TRAUERNDE ERZÄHLEN

Lio

Lio ist im Jahr 2020 plötzlich verstorben. Hier erzählt seine Mutter über ihre Erfahrungen im Umgang mit dem Tod und der Trauer.

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Es war der 16.09.2020 – ich wachte auf als der Wecker klingelte um meinen Großen für die Schule zu wecken. Am Handy eine neue Nachricht von meiner Mama, ihr Papa ist soeben verstorben. Mein Opa ist friedlich eingeschlafen.

Wir haben uns schon alle von ihm verabschiedet und doch war es hart. Ich stand auf, führte Telefonate, kümmerte mich um Babysitter, verabschiedete den Großen. Kurze Zeit später stand meine Tochter auf, ich sagte noch zu ihr, dass ich nun meinen Kaffee austrinke und dann wecken wir Lio bevor ich sie für den Kindergarten fertig machen würde.

Es war 7.17 Uhr, ich möchte ihn wecken – er bewegte sich nicht. Ich nahm in hoch und rannte ins Wohnzimmer zum Handy und setzte den Notruf ab, unter Anleitung und vor den Augen meiner 4-jährigen Tochter begann ich mit der Reanimation. Kurze Zeit später kamen die Sanitäter und der Notarzt, ich bin mit meiner Tochter aus der Wohnung gestürmt um sie zu den Vermietern hoch zu bringen. Als ich wieder runter in die Wohnung kam, schüttelten die Helfer schon den Kopf: Es war zu spät.

Was ist unmittelbar nach seinem Tod passiert?

Ich weiß noch, dass ich telefoniert habe, mit meiner Mama und meinem Mann… Ich habe organisiert wer meinen Großen von der Schule und meinen Mann von der Arbeit holt. Irgendwann war der ganze Hof voll, alle unsere Freunde und Familie waren da. Es kam das Kriseninterventionsteam, die Polizei und die Kripo… Man kommt sich vor wie ein Verbrecher, darf seine Wohnung nicht mehr betreten. Aber es gibt halt leider auch Menschen die ihren Kindern böses tun, im Nachhinein versteht man wieso so gehandelt wird.

Gab es zuvor Anzeichen für seinen Tod?

Lio war in der Nacht zuvor kränklich, nichts was wir nicht schon gekannt hätten, er hatte von Anfang an mit Bronchitis zu kämpfen. Und doch hätte ich nie gedacht, dass er uns genommen wird.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Die erste Zeit erlebt man wie in Watte gehüllt. Man versteht die Welt nicht mehr und auch heute ist es immer noch unverständlich.

Was hat euch in dieser schweren Zeit geholfen?

Unsere Familie und Freunde waren uns in dieser Zeit die größte Stütze. Lio’s Pateneltern kümmerten sich um alles was mit der Bestattung zu tun hatte. Sie suchten seinen Sarg aus und nahmen uns einfach alles ab so gut es ging.

Wir sind so dankbar um unser soziales Netzwerk. Ich kann nur an jeden appellieren: Wenn so etwas Unglaubliches in eurer Familie oder in eurem Freundeskreis passiert, seid einfach nur da. Lasst die Eltern nicht allein!

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Es war ein sonniger Tag im September. Nur die wichtigsten Menschen ließen wir teilnehmen. Die Sängerin spielte so wunderschön für unseren Sonnenschein, wir ließen Lio Luftballons in den Himmel steigen an denen Schnuller hingen – wir wissen ja nicht ob er dort oben jemanden hat der ihm immer stundenlang Schnuller suchen kann, so wie wir, und nun hat er unendlich viele. Zu deinem Lieblingslied „Dance Monkey“ wippten wir alle mit, so wie unser Lio zu Lebzeiten.

Richtig realisieren konnte man es auch am Tag der Beerdigung nicht, aber was uns wieder besonders in Erinnerung geblieben ist, ist die Unterstützung von unserer Familie und unseren Freunden.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Ich fühlte mich vom ersten Moment an leer. Weinen fiel mir ganz schwer, ich wehrte mich richtig dagegen, ich hatte immer das Gefühl wenn ich es zulasse, dann wird es zur Realität, dann ist es wirklich so dass mein kleiner Wirbelwind nicht mehr da ist. Ich weiß, dass das total irrsinnig ist, aber Trauer hat einfach viele Gesichter.

Was hat dich in dieser Zeit angetrieben, was hat euch Halt gegeben?

Ich versuchte und versuche noch immer so gut es geht für meine Familie eine Stütze zu sein. Meine 2 Kinder an der Hand geben mir so viel Kraft. Wir sind seitdem in psychologischer Behandlung und auch diese Gespräche helfen ungemein.

Mein Antrieb mich nicht gehen zu lassen ist immer der Gedanke, dass meine Kinder mich lebensfroh kennen und ich keine verbitterte Frau werden möchte. Ich bin gebrochen, ja das bin ich, aber trotzdem möchte ich mein Himmelskind stolz machen, indem ich für ihn mitlebe, mitlache und mitliebe.

Gab es etwas, was besonders schlimm für dich war?

Wir wohnen auf einem Dorf und was da für Gerüchte kursierten ist wirklich gruselig. Traurig, dass man anstatt Mitgefühl zu haben noch immer nachtreten muss. Das ist auch der Grund weshalb ich oft ein schlechtes Gewissen habe wenn ich außer Haus lache, aus Angst was die Leute nun wieder über mich berichten… Doch sollten alle einfach nur froh sein nie so einen Schicksalsschlag erlebt zu haben. Unser Schmerz ist groß genug, das kann ich jedem versichern.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Da es bei uns erst 10 Monate her ist, ist die Trauer noch sehr frisch. Doch sie wird auch in 10 Jahren nicht vergangen sein, die Trauer ist von nun an unser täglicher Begleiter.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Lass dich tragen von deiner Familie und deinen Freunden. Suche dir Hilfe von Psychologen, es hilft wirklich ungemein. Und lebe deine Trauer so wie du sie leben willst, egal wie andere über dich urteilen.

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