund der Familie hatte zu dem Zeitpunkt ein Bestattungsinstitut und kam im Laufe des Tages vorbei.

Bestimmte Gedanken oder Gefühle kann ich gar nicht beschreiben. Ich weiß aber noch, dass ich an dem Tag abends ein Saisonspiel hatte und auch tatsächlich hingegangen bin, um mich abzulenken. Letztlich war es dennoch nicht ich, der auf dem Platz stand, sondern nur meine Hülle. Abends saßen wir mit der ganzen Familie zusammen und haben zusammen geweint, uns erinnert und getrauert. Am Tag des Todes hatte meine Tante Nachtwache. Im Nachhinein bin ich froh, dass es sie war und nicht ich.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Meine Mutter wurde genau eine Woche später beerdigt. Das kuriose ist, dass sie ihre Beerdigung selbst geplant hat. Sie wollte verbrannt werden und jeder der wollte konnte zur Beerdigung kommen. Es waren mehr als 200 Leute da. Aber ich hab nur ein Menschenmeer gesehen und war total in mich gekehrt. Ich wollte mit keinem Reden, sondern nur für mich, meine Geschwister und meinen Vater da sein.

Da ein Bekannter das Bestattungsinstitut leitete, hat er alle Aufgaben diesbezüglich übernommen. Den Rest hat mein Vater erledigt, mit unserer Unterstützung. Was mir besonders in Erinnerung blieb ist, dass meine Mutter sich 2 Lieder ausgesucht hat, die auf der Beerdigung gespielt werden sollten. Und diese Lieder liefen auch. Wenn ich die jetzt hier und da nochmal anhöre kommt einiges hoch und meistens könnte ich wieder anfangen zu weinen…

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung war aus meiner Sicht schön in dem Sinne wie eine Bestattung eben schön sein kann. Es hat mich gefreut, dass so viele Leute erschienen sind um Abschied zu nehmen, dass meine Mutter selbst z.T. die Beerdigung geplant hat und dass es ein schöner, sonniger Tag war.

Die Bestattung an sich hat einen Schlussstrich unter die sehr lange Woche gezogen. Es war ein wichtiger Schritt, definitiv. Meine Schwester saß noch wochenlang mit einem Campingstuhl am Grab (Es ist ein Wiesengrab, also sieht man nur eine Bodenplatte auf einer Wiese).

Nach der Beerdigung kamen die engsten Freunde und die Verwandten mit zu uns. Wir haben das ganze Wochenende meine Mama nochmal „hochleben“ lassen und sind in Erinnerungen versunken.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Trauer als Gefühl kann ich nicht beschreiben. Ich glaube, ich trauere immer noch. Auch anders als meine Geschwister oder mein Vater. Aber viel Zeit zum Trauern blieb uns leider nicht. Mein Vater fand sehr schnell eine neue Frau und diese zog sehr schnell bei uns ein. Viele neue Situationen und Menschen…das war keine leichte Zeit.

In dem Zusammenhang gab es Rückschläge und viele Tränen. Man vergleicht die neue Frau immer mit seiner Mutter oder fragt sich, wie der Vater so schnell eine Neue suchen/finden konnte. Das ganze hat unsere Familie inklusive Verwandten leider in zwei Lager geteilt, so dass nichts mehr wie vorher war. Das war eine sehr traurige Zeit.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Ich würde sagen, Trauer verschwindet nicht. Zumindest nicht, wenn man einen Menschen verliert, der einem so nahe steht wie Mutter oder Vater. Sie begleitet einen ständig. Die Trauer zu akzeptieren ist schwer.

Gab es etwas, was dir Hoffnung gegeben hat?

Nach dem Tod meiner Mutter lernte ich einen brasilianischen Austauschschüler kennen. Er zog zu uns für ein Jahr und ich durfte im Gegenzug ein halbes Jahr nach Brasilien. Das hat mir sehr viel Perspektive gegeben. Ich habe eine neue Sprache gelernt, eine neue Kultur kennengelernt und gesehen, dass viele auf der Welt von Leid und Trauer betroffen sind. Das hat mir Hoffnung und Perspektive gegeben.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Man muss realistisch sein, weiter machen und denken, dass oben jemand sitzt der einen beobachtet. Gerade wenn man vor schweren Entscheidungen im Leben steht in denen man sich vielleicht wünscht, dass die Mutter da ist, um einem zur Seite zu stehen. Aber auch um positive Aspekte zu teilen.

Außerdem würde ich jemanden in so einer Situation raten, sich nicht zu verschließen und wenn man nicht in der Familie reden kann oder will, dann mit Freunden oder mit einem Therapeuten. Eine Therapie zu machen ist keine Schande, das musste ich mir anfangs eingestehen. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Stimmt zwar nicht ganz, aber mir hat es sehr geholfen.

Norbert & Birgitta

Storytelling Grandparents

Wie war der Tag, als du von dem Tod deiner Mutter erfahren hast?

Ich bin gegen 8:00 Uhr aufgewacht und wunderte mich, dass ich diese Nacht durchgeschlafen habe und keinen Anruf aus dem Krankenhaus bekommen habe. Nachdem ich dann aber mehrere verpasste Anrufe der Intensivstation der Uniklinik sah, auf welcher meine Mutter nach einem Frontal-Zusammenstoß auf der Landstraße behandelt wurde, öffnete ich WhatsApp und las eine Nachricht meines Bruders: „Ruf mal bitte zurück“. Als ich sofort zurückrief sagte er mir, dass er auf dem Weg ins Krankenhaus ist, in welchem mein Vater zu dieser Zeit wegen einer chronischen Darmerkrankung behandelt wurde.

„Mama hat es nicht geschafft“.
„Ok. Dann komme ich jetzt“

Dann bin ich aufgestanden, in das Zimmer meines Mitbewohners gegangen, habe mich auf sein Bett gesetzt und nüchtern den Satz meines Bruders wiederholt. „Mama hat es nicht geschafft“. Anschließend sind wir ins Krankenhaus zu meinem Vater gefahren. Meinem Bruder und mir war klar, dass wir diejenigen sind, die ihm beibringen müssen, dass die Frau, mit dem er seit 31 Jahren verheiratet ist, bei einem Autounfall verstorben ist. Ich „musste“ einfach funktionieren.

Wie hat dein Körper auf den Tod deiner Mutter reagiert?

Mit einiger Zeit Abstand kann ich reflektierend sagen, dass ich mich mit der oben beschriebenen Nachricht meines Bruders in eine Art „Tunnel“ begeben habe. Ab diesem Zeitpunkt habe ich einfach funktioniert. Ein ständiger Sprung zwischen Rationalität und Emotionalität. Ich bin ganz froh, wie meine Psyche reagiert hat. Ich denke, dass die Nachricht des Todes der eigenen Mutter eine Art „Notfallprogramm“ im Kopf gestartet hat.

