Enwa

Storytelling Parents

Wie hast du die Zeit erlebt, in der du wusstest, dass sie sterben wird?

Ich habe meine Mutter nicht nur die letzten 5 Monate ihres Lebens fast täglich besucht, sondern 4 Jahre jeden Tag auf diesem Weg, den sie nie wirklich akzeptieren wollte, begleitet – einige Silvester, Jahresübergänge und Skiurlaube ohne sie verbracht, und auch davor schon. Sie konnte einfach nicht mehr, aber manche Traditionen wurden dennoch auch auf anderen Wegen weitergeführt. Die Zeit bis zum Tod waren mit sehr vielen Besuchen verbunden, mit Geschichten vorlesen und erzählen. Darin war mein Vater um einiges besser als ich. Ich habe die Zeit einfach genutzt, da zu sein und Zeit zu haben (auch, wenn es schwer war und sich daran zurückzuerinnern immer wieder schwer ist). Der Tod stand nie im Vordergrund. Es gab nie das Ende, bis auf die letzten Wochen davor, wo es einfach nur noch ein Warten war.

Wie hast du sie in den letzten Stunden vor ihrem Tod begleitet?

Am Todestag selbst hatte ich Schule. Es war die erste Schulwoche nach den Ferien – eine neue Klasse, einige Altbekannte und sehr gute Freunde. Ich wollte nicht so viel verpassen und wollte nicht einfach fehlen. Und da wir vorher schon einen Zeitraum wussten, wann die Herzmaschine ausgestellt werden sollte, war das der einfachste Weg nicht zu viel darüber nachzudenken. In der großen Pause bin ich gegangen. Die ganze Familie traf sich und jeder hatte nochmal ein bisschen Zeit, sie zu besuchen und um Abschied zu nehmen.

Es war seltsam auf etwas zu warten, weil man wusste, dass es passiert und trotzdem surreal, als es auf einmal da war. Als es dann so weit war, sollte ich nicht mehr ins Zimmer rein. Ich wollte eigentlich, aber auch so war es schlimm genug. Ich habe draußen vor dem Zimmer mit meinem Opa gewartet. Er hat mir eine Geschichte vom kleinen Prinzen und dem Fuchs erzählt und über das Geben und Zurückgeben. Auch wenn ich sie nicht mehr zusammenbekomme, hat die Botschaft dahinter gezählt.

Entchen und Waldo, ein Stoffentchen und ein Bernhardinerstoffhund, je handgroß, haben immer die Geräte überwacht und bis zum Ende alles kontrolliert. Alle meine Stofftiere haben Namen, also brauchten die beiden auch einen. „Waldo und der Oberförster“ war das Lieblingspixiebuch meiner Mom und der Hund sah genauso aus. Und Entchen erklärt sich selbst. Stille. Piep. Piep. Piep. Das rote Alarmlicht leuchtet auf. Ein kurzer Schockmoment. Geht etwas schief? Doch was soll eigentlich schief gehen? Kurz später warteten wir dann (die Ärzte meinten, es könne Stunden und Tage dauern) und irgendwann ist es dann passiert. Stille. Kein Piepen mehr, kein monotoner Beat. Nichts.

Wie hast du die Zeit bis zur Bestattung erlebt?

Zwischen dem Todestag und der Bestattung lag eine Woche. Da wir es vorher wussten, war alles irgendwie schon geregelt und geplant. Einige letzte Dinge mussten noch organisiert werden, aber im Großen und Ganzen war es vorher schon vereinbart, wie es abläuft. Eine Woche später… In der Schule war ich in Gedanken woanders. Ich habe nicht komplett teilgenommen. Ich habe aber auch nicht gesagt, was los ist. Ich wollte einfach nur, dass es weitergeht.

Dienstag, 4 Tage später… In der Mittagspause gehe ich nach Hause. Ich habe Nachmittagsunterricht, aber das ist mir egal. Ich kann nicht mehr. Ich habe Hunger und mir ist schlecht. Es ist der Tag, an dem meine Klasse es erfährt – wie als hätte ich es gewusst. Ich hätte es gerne selbst gesagt oder miterlebt, aber ich weiß auch, dass es besser war, nicht anwesend zu sein. Ich habe von einer Freundin, die es vorher schon wusste, die Stimmung und Reaktionen bekommen. Ich hätte es gern miterlebt. Und doch ist es besser so.

Es war seltsam, die Tage danach in die Schule zu gehen und zu wissen, dass die anderen es wissen, auch wenn sie es lange nicht ganz wissen und nur einen Bruchteil des Ganzen. Ich wollte Normalität und die bekam ich größtenteils. Immer noch die Woche. Sie neigt sich dem Ende zu. Meine Abwesenheit ist nicht unbemerkt, aber auch verständlich. Ich gehe in der ersten Pause. Ein Klassenkamerad fragt, wieso. Es ist feige gewesen und ich würde es gern ändern, aber so 6 Jahre später auch etwas komisch, vor allem, weil es mittlerweile eh vergangen ist, aber ich konnte den Grund nicht sagen. Ich war nicht bereit dazu und habe einfach nur gesagt, dass es so ist. Er weiß wieso und trotzdem fühlt es sich falsch an, dass ich es nicht einfach sagen konnte.

Wie hast du den Tag der Bestattung in Erinnerung?

Es war der Tag der Beerdigung. Ich hatte anderes im Kopf als auch noch zu sagen, wieso ich gehen musste. Es war sonnig. Es gab einen Gottesdienst und einige Lieder, die sich meine Mom gewünscht hat. Anschließend gab es noch ein Beisammensein mit Kuchen. Es war ein komischer Tag und trotzdem sehr schön.

