Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?
Mein Vater ist am 07.12.2017 gestorben, das ist nun ziemlich genau drei Jahre her. Ich war kurz zuvor auf einer sechswöchigen Urlaubsreise in Südamerika und sehr froh, dass ich drei Tage vor dem Tod wieder zurückgekommen bin und noch die letzten Stunden zusammen mit meinem Vater verbringen konnte.
Zu dem Zeitpunkt lag er bereits seit einer Woche im Krankenhaus und es war klar, dass er bald einschlafen wird, da der Krebs sich bereits so verteilt hatte, dass auch die Chemotherapie nicht mehr angeschlagen hatte. Es war, als ob Papa nur noch auf mich gewartet hatte.
Als ich direkt vom Flughafen angekommen bin, konnten wir uns noch einigermaßen gut unterhalten, aber schon nach wenigen Stunden war Papa zunehmend erschöpft und es fiel ihm schwerer zu sprechen und sich zu bewegen. Eigentlich war ich fast durchgehend bis zu seinem Tod bei ihm. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass er keine Schmerzen hat und friedlich einschlafen würde. Zum Glück hat er vorher noch selber mit der Ärztin abgesprochen, welche Schmerztherapie er sich wünscht und ich war sehr dankbar, dass ich mich nicht damit auseinander setzen musste.
Kurz vor dem Todeszeitpunkt war ich nicht im Krankenhaus, aber als mich meine Mutter anrief, bin ich sofort wieder ins Krankenhaus gefahren und war dann auch noch bei ihm. In seinen letzten Stunden war er zu keiner Zeit alleine. Natürlich war ich währenddessen und auch schon vorher, als ich wusste, das sein Leben zu Ende geht, sehr traurig. Ich habe unglaublich viel geweint und mich oft gefragt, ob auch alles gesagt wurde, was ich meinem Papa noch mitgeben wollte – irgendwie war dann doch weniger Zeit als ich vorher erwartet hatte.
Auch wenn ein paar Wochen vorher klar war, dass er bald sterben könnte, habe ich diesen Gedanken sehr verdrängt. Da auch er selber seine Krankheit nicht so oft thematisiert hat, wusste ich nicht abzuschätzen, dass nur noch so wenig Zeit bleibt und dass es so schlimm um ihn steht. Er hatte ein Jahr vor seinem Tod noch eine große OP und ich dachte, dass er dadurch noch viele Jahre zu leben hätte.
Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?
Die Zeit bis zur Bestattung habe ich sehr durchwachsen und turbulent erlebt. Es gab viel zu tun, vor allem mussten weitere Angehörige und Freunde über das Ereignis informiert, Trauerkarten geschrieben und gleichzeitig sehr viel organisiert werden. Besonders weil die Bestattung nicht am Todesort, sondern 600 km entfernt stattfand, wo das Familiengrab der Familie meines Vaters liegt und die restlichen Verwandten wohnen. Meine Eltern sind getrennt und ich habe keine Geschwister, so dass ich als Tochter die nächste Angehörige bin und mich dadurch um einige Sachen alleine kümmern musste, auch wenn meine Mutter mich bei allen Dingen, bei denen es ihr möglich war, unterstützt hat.
Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?
Durch einige Formalitäten, nämlich dadurch, dass die Urne von uns persönlich in ein anderes Krematorium gebracht werden musste, war die Erdbestattung nicht am gleichen Tag wie die Trauerfeier möglich. Auch für Freunde in Bonn war es nicht möglich, nach München zur Bestattung oder zur Trauerfeier zu kommen. Daher haben wir dreimal Abschied genommen: Am Tag der Trauerfeier, am Tag der Urnenbeisetzung und am Tag seines 65. Geburtstages, den er leider nicht mehr mit uns zusammen feiern konnte, wir aber ein ganz kleines „Erinnerungsfest“ gemacht haben.
Die Trauerfeier war wunderschön gestaltet und hat mir sehr geholfen, nochmal sein Leben Revue passieren zu lassen. Auch die Vorbereitung, das Heraussuchen von Liedern, die ihn begleitet haben und das Verfassen von Erinnerungen an meinen Vater, an denen ich alle teilhaben lassen wollte, haben mir geholfen, zu akzeptieren, dass die Lebenszeit begrenzt ist und er trotz seines sehr frühen Todes viel bewirkt hat und viel Einfluss auf mein Leben hatte und auch immer noch hat. Besonders wertvoll habe ich erlebt, zu sehen, dass viele Menschen gekommen sind, um gemeinsam Abschied zu nehmen und sich gegenseitig zu trösten.
Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?
In den Monaten nach dem Tod mussten extrem viele organisatorische Sachen erledigt werden. Ich habe die Wohnung komplett aufgelöst und dabei viele persönliche Gegenstände und Erinnerungen meines Vaters entdeckt. Bestimmte Gegenstände haben vergessene Kindheitserinnerungen wieder geweckt und in diesen Momenten habe ich meinen Vater ganz besonders als Person, mit der ich diese Erinnerung teile, mit der ich mich jedoch nicht mehr austauschen kann, vermisst.
Ich fand oft, dass ich den Dingen gar nicht gerecht werden konnte und fand mich nicht wohl dabei, zwischen „kann weg, wird nicht mehr gebraucht“, „behalte ich“ und „entscheide ich später“ entscheiden zu müssen. Für meinen Vater waren fast alle seine (nicht unbedingt materiellen) Dinge wichtig und ich wusste, dass er sie gerne aufbewahrte. Trotzdem musste ich mich irgendwie von dem Gedanken lösen, alles festhalten zu wollten.
Noch immer habe ich sehr viele Dinge, die ich noch nicht weggeben möchte, aber auch nicht gebrauchen kann und mindestens genauso viele besondere Dinge, die ich geerbt habe und die einen ganz persönlichen Erinnerungswert haben. Ich glaube, auch diese Dinge helfen mir, an meinen Vater und unsere Beziehung zu denken, wann immer ich damit in Berührung komme und zu hoffen, dass er sich freut, dass diese Dinge noch weiterhin Freude bereiten – wie z. B. sein Fahrrad, dass früher er fuhr und das jetzt täglich mich durch die Gegend trägt.
Wie schaust du heute auf alles zurück?
In den ersten Wochen habe ich jeden Tag an meinen Vater gedacht. Mittlerweile ist es weniger geworden, ohne dass er in Vergessenheit gerät. Ich denke, dass ich den Verlust meines Vaters akzeptiert habe und mittlerweile gut damit umgehen kann. Mir hilft es, sehr offen mit Freunden, Angehörigen und Gleichgesinnten über den Tod meines Vaters zu sprechen. Außerdem hilft es mir, ein Grab als Ort des Abschieds und der Verbindung zu haben. Dort kann ich auch örtlich meinem Vater nah sein. Gedanklich kann ich das jederzeit. Manchmal beruhigt es mich, eine Kerze anzuzünden und dabei ganz besonders an meinen Papa zu denken.