Es ist jetzt fast genau zwei Jahre her. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass meine Psyche ganz bewusst manche Dinge gefiltert hat und erst garnicht im Langzeitgedächtnis hat ankommen lassen. Es gibt Erinnerungen die ich noch klar vor mir habe, ohne dabei so richtig viel zu fühlen. So kann ich mich zum Beispiel gut daran erinnern, dass ich meinem Vater unter Tränen gesagt habe „Die Mama ist tot.“ Mir kommen bei dem Satz ab und zu auch immer noch ein wenig die Tränen. Aber ich kann heute nicht mehr ansatzweise nachfühlen wie es sich damals angefühlt hat.

Um dieses clevere Verhalten meiner Psyche bin ich auch ganz froh irgendwie. Auf der anderen Seite: Mein erstes richtiges Fallenlassen/zur Ruhe kommen/der Trauer Raum geben, fand am Abend des Todestages statt. Ich bin in meinem Heimatort zu Fuß von meinem Elternhaus zum Haus meiner besten Freundin gegangen. Der Weg dorthin war für mich die erste Zeit alleine an diesem Tag und die Möglichkeit das Geschehene zu realisieren. Ich habe geklingelt – Sie hat geöffnet – Der Moment des Umarmens und des Weinens ist mir auch nach zwei Jahren sehr präsent. Ich hab das Gefühl des „Fallenlassens“ regelrecht gespürt und kann diesen Moment immer noch gut nachfühlen.

Wie war der Tag, als du von dem Tod deines Vaters erfahren hast?

Nach dem Tod meiner Mutter hat mein Vater schlichtweg aufgegeben. Wenn der Mensch stirbt, der dich jahrelang mit einem unbändigen Optimismus durch einen schweren Krankheitsverlauf mit vielen Krankenhausaufenthalten zieht, kann ich es gut nachvollziehen, dass der letzte vorhandene Wille zum Durchhalten erlischt.

So hat sich etwa eine Woche nach dem Tod meiner Mutter der Gesundheitszustand meines Vaters deutlich verschlechtert. Schlechte Lungenwerte – Verlegung auf die Intensivstation – Intubation – Fieber – Multiples Organversagen – Tod.

Mein Bruder, mein Cousin, mein Mitbewohner und zwei Freunde waren zu dem Zeitpunkt bei mir in der Wohnung. Um 22.15 hatten wir Kontakt mit der besten Freundin meines Vaters, die im Krankenhaus einige Stunden vor dem Tod entschieden hat, dass sie „dabei“ sein möchte und uns Bescheid gibt, wenn es soweit ist. Wir saßen dann alle gemeinsam im Wohnzimmer und haben im Endeffekt darauf “gewartet“. Um 22.15 schrieben wir kurz mit Christina, der besten Freundin meines Vaters:

22:15 „wie läuft es?“
22:22 „ALARM“

Anschließend rief sie uns an. Mein Bruder und ich saßen in meinem Schlafzimmer auf dem Bett und haben dieses Telefonat geführt. Was soll man sagen? Doofe Situation. Mein erster Gedanke war: „Papa hat es endlich geschafft und ist jetzt wieder bei Mama, doof für uns… Gut für die zwei 💛“

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Der Tod war eine Mischung aus zwei Sachen: Erstens Funktionieren. Die Beerdigung organisieren, Bürokratische Dinge regeln, Todesmitteilungen überbringen, Dinge für meinen Vater regeln. Zweitens mit den eigenen Emotionen balancieren. Trauern, mit Freunden und Familie sprechen, eine Perspektive und Fahrtrichtung für die nächsten Wochen, Monate und Jahre finden.

Wir haben die ganzen Dinge gemeinsam mit Freunden und Familie organisiert. Die zahlreichen Hilfsangebote von Freunden, Kollegen und Bekannten ist mir besonders in Erinnerung geblieben.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung meiner Mutter war ein kalter, verschneiter Wintertag. Die Trauerhalle war brechend voll. Der Gospelchor meiner Mutter hat gesungen. Die Bestattung war ein wichtiger Schritt für das „Loslassen“. Als besonders wertvoll habe ich folgendes Bild im Kopf: Wir standen nach dem Trauermarsch an dem Urnengrab meiner Mutter. Ich blickte den Friedhofsweg entlang und wunderte mich über die große Anzahl von Trauergästen…Die Schlange hörte nicht auf. Das war schon ein ziemlich rührender Moment „Guck mal Mama, wer alles gekommen ist um dir Lebewohl zu sagen“ … Das war irgendwie ein trostspendender Gedanke.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Das erste Trauerjahr war das Schwerste. Alle ersten Male waren besonders komisch. Nicht nur die offensichtlichen Dinge wie Geburtstage oder Weihnachten, sondern auch das erste mal geblitzt werden, das erste Konzert, das erste selbst gespielte Konzert, der erste Urlaub, der erste Kater, das erste mal Kräuterquark machen, das erste mal PUR im Auto hören…die Liste ist unendlich lang.

Trauer ist ein langer, langer Prozess. Diesen Prozess stelle ich mir wie folgt vor: Es gibt einen riesigen Topf, in dem unzählige Gedanken, Ideen, Sichtweisen, Fragen, Gefühle, usw. zu finden sind. Ich glaube diese müssen ALLE einmal gedacht, gefragt, gefühlt, gesehen werden, um irgendwann sagen zu können: „Ich habe den Tod meiner Eltern verarbeitet“.

Ich habe recht zügig gemerkt, dass dieser Trauerprozess in einer Wellenbewegung stattfindet. Die Frequenz und die Amplitude verändert sich durch „Trigger“. Wann diese kommen ist für mich leider nicht vorhersehbar. So bleibt der Trauerprozess aber auch spannend! 😉 Ich war auch immer neugierig, wie es mir in 3 Tagen, 3 Wochen, 3 Monaten oder in 3 Jahren geht. Diese „Neugier“ hat mir geholfen, den Kollegen „Trauer“ als neuen Teil von mir zu akzeptieren und einen Umgang mit ihm zu finden.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Der Tod meiner Eltern gehört jetzt so fest zu mir wie meine zwei Ohren und meine Nase. Ich kann an der Situation NICHTS ändern. Ich kann einen Umgang damit lernen und das Beste draus machen. So ist das Leben eben 🙂

Hast du Ratschläge für andere Trauernde?

Höre auf dein Inneres und NIMM DIR ZEIT. Finde Dinge, die dir in deiner Traurigkeit helfen. Wenn es dir zum Beispiel hilft, Joggen zu gehen, Gitarre zu spielen oder mit Freunden zu sprechen… perfekt! Merk dir das und packe die Dinge in deine Werkzeugkiste. Wenn du das nächste Mal ein „Down“ hast, schaue in die Werkzeugkiste und probiere diese Dinge aus.

Klar, manchmal hatte ich Phasen, in denen die ganze Werkzeugkiste nicht geholfen hat. Das ist deprimierend, kommt aber vor. Dann blieben mir zumindest die Durchhalteparolen übrig, wie zum Beispiel: „Es wird auch wieder bessere Tage geben“. Ich denke JEDEN TAG an meine Eltern. Manchmal mit einem weinenden, manchmal mit einem lachendem Auge. Manchmal auch beides.