Abends hat es dann geregnet und es gab über dem Haus einen Regenbogen, gerade als wir dann nach Hause kamen. Eine Bestattung, welcher Art auch immer, gehört dazu und bildet einen Abschluss. Es war sehr emotional und ich hab es leid, dass alle sagen, dass es ihnen Leid tut. Denn auch, wenn es nicht einfach ist, weiß und wusste ich, dass es besser so ist.

Einige Tage später war im familiären Kreis die Beisetzung auf dem Friedhof. Es ist nicht einfach, an diesen Ort zu gehen und doch immer wieder schön. Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass die Verstorbene sich ihren Platz vorher selbst ausgesucht hat und eigentlich diesen Weg mit der Planung vorher, in der Nacht, in der sich alles änderte, bevor eine lange Zeit begann, bereits beschritten hatte.

Wie hast du die Zeit nach der Beerdigung wahrgenommen?

Die ersten 12 Monate danach… Das Leben geht weiter. Ein neuer Alltag beginnt und doch wird der alte fortgeführt. Man hatte knapp 5 Monate Zeit sich darauf vorzubereiten und doch ist es anders, wenn es dann endgültig so ist. Es musste sich neu einspielen und doch ging es weiter wie davor. Für mich war der Tag, an dem es passiert ist, wie eine Hölle. Ein Fluch, der nicht enden wollte. Es war seltsam, als diese Höllentage weniger wurden und dass sie nur noch punktuell auftreten, aber es ist auch schön.

Was hat dir in deiner Trauer geholfen?

Mir hat es geholfen, jeden Tag kleine Briefe zu schreiben und einfach von meinem Tag zu erzählen, aber genauso, einfach alleine zu sein. Trauer hat sich mit der Zeit gewandelt. Die Todestage haben sich gewandelt und jeder einzelne ist individuell verschieden. Himmel und Hölle zugleich. Trauer ist ein Prozess. Ähnlich wie Depressionen und doch komplett gegenteilig. Man entwickelt sich mit und lernt. Es gibt nie das Alter, in dem man bereit dafür ist, aber man lernt mit der Zeit, damit umzugehen.

Mir haben zudem kreative Trauergruppen mit anderen jugendlichen Trauernden geholfen. Ohne Worte, einfach kreativ austoben. Dann zunehmend Stück für Stück erzählen können, was passiert ist bis hin zu dem Punkt, dass man es erzählt, weil es wie die eigenen Narben ein Teil der Geschichte ist. Ich bin froh, es teilen zu dürfen, da es Teil des Verarbeitens ist und gleichzeitig die Angst nimmt, es zu vergessen je weiter die Zeit vergeht.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Doch eins weiß ich auch fast 6 Jahre später. Das Leben geht weiter und mit ihm die Trauer und endlose Verbindung. Und so stark auch andere Tage wiegen und der Ablenkung dienen, dieses Erlebnis wird immer präsent bleiben und nicht mit der Zeit vergehen, sondern jedes Jahr aufs Neue an gleicher Stelle stellen.

Die Angst des Vergessens gehört dazu, doch sie wird ersetzt durch das Erinnern. Gemeinsam statt einsam. Entchen und Waldo haben mich immer begleitet und mir zugehört. Sie haben mir geholfen, erst mal selbst es zu verarbeiten und ein kleines Zeichen von „ich bin da“ zu senden.

Wie waren die Reaktionen aus deinem Umfeld?

Meine Freunde und Klassenkameraden haben geholfen, da sie den Wunsch nach Normalität respektiert haben und trotz des Wissens es nicht in den Vordergrund gestellt haben. Mittlerweile kann ich zwar sagen, dass es den Freundeskreis davor und den danach gibt, aber es gibt auch ein paar wenige, die beide Seiten und Zeiten kennen, auch wenn sich so manche Wege trennen und getrennt haben. Nicht zwingend dadurch, aber sicherlich auch.

Die ganze Klasse hat eine Karte geschrieben, es gab einige stille Umarmungen und Zeichen von „wir sind da“, aber das Wichtigste war mir, einfach weiterzumachen wie davor und keinen Unterschied zu machen und ich bin sehr dankbar, dass dieser Weg meistens so geklappt hat.

Hast du auch Reaktionen von deinen Mitmenschen erlebt, die dich verletzt haben?

Ich habe auch manche Situationen mit unpassenden Bemerkungen gehabt, eine von meiner Pfarrerin, die selbst Seelsorgerin ist und irgendwo den Prozess durch meine Konfirmandenzeit kannte. Ich weiß, wie es gemeint war, aber sie kann nicht erwarten, dass ich 30 teils fremden Leuten einfach meine Geschichte erzähle, damit sie anfangen, etwas zu machen und ihren Glauben festigen.

Ich muss dazu sagen, dass ich seither nicht mehr so regelmäßig und oft in die Kirche gegangen bin, auch wenn ich nie streng gläubig war oder so, einfach, damit ich sie nicht mehr sehen musste. Mittlerweile sind neue Pfarrer da und ich bin auch darüber hinweg, aber vor allem, weil es am zweiten Todestag war, war das ziemlich unangebracht, dieses Ereignis zu neutralisieren und darüber hinwegzusehen. Und so gibt es nicht nur im Glauben und der Kirche immer wieder Momente der Rückschläge, Verletzbarkeit und der Trauer, sondern auch so im Alltag. Meistens, wenn irgendetwas einen daran erinnert oder man etwas damit verbindet.

Würdest du sagen, dass die Trauer verschwunden ist oder dass sie immer noch ein Teil deines Lebens ist?