Akzeptiere den Tod als Teil deiner Geschichte und finde einen Umgang damit. Mir hilft es auch manchmal in den Himmel zu gucken und mir vorzustellen, dass die zwei auf ihrer schön aufgeräumten Wolke Nr. 14 sitzen und auf mich hinunterblicken. Dann rede ich auch manchmal mit der Wolke, zu welcher ich da gerade hinaufblicke. Ich weiß auch, dass da keine Antwort zurück kommt. Es hilft aber trotzdem irgendwie. Und wenn das hilft, perfekt! Ab in die Werkzeugkiste damit 🙂

Erika

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Ich wurde früher dazu erzogen, Gefühle für sich zu behalten, nicht zuzulassen und nicht offen zu zeigen. Am Todestag meiner Mutter hat sich die Familie morgens im Krankenhaus getroffen. Die Ärzte hatten meinen Vater angerufen und ihm gesagt, dass wir alle vorbeikommen sollen. Während ich auf dem Flur vor der Intensivstation auf die anderen gewartet habe, kam mein Vater mit zwei Ärzten zu mir. Er brach in Tränen aus und sagte „Sie wird sterben“.

Bis zu dem Zeitpunkt ging es eigentlich bergauf und wir alle hatten wieder Hoffnung geschöpft. Ich war in diesem Moment so geschockt, dass ich nicht realisiert habe, was es bedeutete. Als meine Brüder mit ihren Partnerinnen dazu kamen, stand die ganze Familie auf dem Flur vor der Intensivstation und hat geweint, außer mir. Ich konnte meine Gefühle in diesem Moment nicht zulassen.

Wir mussten uns daraufhin entscheiden, ob wir die Maschinen abstellen wollen und das taten wir auch – 15 Minuten später war meine Mutter verstorben. Inzwischen waren meine Cousins und Cousinen, mein Onkel und meine Oma auch gekommen. Ich bin nicht mit in das Zimmer gegangen um bei ihrem Tod dabei zu sein. Ich war nur kurz vorher nochmal bei ihr. Ich habe kurz ihre Hand gehalten und bin in den Wartebereich zurück.

Als ich erfahren habe, dass sie gestorben ist habe ich es tatsächlich geschafft kurz zu weinen. Mein Vater hat mich in den Arm genommen und es war sofort wieder weg. Alle wollten sich umarmen und zusammen sein. Ich wollte nur allein sein. Allein, damit ich meine Gefühle rauslassen kann. Schon vor mir selbst war das schwer genug, vor meiner ganzen Familie konnte ich es nicht.

Ich habe oft gesagt, dass ich nach Hause in meine Wohnung möchte, aber meine Familie bestand darauf, dass ich bei meinem Vater schlafe, damit ich nicht allein bin. Ich konnte in den ersten Tagen nicht trauern, ich war permanent damit beschäftigt gegen meine Gefühle anzukämpfen und der Starke zu sein. Am Todestag meiner Mutter habe ich schon wieder angefangen Witze zu machen, das machte es leichter für mich, mich von der Trauer abzulenken.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Vom Todestag meiner Mutter an, habe ich gegen meine Gefühle angekämpft. Ich war am Tag nach dem Tod wieder arbeiten. Am darauffolgenden Tag habe ich eine Klausur geschrieben, ohne zu lernen. Ich wollte einfach nur nach Hause und so hatte ich einen Grund zu Hause zu schlafen, bei dem ich mich auch nicht schlecht fühlte, weil ich jemanden im Stich lassen würde.

Durch die Arbeit und die Klausur konnte ich mich ablenken. Ich habe in der Zeit versucht so viele Aufgaben wie möglich zu übernehmen, habe sehr viel Sport gemacht, bis zur kompletten Erschöpfung. Ich hatte durch die unterdrückten Gefühle eine extreme innere Unruhe in mir und durch Sport wurde es besser.

In der Zeit wollten meine Familienangehörigen und Freunde viel mit mir über meine Mutter aber auch meinen Vater reden, viele haben geweint. Ich habe in der Zeit nie geweint. Ich habe behauptet, dass ich das mache wenn ich alleine bin, damit es nicht komisch rüber kommt, aber das habe ich nicht.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Am Tag der Bestattung war ich krank. Ich hatte leichtes Fieber. Ich denke die extreme psychische Belastung hat sich auch auf meinen Körper ausgewirkt. Ich habe bis zur Bestattung meine Gefühle soweit unterdrückt, dass ich sie gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Die Bestattung war für mich wie eine Bestattung eines Fremden. Das Einzige was ich gefühlt habe, war die innere Unruhe, die ich aber permanent verspürte. Nach dem Tag der Beerdigung konnte ich mir endlich mehr Zeit für mich nehmen, deshalb war der Tag für mich eine Erleichterung, aber auch nicht mehr.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

In den Wochen danach würde ich das Trauergefühl als eine Schwere bezeichnen. Ich habe es zwar auch in den Wochen danach nicht geschafft wirklich zu trauern geschweige denn zu weinen, dafür waren die Gefühle schon zu tief vergraben. Außerdem war da immer die Sorge um meinen Vater, meine Oma, meine Brüder.

Abends vor dem Einschlafen habe ich aber zugelassen über die Situation nachzudenken, ich hatte Zeit und Raum etwas zu reflektieren. Trotzdem habe ich in der Zeit häufig auch einfach funktioniert. Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht, dass ich etwas hätte besser machen können und meine Mutter damit retten können. Ich habe sehr oft darüber nachgedacht, wo ich mich falsch verhalten habe, ob ich genug gemacht habe.

Ich habe mir dadurch leider angewöhnt, öfter über Situationen die mich beschäftigen zu grübeln. Sie immer wieder in meinem Kopf durchzuspielen. Es hat lange gedauert bis ich einsehen konnte, dass ich nicht die Schuld an ihrem Tod hatte. Mir ist in der Zeit aber auch bewusst geworden, dass es einige Baustellen gibt, die durch die Krankheit und Erziehung meiner Eltern entstanden sind und von da an habe ich begonnen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Ich habe es geschafft meinen Fokus auf mich selbst zu richten und mich meinen Problemen zu stellen. Das ist für mich ein großer Lichtblick gewesen. Ich habe auch begonnen zu reflektieren woher meine Probleme kommen, wieso sich meine Eltern verhalten haben, wie sie es gemacht haben. Durch dieses Verständnis, habe ich vor allem eine Wut, die ich gegen meine Mutter hatte, verarbeiten können. In den Wochen nach der Beerdigung hatte ich viele Träume von meiner Mutter, die alle sehr schlimm waren. Mit der Zeit ließen sie aber nach. Völlig aufgehört haben sie aber, weil ich meine Gefühle nie rausgelassen habe, nie.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Der Tod meiner Mutter ist jetzt über vier Jahre her. Bewusst würde ich sagen, ist die Trauer schon sehr lange weg. Auch Gespräche über sie oder die Zeit um ihren Tod herum haben mich nicht übermäßig belastet. Kognitiv habe ich den Tod schon lange verkraftet. Aber jetzt nach über vier Jahren, wo endlich aller Druck abgefallen ist, sind die Gefühle wieder hochgekommen. Das waren vier Jahre, in denen mich diese Gefühle auch blockiert haben.

Ich habe erst jetzt bemerkt, wie sehr ich meine Gefühle unterdrücke und fange jetzt erst an sie wirklich wahrzunehmen und dadurch schaffe ich es, dass auch unterbewusste Trauer endlich verschwindet. Als Ehepartner ist man mit Sicherheit in einer anderen Situation, aber als Kind habe ich meine Perspektive generell nicht auf meine Eltern gesetzt.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Mir hat geholfen zu akzeptieren, dass es Sachen gibt, die man nicht verändern kann und dass das in Ordnung ist. Zu akzeptieren, dass man nicht immer stark sein muss und auch mal Schwäche zeigen kann und dass das auch in Ordnung ist. Zu reflektieren, was ich wirklich für mich tue und was ich für meine Eltern getan habe und das als Anreiz genommen zu haben mich persönlich weiter zu entwickeln und mein Leben selbstbestimmt zu leben.

Mein Rat ist sich Zeit für sich zu nehmen, auf sich und seinen Körper zu hören, was man grade braucht. Sich nicht daran aufzuhalten, was andere von einem verlangen in solchen Situationen. Gefühle zuzulassen, sich nicht abzulenken und die Gefühle runter zu schlucken. Trauer ist kein schönes Gefühl, aber es ist befreiend.

Manfred

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Mein Vater ist am 07.12.2017 gestorben, das ist nun ziemlich genau drei Jahre her. Ich war kurz zuvor auf einer sechswöchigen Urlaubsreise in Südamerika und sehr froh, dass ich drei Tage vor dem Tod wieder zurückgekommen bin und noch die letzten Stunden zusammen mit meinem Vater verbringen konnte.

Zu dem Zeitpunkt lag er bereits seit einer Woche im Krankenhaus und es war klar, dass er bald einschlafen wird, da der Krebs sich bereits so verteilt hatte, dass auch die Chemotherapie nicht mehr angeschlagen hatte. Es war, als ob Papa nur noch auf mich gewartet hatte.

Als ich direkt vom Flughafen angekommen bin, konnten wir uns noch einigermaßen gut unterhalten, aber schon nach wenigen Stunden war Papa zunehmend erschöpft und es fiel ihm schwerer zu sprechen und sich zu bewegen. Eigentlich war ich fast durchgehend bis zu seinem Tod bei ihm. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass er keine Schmerzen hat und friedlich einschlafen würde. Zum Glück hat er vorher noch selber mit der Ärztin abgesprochen, welche Schmerztherapie er sich wünscht und ich war sehr dankbar, dass ich mich nicht damit auseinander setzen musste.

Kurz vor dem Todeszeitpunkt war ich nicht im Krankenhaus, aber als mich meine Mutter anrief, bin ich sofort wieder ins Krankenhaus gefahren und war dann auch noch bei ihm. In seinen letzten Stunden war er zu keiner Zeit alleine. Natürlich war ich währenddessen und auch schon vorher, als ich wusste, das sein Leben zu Ende geht, sehr traurig. Ich habe unglaublich viel geweint und mich oft gefragt, ob auch alles gesagt wurde, was ich meinem Papa noch mitgeben wollte – irgendwie war dann doch weniger Zeit als ich vorher erwartet hatte.

Auch wenn ein paar Wochen vorher klar war, dass er bald sterben könnte, habe ich diesen Gedanken sehr verdrängt. Da auch er selber seine Krankheit nicht so oft thematisiert hat, wusste ich nicht abzuschätzen, dass nur noch so wenig Zeit bleibt und dass es so schlimm um ihn steht. Er hatte ein Jahr vor seinem Tod noch eine große OP und ich dachte, dass er dadurch noch viele Jahre zu leben hätte.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Die Zeit bis zur Bestattung habe ich sehr durchwachsen und turbulent erlebt. Es gab viel zu tun, vor allem mussten weitere Angehörige und Freunde über das Ereignis informiert, Trauerkarten geschrieben und gleichzeitig sehr viel organisiert werden. Besonders weil die Bestattung nicht am Todesort, sondern 600 km entfernt stattfand, wo das Familiengrab der Familie meines Vaters liegt und die restlichen Verwandten wohnen. Meine Eltern sind getrennt und ich habe keine Geschwister, so dass ich als Tochter die nächste Angehörige bin und mich dadurch um einige Sachen alleine kümmern musste, auch wenn meine Mutter mich bei allen Dingen, bei denen es ihr möglich war, unterstützt hat.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Durch einige Formalitäten, nämlich dadurch, dass die Urne von uns persönlich in ein anderes Krematorium gebracht werden musste, war die Erdbestattung nicht am gleichen Tag wie die Trauerfeier möglich. Auch für Freunde in Bonn war es nicht möglich, nach München zur Bestattung oder zur Trauerfeier zu kommen. Daher haben wir dreimal Abschied genommen: Am Tag der Trauerfeier, am Tag der Urnenbeisetzung und am Tag seines 65. Geburtstages, den er leider nicht mehr mit uns zusammen feiern konnte, wir aber ein ganz kleines „Erinnerungsfest“ gemacht haben.

Die Trauerfeier war wunderschön gestaltet und hat mir sehr geholfen, nochmal sein Leben Revue passieren zu lassen. Auch die Vorbereitung, das Heraussuchen von Liedern, die ihn begleitet haben und das Verfassen von Erinnerungen an meinen Vater, an denen ich alle teilhaben lassen wollte, haben mir geholfen, zu akzeptieren, dass die Lebenszeit begrenzt ist und er trotz seines sehr frühen Todes viel bewirkt hat und viel Einfluss auf mein Leben hatte und auch immer noch hat. Besonders wertvoll habe ich erlebt, zu sehen, dass viele Menschen gekommen sind, um gemeinsam Abschied zu nehmen und sich gegenseitig zu trösten.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

In den Monaten nach dem Tod mussten extrem viele organisatorische Sachen erledigt werden. Ich habe die Wohnung komplett aufgelöst und dabei viele persönliche Gegenstände und Erinnerungen meines Vaters entdeckt. Bestimmte Gegenstände haben vergessene Kindheitserinnerungen wieder geweckt und in diesen Momenten habe ich meinen Vater ganz besonders als Person, mit der ich diese Erinnerung teile, mit der ich mich jedoch nicht mehr austauschen kann, vermisst.

Ich fand oft, dass ich den Dingen gar nicht gerecht werden konnte und fand mich nicht wohl dabei, zwischen „kann weg, wird nicht mehr gebraucht“, „behalte ich“ und „entscheide ich später“ entscheiden zu müssen. Für meinen Vater waren fast alle seine (nicht unbedingt materiellen) Dinge wichtig und ich wusste, dass er sie gerne aufbewahrte. Trotzdem musste ich mich irgendwie von dem Gedanken lösen, alles festhalten zu wollten.