Heute, 5 Jahre und 298 Tage später (zum Zeitpunkt, wenn ich das schreibe), kann ich sagen, dass es nie leichter, nur anders wird. Dass es Momente gibt, die bleiben, auch wenn Jahre vergehen und dass es die Erinnerungen an diese geliebten Menschen sind, die uns den Schmerz verspüren lassen.

Doch wenn ich eins sagen kann, dann, dass ich an diesem Weg gewachsen bin und schon viel gelernt habe und dies ein niemals endender Prozess sein wird. Kleines Eichhörnchen, bitte hör nie auf mich zu besuchen, denn du bist so viel stärker als du denkst und so viel mehr als du glaubst, auch wenn die Trauer manchmal meine Kraft raubt. Trauer verschwindet nie, sie verändert und entwickelt sich und doch bleibt sie ein Bestandteil, der niemals verschwinden wird.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Lerne, mit der Trauer umzugehen und sie zu teilen, denn gemeinsam trägt sie sich leichter. Erinnere dich an die schönen, gemeinsamen Momente und lebe für diese Person(en) weiter, denn sie würden nicht wollen, dass du dich in einer Höhle versteckst, während draußen das Leben wartet. Habt andere Leute um euch, die euch zuhören, auch wenn ihr einfach nur schweigt. Ihr seid mit eurer Trauer nie allein, doch mit dem Leben auch nicht. Daher gibt es und wird es immer wieder Rückschläge geben, Tage, an denen die Trauer stärker und präsenter ist, doch das ist kein Grund, das Leben nicht zu leben und erleben. Sei glücklich alle Tage lang!

Rita

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Meine Mutter ist an unheilbarem Krebs verstorben. Es war am 04.09.2009, ein Freitag. Meine Mutter war schon länger bettlägerig und mein Vater hat meine Schwester (damals 18) und mich (damals 17) im Januar 2009 darauf eingestellt, dass unsere Mutter das Jahr wahrscheinlich nicht überleben wird. Mein Bruder war zu jung um das sofort zu erfahren (haben wir zumindest gedacht).

Da es also absehbar war, dass meine Mutter dem Tod entgegen geht und von Tag zu Tag schwächer wurde, haben wir versucht, alle Wünsche zu erfüllen, die sie noch hatte. Zum Glück ist mein Vater beruflich gut aufgestellt und konnte so als Privatpatient vieles möglich machen. Der Größte Wunsch meiner Mutter war es, zu Hause zu versterben. Also wurde unser Wohnzimmer im Jahr 2009 schnell zu einem Krankenzimmer. Ein entsprechendes Bett und sämtliche Geräte und Arzneien waren ab sofort Teil der Einrichtung.

Wir und meine Tanten und Onkel, Omas und Opas haben uns ab Juni mit Nachtwache abgewechselt. Schule und der Sport (Fussball) hat mir sehr geholfen, mich abzulenken.

Freitags morgens kam dann mein Vater ins Zimmer, weckte mich und sagte, dass Mama es geschafft hat. Am Ende war es mehr eine Erlösung, sowohl für sie als auch für die gesamte Familie. Da der Zeitpunkt abzusehen war, kam es nicht ganz überraschend. Trotzdem nimmt es einen sehr mit wenn es dann soweit ist. Ein bisschen Hoffnung bleibt ja doch bis zum Schluss.

Wie hast du auf den Tod reagiert?

Ich war wie gelähmt. Hätte ich mir vorher nie ausmalen können eine Leiche zu berühren, war nun ich derjenige, der meine Mutter nicht gehen lassen wollte. Alle Verwandten und engen Freunde kamen vorbei. Ein guter Freund der Familie hatte zu dem Zeitpunkt ein Bestattungsinstitut und kam im Laufe des Tages vorbei.

Bestimmte Gedanken oder Gefühle kann ich gar nicht beschreiben. Ich weiß aber noch, dass ich an dem Tag abends ein Saisonspiel hatte und auch tatsächlich hingegangen bin, um mich abzulenken. Letztlich war es dennoch nicht ich, der auf dem Platz stand, sondern nur meine Hülle. Abends saßen wir mit der ganzen Familie zusammen und haben zusammen geweint, uns erinnert und getrauert. Am Tag des Todes hatte meine Tante Nachtwache. Im Nachhinein bin ich froh, dass es sie war und nicht ich.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Meine Mutter wurde genau eine Woche später beerdigt. Das kuriose ist, dass sie ihre Beerdigung selbst geplant hat. Sie wollte verbrannt werden und jeder der wollte konnte zur Beerdigung kommen. Es waren mehr als 200 Leute da. Aber ich hab nur ein Menschenmeer gesehen und war total in mich gekehrt. Ich wollte mit keinem Reden, sondern nur für mich, meine Geschwister und meinen Vater da sein.

Da ein Bekannter das Bestattungsinstitut leitete, hat er alle Aufgaben diesbezüglich übernommen. Den Rest hat mein Vater erledigt, mit unserer Unterstützung. Was mir besonders in Erinnerung blieb ist, dass meine Mutter sich 2 Lieder ausgesucht hat, die auf der Beerdigung gespielt werden sollten. Und diese Lieder liefen auch. Wenn ich die jetzt hier und da nochmal anhöre kommt einiges hoch und meistens könnte ich wieder anfangen zu weinen…

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung war aus meiner Sicht schön in dem Sinne wie eine Bestattung eben schön sein kann. Es hat mich gefreut, dass so viele Leute erschienen sind um Abschied zu nehmen, dass meine Mutter selbst z.T. die Beerdigung geplant hat und dass es ein schöner, sonniger Tag war.