Noch immer habe ich sehr viele Dinge, die ich noch nicht weggeben möchte, aber auch nicht gebrauchen kann und mindestens genauso viele besondere Dinge, die ich geerbt habe und die einen ganz persönlichen Erinnerungswert haben. Ich glaube, auch diese Dinge helfen mir, an meinen Vater und unsere Beziehung zu denken, wann immer ich damit in Berührung komme und zu hoffen, dass er sich freut, dass diese Dinge noch weiterhin Freude bereiten – wie z. B. sein Fahrrad, dass früher er fuhr und das jetzt täglich mich durch die Gegend trägt.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

In den ersten Wochen habe ich jeden Tag an meinen Vater gedacht. Mittlerweile ist es weniger geworden, ohne dass er in Vergessenheit gerät. Ich denke, dass ich den Verlust meines Vaters akzeptiert habe und mittlerweile gut damit umgehen kann. Mir hilft es, sehr offen mit Freunden, Angehörigen und Gleichgesinnten über den Tod meines Vaters zu sprechen. Außerdem hilft es mir, ein Grab als Ort des Abschieds und der Verbindung zu haben. Dort kann ich auch örtlich meinem Vater nah sein. Gedanklich kann ich das jederzeit. Manchmal beruhigt es mich, eine Kerze anzuzünden und dabei ganz besonders an meinen Papa zu denken.

Falk

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

An dem Tag an dem mein Vater starb, war ich zuhause. Es passierte alles, während ich schlief. Ungefähr gegen 9:00 Uhr wachte ich schreckhaft auf mit dem Wissen, verschlafen zu haben. Zu dem Zeitpunkt war ich 14 Jahre alt und wurde normalerweise immer von meinem Vater geweckt. Als ich auf die Uhr schaute, stürmte ich wutentbrannt aus meinem Zimmer, um zu sehen warum mich keiner geweckt hatte.

Als ich um die Ecke des Flurs ging änderte sich plötzlich alles und ich realisierte das etwas ganz und gar nicht stimmt. Am Ende des Flurs standen Polizeibeamte. Mein erster Gedanke war: Unser Hund ist mal wieder abgehauen. Die Idee, dass einem Familienmitglied etwas zugestoßen sein könnte, kam mir nicht mal ansatzweise in den Sinn. Ich lief umgehend zurück in mein Zimmer und setzte mich auf mein Bett. Nach kurzer Zeit kam meine Mutter ins Zimmer und sagte, dass Sie mir gleich alles erkläre. Ganz schnell führte sie mich im Arm runter.

Unten angekommen, merkte ich, dass etwas wirklich Schlimmes passiert sein musste. Mein Bruder, der zu dem Zeitpunkt schon ausgezogen war, war auch da und sah bitterlich verweint aus. Daraufhin erzählte Mama mir, dass Papa verstorben ist an diesem Morgen und alles ganz plötzlich kam. Ich werde diesen Moment wohl nie vergessen.

Was hast du in diesem Moment gefühlt?

Die Gedanken an meine letzten Momente mit Papa kreisten nur so um mich und schweben mir bis heute ständig im Kopf. An dem Tag brach meine Welt zusammen und ich wusste nicht, inwiefern ich diesen Verlust wohl jemals ertragen könnte. Der Schmerz einen so geliebten Menschen zu verlieren, wird nie verschwinden. Die Art und Weise wie man damit lebt ändert sich allerdings.

Ich habe mich nicht von meinem Vater verabschiedet, da ich meine Erinnerung nicht mit einem solchen Moment trüben wollte. Bis heute glaube ich, war es die beste und schwerste Entscheidung zugleich. Denn der Abschied und das Realisieren des Verlustes sind dadurch schwierig. Wie soll man auch begreifen, dass man diesen Menschen nie wiedersehen wird, wenn er doch am Abend vorher noch Scherze mit dir gemacht hat? Andererseits hat sich das positive, vitale Bild meines Vaters dadurch nie verändert. Und darum bin ich sehr froh.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Ich habe die Zeit mit meinem damaligen Freund verbracht. Mein Vater starb an einem Freitag. Ich bin bereits montags wieder in die Schule zurückgekehrt, da ich den Trubel zuhause nicht aushielt. Auch meine Mutter wollte mich davor schützen. Nach einem plötzlichen Todesfall ist der anstehende Papierkram enorm und bürokratisch entstehen einige Hürden. Ich habe mich also so gut es geht abgelenkt.

Ich habe mit meinen Freunden über alles sprechen können, daher war es kein Verdrängen sondern ein einfaches Abtauchen aus der Situation. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt alles völlig unreal scheint. Ich glaube das, was mich im Nachhinein am meisten schockiert hat, ist die Tatsache, was alles auf meine Mutter zukam. Der Verlust eines geliebten Menschens, ein Umzug etc. sind schon Herausforderung genug. Doch das System erschwert viele Prozesse und verlangt finanziell und bürokratisch enorm viel von den Betroffenen ab.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung war sehr emotional und auch sehr bedrückend. Allerdings hatten wir zwei Trauerfeiern. Eine bei uns im Garten für alle Freunde und Angehörige und eine private Beisetzung in Hessen auf einem Waldfriedhof. Eine Beisetzung/Trauerfeier für einen recht jungen Mann, der plötzlich verstirbt, kann nur extrem schmerzhaft sein, weil der Tod so unfair scheint. Allerdings haben wir das Beste aus der Situation gemacht.

Was ist dir von diesem Tag positiv in Erinnerung geblieben?

Zu sehen wie viele Menschen mein Vater berührt und bewegt hat in seinem Leben, hat mir nur nochmal bestätigt was für ein wunderbarer Mensch er doch war. Und dass nicht nur ich um ihn trauern werde, sondern er täglich von so vielen Menschen vermisst werden wird. Er hat Spuren hinterlassen und niemand würde ihn je vergessen. Das hat mir ein Stück Mut, Hoffnung und Glücksgefühl beschert.

Denn ich konnte zumindest sagen, was ich für ein Glück hatte 14 Jahre lang einen solchen Vater gehabt zu haben. Einen Vater, der mir und meiner Familie so viel gegeben hat und mich mit größter Güte und Liebe erzogen hat. So ein Glück erfahren nicht alle Kinder. Das Wissen, immerhin 14 Jahre von ihm gehabt zu haben und so viel von ihm gelernt zu haben, hat mich mit Stolz erfüllt und durch diesen Tag gebracht.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Die erste Zeit nach dem Tod meines Vaters war extrem schwierig. Ich habe zwar weiter gemacht wie zuvor, und auch weiterhin gelacht und glückliche Momente gelebt. Aber das Bewusstsein darüber was der Tod bedeutet und dass ein Leben endlich ist, war für mich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht wirklich greifbar. Ich dachte ständig daran, meinen Vater bald wiederzusehen.

Auch heute denke ich, dass es nicht möglich ist, dass ich meinen Vater nie wieder umarmen kann. Diese bittere Realität werde ich nie begreifen können. Gerade zu Beginn war ich sehr sensibel und war schnell am Wasser gebaut. Das was mir in diesen Momenten am meisten geholfen hat, war der enge Bezug zu meinen Freunden. Ich musste so viel unternehmen, wie ich nur konnte. Denn vor meiner Mutter Trauer zeigen und zu weinen, war kaum vorstellbar.

Meine Mutter bat mich deshalb zu einer Psychologin zu gehen, aus dem einfachen Grund, dass sie nicht kontrollieren konnte, inwiefern ich über meine Trauer spreche. Für mich war das auch vollkommen okay und ich begab mich in eine Form von wöchentlichen Gesprächen mit meiner Psychologin. Es gab mir zwar einen neutralen Blick auf die Dinge, aber ich kann nicht sagen, dass Sie mir helfen konnte. Das liegt aber vor allem daran, dass man mir nicht helfen musste, denn ich habe meine Trauer bei meinen Freunden auslassen können und schon immer gut über den Verlust sprechen können.

Ich glaube das ist mit Abstand der wichtigste Punkt nach einem derartigen Ereignis. Ohne die offene Kommunikation wäre ich innerlich vermutlich daran zerbrochen. Mein Freund war mir zu dem Zeitpunkt eine sehr große Hilfe. Meine Freundinnen waren alle ebenfalls sehr bestürzt, da auch sie ein sehr enges Verhältnis zu meiner Familie und besonders zu meinem Vater hatten. Sie schwelgen bis heute gerne mit mir in Erinnerung und gemeinsam können wir über all die schönen Momente lachen, die mein Vater uns bescherte.

Was hat dich angetrieben, deinen Weg weiter zu gehen?

Es gab einige Menschen, die nicht begreifen konnte wie ich „einfach so weitermachen könnte“ und warteten förmlich auf einen Absturz. Ich denke es gibt viele Menschen, die ein solches Ereignis nicht verkraften. Für mich ist es bis heute auch nicht leicht, aber ein Gedanke hat mich durch alles hindurch geführt: Ich möchte meinen Vater stolz machen. Er soll von Oben auf mich herabschauen und glücklich sein. So wie er es auch von mir verlangen würde glücklich zu sein.

Ein weiterer Gedanke hielt mich über Wasser: Diese Art eines plötzlichen Todes ist zwar für die Zurückgebliebenen das Schlimmste, da es die Welt völlig unerwartet auf den Kopf stellt. Für meinen Vater war es allerdings die beste Form. Schnell, kurz und unspektakulär. Kein langer Leidensweg. Genau so hätte er es sich gewünscht.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Die Trauer verlässt einen nie. Es begleitet mich jeden Tag. Und jeden Tag wache ich auf und hoffe es wäre anders. Ich denke und vermisse Ihn jeden Tag, wünschte ich könnte ihm von meinem Tag erzählen, ihm stolz über meine neuen Lebensschritte berichten. Der Gedanke an die Zukunft und dass er nicht bei mir sein kann, wenn ich heirate; dass er mich nicht zum Altar laufen kann oder mit meinen Kindern irgendeinen Blödsinn machen kann; dass ich niemals mit ihm zusammen ein Bier trinken werde und bis spät in die Nacht über die Welt philosophieren kann.

All das sind Gedanken, die mich täglich begleiten. Aber genauso spüre ich jeden Tag eine tiefe Dankbarkeit für alles, was ich von ihm mitnehmen durfte und durch ihn gelernt habe. Und wenn man diese Dankbarkeit in den Vordergrund stellen kann, dann schafft man es auch einen Weg zu finden, mit der Trauer umzugehen.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Mein Rat: Sprich dich aus, es gibt keinen Grund diese Trauer und diese Gedanken mit dir selbst zu vereinbaren. Sei froh und dankbar über deine gemeinsame Zeit mit diesem Menschen, denn die wird dir niemals jemand nehmen können. Du verlierst niemanden für immer, denn dieser Mensch wird immer bei dir sein, weil du ihn in dir trägst. Er wird dich ständig begleiten und dir helfen, wenn du daran denkst, was dieser Mensch in dieser Situation gesagt und getan hätte. Für mich gibt es ein Leben nach dem Tod. Und ich weiß, dass mein Wunsch meinen Vater umarmen zu können in Erfüllung gehen wird.

Anita

Storytelling Parents

Erzähl mir von dem Jahr, in dem deine Mutter verstorben ist.

So richtig weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll – ich weiß nur, dass es wichtig ist, seine Gedanken mal niederzuschreiben, weil sie sonst gefangen sind, da wo sie sind. Außerdem ist es wichtig für mich, die Dinge aufzuschreiben oder darüber zu reden, um sie „sauber“ verarbeiten zu können.

Das Jahr 2018 stand schon zu Beginn unter keinem guten Stern! Angefangen hatte alles mit dem Tod meines Cousins Ende Februar – mit nur 39 Jahren! Auch ein fieser Krebs! Meine Mama war sehr für alle Angehörigen da – obwohl sie scheinbar da auch schon mit den Vorboten Ihrer eigenen Geschichte zu kämpfen hatte – was aber niemand wusste.

Ein paar Wochen später folgte die schreckliche Nachricht, dass meine Freundin Nadine aus Leipzig (hatte zu dem Zeitpunkt zwei kleine Kinder) an plötzlicher Hirnblutung verstorben ist. Das war ebenso schrecklich. Und das hörte einfach nicht auf – zahlreiche weitere solche Nachrichten erreichten uns in regelmäßigen Abständen. Das musste ich als Einleitung mal erzählen, weil das Jahr 2018 einfach das Schlimmste in meinem Leben war.

Wie hat sich die Krankheit deiner Mutter angedeutet?

Also in Kurzform erzählt war ab dem Sommer 2018 irgendetwas eigenartig – ich spürte schon, dass es nichts Gutes werden wird, als meine Mama ständig solche Dinge erzählte wie „Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist – ich bin jetzt immer so deprimiert und habe keine Lust mehr aufs Kochen!“ Da schellten bei mir die Alarmglocken! So etwas hat meine Mutti noch nie gesagt.

Sie hatte in der Vergangenheit gesundheitlich schon mit vielen Problemen zu kämpfen. Sogar den Schwarzen Hautkrebs hatte sie besiegt, als ich noch ein Teenie war! Aber nun war mein Gefühl ein ganz furchtbares. Sie erzählte uns dann ab und zu von ihren Problemen und zeigte uns einen „Knubbel“ an ihrem Arm, von dem sie vermutete, dass es eine Sehnenscheidenentzündung ist. Aber als sie dann an ihrem Geburtstag am 13. September 2018 nach einiger Zeit einfach so verschwunden war und wir sie dann mit schlimmen Schmerzen im Bett liegend fanden, war es für mich klar: Das bedeutet nichts Gutes!

Wie habt ihr von ihrer Diagnose erfahren?

Meine bessere Hälfte Robin und ich hatten ab Oktober für ein paar Wochen eine Reise nach Südostasien geplant. Meine Mutti wollte nicht, dass wir sie wegen ihr absagen – denn sie fing ja dann erst an, zum Arzt zu gehen und wurde von einem zum anderen geschickt. Das allein schon war eine lange Prozedur. Also begaben wir uns auf die Rundreise, auf der ich dann aber leider das Schlimmste erfahren musste: Es ist Lungenkrebs! Ab diesem Moment brach für mich meine kleine heile Welt zusammen und ich wollte einfach nur sofort zurück, denn wir waren ja so viele Tausende Kilometer von zu Hause weg … Meine Mama wollte nicht, dass ich die Reise abbreche und auch nicht, dass ich von der finalen Diagnose erfahre, deshalb war sie zuerst richtig sauer auf meinen Bruder, der es mir schließlich sagte!