Die Bestattung an sich hat einen Schlussstrich unter die sehr lange Woche gezogen. Es war ein wichtiger Schritt, definitiv. Meine Schwester saß noch wochenlang mit einem Campingstuhl am Grab (Es ist ein Wiesengrab, also sieht man nur eine Bodenplatte auf einer Wiese).

Nach der Beerdigung kamen die engsten Freunde und die Verwandten mit zu uns. Wir haben das ganze Wochenende meine Mama nochmal „hochleben“ lassen und sind in Erinnerungen versunken.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Trauer als Gefühl kann ich nicht beschreiben. Ich glaube, ich trauere immer noch. Auch anders als meine Geschwister oder mein Vater. Aber viel Zeit zum Trauern blieb uns leider nicht. Mein Vater fand sehr schnell eine neue Frau und diese zog sehr schnell bei uns ein. Viele neue Situationen und Menschen…das war keine leichte Zeit.

In dem Zusammenhang gab es Rückschläge und viele Tränen. Man vergleicht die neue Frau immer mit seiner Mutter oder fragt sich, wie der Vater so schnell eine Neue suchen/finden konnte. Das ganze hat unsere Familie inklusive Verwandten leider in zwei Lager geteilt, so dass nichts mehr wie vorher war. Das war eine sehr traurige Zeit.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Ich würde sagen, Trauer verschwindet nicht. Zumindest nicht, wenn man einen Menschen verliert, der einem so nahe steht wie Mutter oder Vater. Sie begleitet einen ständig. Die Trauer zu akzeptieren ist schwer.

Gab es etwas, was dir Hoffnung gegeben hat?

Nach dem Tod meiner Mutter lernte ich einen brasilianischen Austauschschüler kennen. Er zog zu uns für ein Jahr und ich durfte im Gegenzug ein halbes Jahr nach Brasilien. Das hat mir sehr viel Perspektive gegeben. Ich habe eine neue Sprache gelernt, eine neue Kultur kennengelernt und gesehen, dass viele auf der Welt von Leid und Trauer betroffen sind. Das hat mir Hoffnung und Perspektive gegeben.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Man muss realistisch sein, weiter machen und denken, dass oben jemand sitzt der einen beobachtet. Gerade wenn man vor schweren Entscheidungen im Leben steht in denen man sich vielleicht wünscht, dass die Mutter da ist, um einem zur Seite zu stehen. Aber auch um positive Aspekte zu teilen.

Außerdem würde ich jemanden in so einer Situation raten, sich nicht zu verschließen und wenn man nicht in der Familie reden kann oder will, dann mit Freunden oder mit einem Therapeuten. Eine Therapie zu machen ist keine Schande, das musste ich mir anfangs eingestehen. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Stimmt zwar nicht ganz, aber mir hat es sehr geholfen.

Erika

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Ich wurde früher dazu erzogen, Gefühle für sich zu behalten, nicht zuzulassen und nicht offen zu zeigen. Am Todestag meiner Mutter hat sich die Familie morgens im Krankenhaus getroffen. Die Ärzte hatten meinen Vater angerufen und ihm gesagt, dass wir alle vorbeikommen sollen. Während ich auf dem Flur vor der Intensivstation auf die anderen gewartet habe, kam mein Vater mit zwei Ärzten zu mir. Er brach in Tränen aus und sagte „Sie wird sterben“.

Bis zu dem Zeitpunkt ging es eigentlich bergauf und wir alle hatten wieder Hoffnung geschöpft. Ich war in diesem Moment so geschockt, dass ich nicht realisiert habe, was es bedeutete. Als meine Brüder mit ihren Partnerinnen dazu kamen, stand die ganze Familie auf dem Flur vor der Intensivstation und hat geweint, außer mir. Ich konnte meine Gefühle in diesem Moment nicht zulassen.

Wir mussten uns daraufhin entscheiden, ob wir die Maschinen abstellen wollen und das taten wir auch – 15 Minuten später war meine Mutter verstorben. Inzwischen waren meine Cousins und Cousinen, mein Onkel und meine Oma auch gekommen. Ich bin nicht mit in das Zimmer gegangen um bei ihrem Tod dabei zu sein. Ich war nur kurz vorher nochmal bei ihr. Ich habe kurz ihre Hand gehalten und bin in den Wartebereich zurück.

Als ich erfahren habe, dass sie gestorben ist habe ich es tatsächlich geschafft kurz zu weinen. Mein Vater hat mich in den Arm genommen und es war sofort wieder weg. Alle wollten sich umarmen und zusammen sein. Ich wollte nur allein sein. Allein, damit ich meine Gefühle rauslassen kann. Schon vor mir selbst war das schwer genug, vor meiner ganzen Familie konnte ich es nicht.

Ich habe oft gesagt, dass ich nach Hause in meine Wohnung möchte, aber meine Familie bestand darauf, dass ich bei meinem Vater schlafe, damit ich nicht allein bin. Ich konnte in den ersten Tagen nicht trauern, ich war permanent damit beschäftigt gegen meine Gefühle anzukämpfen und der Starke zu sein. Am Todestag meiner Mutter habe ich schon wieder angefangen Witze zu machen, das machte es leichter für mich, mich von der Trauer abzulenken.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Vom Todestag meiner Mutter an, habe ich gegen meine Gefühle angekämpft. Ich war am Tag nach dem Tod wieder arbeiten. Am darauffolgenden Tag habe ich eine Klausur geschrieben, ohne zu lernen. Ich wollte einfach nur nach Hause und so hatte ich einen Grund zu Hause zu schlafen, bei dem ich mich auch nicht schlecht fühlte, weil ich jemanden im Stich lassen würde.