Wir beendeten die Reise wie geplant, aber ich lebte nur noch in einer Blase und wusste nicht mehr, wo oben und unten ist. Zu Hause angekommen wurde uns dauernd Hoffnung gemacht, dass das Ganze operabel ist usw. – aber nach wochenlangem Hin & Her stürzte dann die nackte Wahrheit über mich herein: Eine Ärztin im Krankenhaus teilte mir unmissverständlich mit, dass meine Mama nicht mehr viel Zeit hat – und sie sich bereits damit abgefunden hat, dass es bald vorbei ist.

Wie hast du dich gefühlt, als du erfahren hast, dass deiner Mama nicht mehr viel Zeit bleibt?

In meinem Kopf drehte sich alles unentwegt – es ist einfach nicht zu beschreiben, welche Gedanken & Emotionen einen da ununterbrochen ereilen. Mit den Wochen lernt man zwar, zu funktionieren – aber alles andere geht irgendwie nicht mehr! Meine Mama war so taff, dass sie meinte: „Sie hat ihr ganzes Leben lang alles für uns getan und auch viel gelitten (sie hat ihre Mama mit Anfang 20 auch an den Lungenkrebs verloren) und nun kann sie nicht mehr und wir müssten jetzt mal stark sein und das irgendwie schaffen.“ Hmmm naja für sie war das irgendwie alles ok so, denn sie wollte nicht mehr – im Alter von 67 den Kampf gegen den Krebs zu verlieren, war für mich undenkbar und deshalb war ich so verzweifelt, dass sie nicht mehr kämpfen wollte. Jetzt – Jahre später – sehe ich das alles ganz anders und verstehe einige Dinge viel besser.

Wie liefen die letzten Wochen bis zu ihrem Tod ab?

Ich merke gerade, dass ich ein Buch über diese gesamte Zeit, die ja nicht länger als ein paar Wochen dauerte, schreiben könnte. Aber ich versuche jetzt mal weiterhin, alles kurz zusammen zu fassen. Als meine Mutti vom Krankenhaus Hoyerswerda (mein Geburtsort und Wohnort meiner Eltern) in die Klinik nach Dresden (mein Wohnort seit 2005) gebracht wurde – angeblich wegen eine Bestrahlung – wusste ich innerlich schon, dass sie nicht mehr dort raus kommen wird. Wollte es aber natürlich nicht wahr haben. So landete sie nach ein paar Tagen auf der Palliativ-Station, wo sie bis zum 20.12. noch einige Angehörige und Freunde empfing, um sich zu verabschieden. Diesen Menschen gab ich den Vorrang und organisierte fleißig alles, so wie ich es immer tat: Erstmal die Anderen.

Am 21.12. wollte ich dann auch endlich gern mal ein paar Stunden mit meiner Mama verbringen und plante, im Krankenhaus zu übernachten. Mein Papa schlief bei uns schon seit ein paar Tagen, damit er Mutti auch jeden Tag besuchen kann. Als mein Mann, mein Vati und ich morgens am Frühstückstisch saßen, klärten wir, was jeder von uns tut. Mein Mann hatte noch einen Termin und mein Papa wollte schon mal ins Krankenhaus fahren. Er meinte, ich könne ja dann hinterher kommen.

Vor seiner Abfahrt erzählte er mir dann noch von seiner Vision – kein Traum, wirklich eine Vision, als er nachts wach lag: Er sah Hirten auf einem Berg mit grüner Wiese und eine sehr lange Schlange von Menschen, die ihm fast alle bekannt vor kamen. Und plötzlich sprach ein Hirte zu ihm: „Mach Dir keine Sorgen, wir nehmen Deine Anita jetzt mit – bei uns ist sie in guten Händen.“ Ich bekam Gänsehaut und mir schossen die Tränen in die Augen – ich heulte wie ein Schlosshund in den Armen meines Vaters. Als er los gefahren war, sah ich einen verpassten Anruf aus dem Krankenhaus und wusste, was das zu bedeuten hatte. Ich rief zurück und eine der Palliativ-Schwestern sagte mir, ich solle sofort kommen – meine Mama wartet schon auf mich.

Keine Ahnung, wie – aber irgendwie kam ich am Vormittag des 21.12. im Krankenhaus an. Wie ferngesteuert war ich unterwegs. Scheinbar begleitete mich mein Schutzengel und verschaffte mir direkt vor dem Krankenhaus-Eingang sogar noch eine Parklücke, wo sonst nie eine frei ist. Ich schaute kurz auf die Uhr – es war genau 11:11 Uhr. Ich ging zu Muttis Zimmer, wo an der Tür so ein dickes Tuch hing, was die Tür ein Spalt aufhielt. Ich stürmte hinein, meine Mama drehte den Kopf in meine Richtung – während ich Jacke und Tasche von mir warf, um mich auf diesen einen Moment vorzubereiten, vor dem bereits ich mein Leben lang riesige Angst hatte.

Mein Papa saß auf der einen Bettseite, ich auf der anderen – sonst war keiner da, mein Bruder war auf der Arbeit und mein Mann bei seinem Termin. Sie kamen alle später dazu. Ich legte meiner Mama den kleinen Schutzengel in die Hand, den ich ihr vor einigen Wochen geschenkt hatte, um sie durch diese schwere schmerzhafte Zeit zu begleiten. Und plötzlich stand noch jemand neben mir – es war Muttis Physiotherapeutin, die mir gut zusprach. Ich schaute Mutti an, wie sie kurz seufzte und sah dann, wie sie ihren letzten Atemzug nahm. Dann fragte ich die Physiotherapeutin, ob es das jetzt war und sie nickte. Ab diesem Zeitpunkt war ich endgültig in einer Blase drin.

Wie hast du dich gefühlt, nachdem sie gestorben ist?

Einerseits spürte ich die Erleichterung der Seele meiner Mama, dass sie endlich diesen Schmerzkörper verlassen darf – aber andererseits wollte ich sie dennoch einfach nicht loslassen und lag ewig in ihrem Arm. Ich weiß gar nichts mehr von den kommenden Stunden – ich habe nicht mitbekommen, wie die anderen alle nach und nach eingetroffen sind, wie mein Bruder und seine Freundin all ihre Sachen zusammen gesucht haben und so weiter.

Ich weiß nur, dass ich am Abend, als wir dann wieder zu Hause waren, auf dem Hof draußen standen und etwas zu Mutti sagten und plötzlich pfiff eine Sturmböe quer über den Hof an uns vorbei.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Die Zeit bis zur Bestattung war geprägt von Nervenzusammenbrüchen und die Frage nach dem WARUM schwebte in jedem Moment mit. Ich konnte das alles nicht begreifen! Ich wollte meine Mutti doch noch so viel fragen und ihr noch von meinen Träumen erzählen und überhaupt … Hätte ich meinen Mann nicht gehabt – keine Ahnung, wo ich da jetzt wäre bzw. wie ich da jetzt wäre. Er hat mich zu jeder Zeit sowas von selbstlos unterstützt, mir und meinem Papa so vieles abgenommen! Selbst beim Bestatter hat mein lieber Seelenmensch meinen Paps und mich so toll unterstützt! Er ist das Beste, was mir je passiert ist.

Gab es etwas in dieser Zeit, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ja klar mir ist vieles in Erinnerung geblieben, vor allem das Weihnachtskonzert der „medlz“ – die beste weibliche A capella Band, die es auf Erden gibt! Meine Mama hat sie ebenso vergöttert. Da das Konzert am 22.12.2018 war, konnte meine Mama ja leider nicht mehr dabei sein. Sie hatte aber schon lange vorher auch eine Karte, weil wir dachten, dass es noch klappt. Da wir uns privat schon etwas kannten, schickte ich der Band noch vor dem Tod meiner Mama eine Sprachnachricht und bat sie, mir für meine Mama ein Weihnachtsgeschenk zu erfüllen. Prompt taten Sie es, obwohl sie gerade auf Tour waren: Sie schickten meiner Mama ein tolles Ständchen (ein herzerwärmendes Gospel-Lied) und gaben ihr danach noch ganz liebe persönliche Worte mit auf den Weg. Als ich meiner Mama zwei Tage vor ihrem Tod das Video zeigte, liefen ihr viele Tränchen die Wange hinunter.

Nachdem wir am 22.12. beim Bestatter in Hoyerswerda alles geklärt hatten, fuhren wir direkt zum Weihnachtskonzert der „medlz„ nach Dresden und schafften es gerade so zum Beginn des Konzertes. Bine – die Frontfrau der Band – hat für uns als Familie und Freunde eine ganze Kirchenbank reserviert und mir zudem noch ein tolles Buch zum Thema (ihr eigenes) mit persönlicher Widmung hingelegt. Wir alle spürten Muttis Seele in der Kirche herum fliegen und wussten, alles ist richtig so, wie es gerade ist.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung war der erste Tag nach einer langen düsteren Schlechtwetter-Zeit, an dem endlich die Sonne wieder schien. Wow – magic! Denn ab dem Todestag meiner Mama zur Wintersonnenwende 2018 bis zum Tag der Bestattung am 18. Januar war kein einziger Sonnenstrahl zu sehen gewesen. Ich ging am Morgen vor der Bestattung noch für mich allein eine Runde spazieren und war dann bereit für den „offiziellen“ Abschied.

Die Bestattung war auf jeden Fall ein wichtiger Schritt für meinen Abschied bzw. für unser aller Abschied. Da sah ich erstmals, wie geschätzt meine Mutti war – es kamen weit über 100 Menschen! Ich traute meinen Augen nicht! Viele mussten sogar draußen stehen, weil im Raum kein Platz mehr war! Das war alles sehr wertvoll für mich – ich habe noch niemals zuvor in meinem Leben so vielen Menschen hintereinander die Hand geschüttelt.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Als ich mich wieder etwas aufgerappelt habe, versuchte ich irgendwie nach vorn zu blicken, was mir an manchen Tagen besser gelungen ist und an anderen wiederum schlechter. Vom Gefühl her weiß ich ja, dass Mutti „nur“ in einen anderen Raum gegangen ist und es fühlte sich immer noch so an, als würde sie bald wieder durch unsere Tür kommen.

Was hast du unternommen, um besser mit deiner Trauer zurecht zu kommen?

Ich habe mich dazu entschieden, selbst etwas in die Hand zu nehmen und für mich selbst zu tun. Meinen Kurantrag habe ich direkt nach der Beerdigung gestellt und ein paar Monate später auch bewilligt bekommen. Weiterhin habe ich beschlossen, mir psychologische Hilfe zu holen, aber da ist es genauso: Man kommt erstmal auf eine Warteliste, weil keiner Kapazitäten frei hat! Ich habe dann ein wenig mit Menschen von Fach aus meiner unmittelbaren Umgebung gesprochen – Bekannte sozusagen. Das half mir etwas.

Außerdem wollte ich doch schon immer mal sowas wie eine Fastenkur machen. Dahingehend brachte mich meine liebe Physiotherapeutin auf eine Idee, die ich dann auch – zusammen mit meinem Mann Robin – in die Tat umsetzte: Eine geführte Fastenkur auf Hiddensee mit verschiedenen Kursangeboten. Das hat mir ungemein geholfen, in einer Gemeinschaft zu sein, die mir zuhörte. Menschen in meinem näheren Umfeld zu Hause – ja sogar die Familie – schaffte das nicht! Viele Freunde wendeten sich in meiner schlimmsten Lebens-Phase sogar von mir ab! In dieser folgenden Zeit habe ich so viel über mich, mein Leben und meine Umgebung gelernt.

Darüber hinaus habe ich damit angefangen, Meditation zu üben und mich somit zu entspannen und in mein Herz zu gehen. Ich habe mich somit gegen eine psychologische Behandlung entschieden, sondern suchte mir alternative Möglichkeiten, die mehr meiner Natur und meinem Glauben entsprechen. Auf diesem Weg traf ich dann tolle Menschen, mit denen ich mich austauschen konnte und meine Gefühle und Emotionen teilen konnte. Ich habe angefangen, meine Blockaden durch Bioenergetische Anwendungen zu lösen und kam anhand einer umfassenden Lebensberatung wertvolle Impulse für mein Leben. Seitdem hat sich noch einmal mehr ganz ganz viel verändert und ich lebe endlich MEIN Leben und nicht mehr nur das der anderen. Auch die Themen Sterben & Tod sehe ich heute aus einem ganz anderen Blickwinkel und mich kann nie wieder im Leben etwas so sehr schockieren oder schwächen. Ich habe Erkenntnisse gewonnen, die mich intuitiv schon immer begleitet haben.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Die Trauer an sich ist verschwunden, wobei es an gewissen Tagen immer noch so etwas wie Schmerz gibt. Aber ich versuche an diesen Tagen dann immer etwas Schönes zu machen, weil keine Seele will, dass man ihr ewig hinterher trauert! Liebevolle Erinnerungen sind für immer in meinem Herzen. Jeden Tag zünde ich symbolisch eine Kerze für meine Mama an und ich erzähle ihr von den Dingen, die in meinem Leben passieren. Ich bin kein Mensch, der dazu auf den Friedhof gehen muss – ich mache das immer & überall … Ich trage sie im Herzen, bis ich selbst den Raum wechsle. Mein Frieden habe ich darin gefunden, zu glauben, dass die Seele unsterblich ist und wir alle unseren Seelenplan verfolgen sowie unseren Seelenweg gehen sollten – denn wenn wir das tun, handeln wir aus unserem Herzen und wir wissen, dass der „Tod“ nicht das Ende ist.

Wir nehmen dich nach deinem Verlust an die Hand

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