Durch die Arbeit und die Klausur konnte ich mich ablenken. Ich habe in der Zeit versucht so viele Aufgaben wie möglich zu übernehmen, habe sehr viel Sport gemacht, bis zur kompletten Erschöpfung. Ich hatte durch die unterdrückten Gefühle eine extreme innere Unruhe in mir und durch Sport wurde es besser.

In der Zeit wollten meine Familienangehörigen und Freunde viel mit mir über meine Mutter aber auch meinen Vater reden, viele haben geweint. Ich habe in der Zeit nie geweint. Ich habe behauptet, dass ich das mache wenn ich alleine bin, damit es nicht komisch rüber kommt, aber das habe ich nicht.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Am Tag der Bestattung war ich krank. Ich hatte leichtes Fieber. Ich denke die extreme psychische Belastung hat sich auch auf meinen Körper ausgewirkt. Ich habe bis zur Bestattung meine Gefühle soweit unterdrückt, dass ich sie gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Die Bestattung war für mich wie eine Bestattung eines Fremden. Das Einzige was ich gefühlt habe, war die innere Unruhe, die ich aber permanent verspürte. Nach dem Tag der Beerdigung konnte ich mir endlich mehr Zeit für mich nehmen, deshalb war der Tag für mich eine Erleichterung, aber auch nicht mehr.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

In den Wochen danach würde ich das Trauergefühl als eine Schwere bezeichnen. Ich habe es zwar auch in den Wochen danach nicht geschafft wirklich zu trauern geschweige denn zu weinen, dafür waren die Gefühle schon zu tief vergraben. Außerdem war da immer die Sorge um meinen Vater, meine Oma, meine Brüder.

Abends vor dem Einschlafen habe ich aber zugelassen über die Situation nachzudenken, ich hatte Zeit und Raum etwas zu reflektieren. Trotzdem habe ich in der Zeit häufig auch einfach funktioniert. Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht, dass ich etwas hätte besser machen können und meine Mutter damit retten können. Ich habe sehr oft darüber nachgedacht, wo ich mich falsch verhalten habe, ob ich genug gemacht habe.

Ich habe mir dadurch leider angewöhnt, öfter über Situationen die mich beschäftigen zu grübeln. Sie immer wieder in meinem Kopf durchzuspielen. Es hat lange gedauert bis ich einsehen konnte, dass ich nicht die Schuld an ihrem Tod hatte. Mir ist in der Zeit aber auch bewusst geworden, dass es einige Baustellen gibt, die durch die Krankheit und Erziehung meiner Eltern entstanden sind und von da an habe ich begonnen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Ich habe es geschafft meinen Fokus auf mich selbst zu richten und mich meinen Problemen zu stellen. Das ist für mich ein großer Lichtblick gewesen. Ich habe auch begonnen zu reflektieren woher meine Probleme kommen, wieso sich meine Eltern verhalten haben, wie sie es gemacht haben. Durch dieses Verständnis, habe ich vor allem eine Wut, die ich gegen meine Mutter hatte, verarbeiten können. In den Wochen nach der Beerdigung hatte ich viele Träume von meiner Mutter, die alle sehr schlimm waren. Mit der Zeit ließen sie aber nach. Völlig aufgehört haben sie aber, weil ich meine Gefühle nie rausgelassen habe, nie.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Der Tod meiner Mutter ist jetzt über vier Jahre her. Bewusst würde ich sagen, ist die Trauer schon sehr lange weg. Auch Gespräche über sie oder die Zeit um ihren Tod herum haben mich nicht übermäßig belastet. Kognitiv habe ich den Tod schon lange verkraftet. Aber jetzt nach über vier Jahren, wo endlich aller Druck abgefallen ist, sind die Gefühle wieder hochgekommen. Das waren vier Jahre, in denen mich diese Gefühle auch blockiert haben.

Ich habe erst jetzt bemerkt, wie sehr ich meine Gefühle unterdrücke und fange jetzt erst an sie wirklich wahrzunehmen und dadurch schaffe ich es, dass auch unterbewusste Trauer endlich verschwindet. Als Ehepartner ist man mit Sicherheit in einer anderen Situation, aber als Kind habe ich meine Perspektive generell nicht auf meine Eltern gesetzt.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Mir hat geholfen zu akzeptieren, dass es Sachen gibt, die man nicht verändern kann und dass das in Ordnung ist. Zu akzeptieren, dass man nicht immer stark sein muss und auch mal Schwäche zeigen kann und dass das auch in Ordnung ist. Zu reflektieren, was ich wirklich für mich tue und was ich für meine Eltern getan habe und das als Anreiz genommen zu haben mich persönlich weiter zu entwickeln und mein Leben selbstbestimmt zu leben.

Mein Rat ist sich Zeit für sich zu nehmen, auf sich und seinen Körper zu hören, was man grade braucht. Sich nicht daran aufzuhalten, was andere von einem verlangen in solchen Situationen. Gefühle zuzulassen, sich nicht abzulenken und die Gefühle runter zu schlucken. Trauer ist kein schönes Gefühl, aber es ist befreiend.

Anita

Storytelling Parents

Erzähl mir von dem Jahr, in dem deine Mutter verstorben ist.

So richtig weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll – ich weiß nur, dass es wichtig ist, seine Gedanken mal niederzuschreiben, weil sie sonst gefangen sind, da wo sie sind. Außerdem ist es wichtig für mich, die Dinge aufzuschreiben oder darüber zu reden, um sie „sauber“ verarbeiten zu können.

Das Jahr 2018 stand schon zu Beginn unter keinem guten Stern! Angefangen hatte alles mit dem Tod meines Cousins Ende Februar – mit nur 39 Jahren! Auch ein fieser Krebs! Meine Mama war sehr für alle Angehörigen da – obwohl sie scheinbar da auch schon mit den Vorboten Ihrer eigenen Geschichte zu kämpfen hatte – was aber niemand wusste.

Ein paar Wochen später folgte die schreckliche Nachricht, dass meine Freundin Nadine aus Leipzig (hatte zu dem Zeitpunkt zwei kleine Kinder) an plötzlicher Hirnblutung verstorben ist. Das war ebenso schrecklich. Und das hörte einfach nicht auf – zahlreiche weitere solche Nachrichten erreichten uns in regelmäßigen Abständen. Das musste ich als Einleitung mal erzählen, weil das Jahr 2018 einfach das Schlimmste in meinem Leben war.

Wie hat sich die Krankheit deiner Mutter angedeutet?

Also in Kurzform erzählt war ab dem Sommer 2018 irgendetwas eigenartig – ich spürte schon, dass es nichts Gutes werden wird, als meine Mama ständig solche Dinge erzählte wie „Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist – ich bin jetzt immer so deprimiert und habe keine Lust mehr aufs Kochen!“ Da schellten bei mir die Alarmglocken! So etwas hat meine Mutti noch nie gesagt.

Sie hatte in der Vergangenheit gesundheitlich schon mit vielen Problemen zu kämpfen. Sogar den Schwarzen Hautkrebs hatte sie besiegt, als ich noch ein Teenie war! Aber nun war mein Gefühl ein ganz furchtbares. Sie erzählte uns dann ab und zu von ihren Problemen und zeigte uns einen „Knubbel“ an ihrem Arm, von dem sie vermutete, dass es eine Sehnenscheidenentzündung ist. Aber als sie dann an ihrem Geburtstag am 13. September 2018 nach einiger Zeit einfach so verschwunden war und wir sie dann mit schlimmen Schmerzen im Bett liegend fanden, war es für mich klar: Das bedeutet nichts Gutes!

Wie habt ihr von ihrer Diagnose erfahren?

Meine bessere Hälfte Robin und ich hatten ab Oktober für ein paar Wochen eine Reise nach Südostasien geplant. Meine Mutti wollte nicht, dass wir sie wegen ihr absagen – denn sie fing ja dann erst an, zum Arzt zu gehen und wurde von einem zum anderen geschickt. Das allein schon war eine lange Prozedur. Also begaben wir uns auf die Rundreise, auf der ich dann aber leider das Schlimmste erfahren musste: Es ist Lungenkrebs! Ab diesem Moment brach für mich meine kleine heile Welt zusammen und ich wollte einfach nur sofort zurück, denn wir waren ja so viele Tausende Kilometer von zu Hause weg … Meine Mama wollte nicht, dass ich die Reise abbreche und auch nicht, dass ich von der finalen Diagnose erfahre, deshalb war sie zuerst richtig sauer auf meinen Bruder, der es mir schließlich sagte!

Wir beendeten die Reise wie geplant, aber ich lebte nur noch in einer Blase und wusste nicht mehr, wo oben und unten ist. Zu Hause angekommen wurde uns dauernd Hoffnung gemacht, dass das Ganze operabel ist usw. – aber nach wochenlangem Hin & Her stürzte dann die nackte Wahrheit über mich herein: Eine Ärztin im Krankenhaus teilte mir unmissverständlich mit, dass meine Mama nicht mehr viel Zeit hat – und sie sich bereits damit abgefunden hat, dass es bald vorbei ist.

Wie hast du dich gefühlt, als du erfahren hast, dass deiner Mama nicht mehr viel Zeit bleibt?

In meinem Kopf drehte sich alles unentwegt – es ist einfach nicht zu beschreiben, welche Gedanken & Emotionen einen da ununterbrochen ereilen. Mit den Wochen lernt man zwar, zu funktionieren – aber alles andere geht irgendwie nicht mehr! Meine Mama war so taff, dass sie meinte: „Sie hat ihr ganzes Leben lang alles für uns getan und auch viel gelitten (sie hat ihre Mama mit Anfang 20 auch an den Lungenkrebs verloren) und nun kann sie nicht mehr und wir müssten jetzt mal stark sein und das irgendwie schaffen.“ Hmmm naja für sie war das irgendwie alles ok so, denn sie wollte nicht mehr – im Alter von 67 den Kampf gegen den Krebs zu verlieren, war für mich undenkbar und deshalb war ich so verzweifelt, dass sie nicht mehr kämpfen wollte. Jetzt – Jahre später – sehe ich das alles ganz anders und verstehe einige Dinge viel besser.

Wie liefen die letzten Wochen bis zu ihrem Tod ab?

Ich merke gerade, dass ich ein Buch über diese gesamte Zeit, die ja nicht länger als ein paar Wochen dauerte, schreiben könnte. Aber ich versuche jetzt mal weiterhin, alles kurz zusammen zu fassen. Als meine Mutti vom Krankenhaus Hoyerswerda (mein Geburtsort und Wohnort meiner Eltern) in die Klinik nach Dresden (mein Wohnort seit 2005) gebracht wurde – angeblich wegen eine Bestrahlung – wusste ich innerlich schon, dass sie nicht mehr dort raus kommen wird. Wollte es aber natürlich nicht wahr haben. So landete sie nach ein paar Tagen auf der Palliativ-Station, wo sie bis zum 20.12. noch einige Angehörige und Freunde empfing, um sich zu verabschieden. Diesen Menschen gab ich den Vorrang und organisierte fleißig alles, so wie ich es immer tat: Erstmal die Anderen.

Am 21.12. wollte ich dann auch endlich gern mal ein paar Stunden mit meiner Mama verbringen und plante, im Krankenhaus zu übernachten. Mein Papa schlief bei uns schon seit ein paar Tagen, damit er Mutti auch jeden Tag besuchen kann. Als mein Mann, mein Vati und ich morgens am Frühstückstisch saßen, klärten wir, was jeder von uns tut. Mein Mann hatte noch einen Termin und mein Papa wollte schon mal ins Krankenhaus fahren. Er meinte, ich könne ja dann hinterher kommen.

Vor seiner Abfahrt erzählte er mir dann noch von seiner Vision – kein Traum, wirklich eine Vision, als er nachts wach lag: Er sah Hirten auf einem Berg mit grüner Wiese und eine sehr lange Schlange von Menschen, die ihm fast alle bekannt vor kamen. Und plötzlich sprach ein Hirte zu ihm: „Mach Dir keine Sorgen, wir nehmen Deine Anita jetzt mit – bei uns ist sie in guten Händen.“ Ich bekam Gänsehaut und mir schossen die Tränen in die Augen – ich heulte wie ein Schlosshund in den Armen meines Vaters. Als er los gefahren war, sah ich einen verpassten Anruf aus dem Krankenhaus und wusste, was das zu bedeuten hatte. Ich rief zurück und eine der Palliativ-Schwestern sagte mir, ich solle sofort kommen – meine Mama wartet schon auf mich.

Keine Ahnung, wie – aber irgendwie kam ich am Vormittag des 21.12. im Krankenhaus an. Wie ferngesteuert war ich unterwegs. Scheinbar begleitete mich mein Schutzengel und verschaffte mir direkt vor dem Krankenhaus-Eingang sogar noch eine Parklücke, wo sonst nie eine frei ist. Ich schaute kurz auf die Uhr – es war genau 11:11 Uhr. Ich ging zu Muttis Zimmer, wo an der Tür so ein dickes Tuch hing, was die Tür ein Spalt aufhielt. Ich stürmte hinein, meine Mama drehte den Kopf in meine Richtung – während ich Jacke und Tasche von mir warf, um mich auf diesen einen Moment vorzubereiten, vor dem bereits ich mein Leben lang riesige Angst hatte.

Mein Papa saß auf der einen Bettseite, ich auf der anderen – sonst war keiner da, mein Bruder war auf der Arbeit und mein Mann bei seinem Termin. Sie kamen alle später dazu. Ich legte meiner Mama den kleinen Schutzengel in die Hand, den ich ihr vor einigen Wochen geschenkt hatte, um sie durch diese schwere schmerzhafte Zeit zu begleiten. Und plötzlich stand noch jemand neben mir – es war Muttis Physiotherapeutin, die mir gut zusprach. Ich schaute Mutti an, wie sie kurz seufzte und sah dann, wie sie ihren letzten Atemzug nahm. Dann fragte ich die Physiotherapeutin, ob es das jetzt war und sie nickte. Ab diesem Zeitpunkt war ich endgültig in einer Blase drin.

Wie hast du dich gefühlt, nachdem sie gestorben ist?

Einerseits spürte ich die Erleichterung der Seele meiner Mama, dass sie endlich diesen Schmerzkörper verlassen darf – aber andererseits wollte ich sie dennoch einfach nicht loslassen und lag ewig in ihrem Arm. Ich weiß gar nichts mehr von den kommenden Stunden – ich habe nicht mitbekommen, wie die anderen alle nach und nach eingetroffen sind, wie mein Bruder und seine Freundin all ihre Sachen zusammen gesucht haben und so weiter.

Ich weiß nur, dass ich am Abend, als wir dann wieder zu Hause waren, auf dem Hof draußen standen und etwas zu Mutti sagten und plötzlich pfiff eine Sturmböe quer über den Hof an uns vorbei.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Die Zeit bis zur Bestattung war geprägt von Nervenzusammenbrüchen und die Frage nach dem WARUM schwebte in jedem Moment mit. Ich konnte das alles nicht begreifen! Ich wollte meine Mutti doch noch so viel fragen und ihr noch von meinen Träumen erzählen und überhaupt … Hätte ich meinen Mann nicht gehabt – keine Ahnung, wo ich da jetzt wäre bzw. wie ich da jetzt wäre. Er hat mich zu jeder Zeit sowas von selbstlos unterstützt, mir und meinem Papa so vieles abgenommen! Selbst beim Bestatter hat mein lieber Seelenmensch meinen Paps und mich so toll unterstützt! Er ist das Beste, was mir je passiert ist.

Gab es etwas in dieser Zeit, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ja klar mir ist vieles in Erinnerung geblieben, vor allem das Weihnachtskonzert der „medlz“ – die beste weibliche A capella Band, die es auf Erden gibt! Meine Mama hat sie ebenso vergöttert. Da das Konzert am 22.12.2018 war, konnte meine Mama ja leider nicht mehr dabei sein. Sie hatte aber schon lange vorher auch eine Karte, weil wir dachten, dass es noch klappt. Da wir uns privat schon etwas kannten, schickte ich der Band noch vor dem Tod meiner Mama eine Sprachnachricht und bat sie, mir für meine Mama ein Weihnachtsgeschenk zu erfüllen. Prompt taten Sie es, obwohl sie gerade auf Tour waren: Sie schickten meiner Mama ein tolles Ständchen (ein herzerwärmendes Gospel-Lied) und gaben ihr danach noch ganz liebe persönliche Worte mit auf den Weg. Als ich meiner Mama zwei Tage vor ihrem Tod das Video zeigte, liefen ihr viele Tränchen die Wange hinunter.

Nachdem wir am 22.12. beim Bestatter in Hoyerswerda alles geklärt hatten, fuhren wir direkt zum Weihnachtskonzert der „medlz„ nach Dresden und schafften es gerade so zum Beginn des Konzertes. Bine – die Frontfrau der Band – hat für uns als Familie und Freunde eine ganze Kirchenbank reserviert und mir zudem noch ein tolles Buch zum Thema (ihr eigenes) mit persönlicher Widmung hingelegt. Wir alle spürten Muttis Seele in der Kirche herum fliegen und wussten, alles ist richtig so, wie es gerade ist.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung war der erste Tag nach einer langen düsteren Schlechtwetter-Zeit, an dem endlich die Sonne wieder schien. Wow – magic! Denn ab dem Todestag meiner Mama zur Wintersonnenwende 2018 bis zum Tag der Bestattung am 18. Januar war kein einziger Sonnenstrahl zu sehen gewesen. Ich ging am Morgen vor der Bestattung noch für mich allein eine Runde spazieren und war dann bereit für den „offiziellen“ Abschied.

Die Bestattung war auf jeden Fall ein wichtiger Schritt für meinen Abschied bzw. für unser aller Abschied. Da sah ich erstmals, wie geschätzt meine Mutti war – es kamen weit über 100 Menschen! Ich traute meinen Augen nicht! Viele mussten sogar draußen stehen, weil im Raum kein Platz mehr war! Das war alles sehr wertvoll für mich – ich habe noch niemals zuvor in meinem Leben so vielen Menschen hintereinander die Hand geschüttelt.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Als ich mich wieder etwas aufgerappelt habe, versuchte ich irgendwie nach vorn zu blicken, was mir an manchen Tagen besser gelungen ist und an anderen wiederum schlechter. Vom Gefühl her weiß ich ja, dass Mutti „nur“ in einen anderen Raum gegangen ist und es fühlte sich immer noch so an, als würde sie bald wieder durch unsere Tür kommen.

Was hast du unternommen, um besser mit deiner Trauer zurecht zu kommen?

Ich habe mich dazu entschieden, selbst etwas in die Hand zu nehmen und für mich selbst zu tun. Meinen Kurantrag habe ich direkt nach der Beerdigung gestellt und ein paar Monate später auch bewilligt bekommen. Weiterhin habe ich beschlossen, mir psychologische Hilfe zu holen, aber da ist es genauso: Man kommt erstmal auf eine Warteliste, weil keiner Kapazitäten frei hat! Ich habe dann ein wenig mit Menschen von Fach aus meiner unmittelbaren Umgebung gesprochen – Bekannte sozusagen. Das half mir etwas.

Außerdem wollte ich doch schon immer mal sowas wie eine Fastenkur machen. Dahingehend brachte mich meine liebe Physiotherapeutin auf eine Idee, die ich dann auch – zusammen mit meinem Mann Robin – in die Tat umsetzte: Eine geführte Fastenkur auf Hiddensee mit verschiedenen Kursangeboten. Das hat mir ungemein geholfen, in einer Gemeinschaft zu sein, die mir zuhörte. Menschen in meinem näheren Umfeld zu Hause – ja sogar die Familie – schaffte das nicht! Viele Freunde wendeten sich in meiner schlimmsten Lebens-Phase sogar von mir ab! In dieser folgenden Zeit habe ich so viel über mich, mein Leben und meine Umgebung gelernt.

Darüber hinaus habe ich damit angefangen, Meditation zu üben und mich somit zu entspannen und in mein Herz zu gehen. Ich habe mich somit gegen eine psychologische Behandlung entschieden, sondern suchte mir alternative Möglichkeiten, die mehr meiner Natur und meinem Glauben entsprechen. Auf diesem Weg traf ich dann tolle Menschen, mit denen ich mich austauschen konnte und meine Gefühle und Emotionen teilen konnte. Ich habe angefangen, meine Blockaden durch Bioenergetische Anwendungen zu lösen und kam anhand einer umfassenden Lebensberatung wertvolle Impulse für mein Leben. Seitdem hat sich noch einmal mehr ganz ganz viel verändert und ich lebe endlich MEIN Leben und nicht mehr nur das der anderen. Auch die Themen Sterben & Tod sehe ich heute aus einem ganz anderen Blickwinkel und mich kann nie wieder im Leben etwas so sehr schockieren oder schwächen. Ich habe Erkenntnisse gewonnen, die mich intuitiv schon immer begleitet haben.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Die Trauer an sich ist verschwunden, wobei es an gewissen Tagen immer noch so etwas wie Schmerz gibt. Aber ich versuche an diesen Tagen dann immer etwas Schönes zu machen, weil keine Seele will, dass man ihr ewig hinterher trauert! Liebevolle Erinnerungen sind für immer in meinem Herzen. Jeden Tag zünde ich symbolisch eine Kerze für meine Mama an und ich erzähle ihr von den Dingen, die in meinem Leben passieren. Ich bin kein Mensch, der dazu auf den Friedhof gehen muss – ich mache das immer & überall … Ich trage sie im Herzen, bis ich selbst den Raum wechsle. Mein Frieden habe ich darin gefunden, zu glauben, dass die Seele unsterblich ist und wir alle unseren Seelenplan verfolgen sowie unseren Seelenweg gehen sollten – denn wenn wir das tun, handeln wir aus unserem Herzen und wir wissen, dass der „Tod“ nicht das Ende ist.

Wir nehmen dich nach deinem Verlust an die Hand

Informationen zur Verarbeitung personenbezogener Daten findest du in unserer Datenschutzerklärung.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner