TRAUERNDE ERZÄHLEN

Erika

Erika ist im Jahr 2016 nach einer längeren Krankheitsgeschichte verstorben. Hier erzählt ihr Sohn über seine Erfahrungen im Umgang mit dem Tod und der Trauer.

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Ich wurde früher dazu erzogen, Gefühle für sich zu behalten, nicht zuzulassen und nicht offen zu zeigen. Am Todestag meiner Mutter hat sich die Familie morgens im Krankenhaus getroffen. Die Ärzte hatten meinen Vater angerufen und ihm gesagt, dass wir alle vorbeikommen sollen. Während ich auf dem Flur vor der Intensivstation auf die anderen gewartet habe, kam mein Vater mit zwei Ärzten zu mir. Er brach in Tränen aus und sagte „Sie wird sterben“.

Bis zu dem Zeitpunkt ging es eigentlich bergauf und wir alle hatten wieder Hoffnung geschöpft. Ich war in diesem Moment so geschockt, dass ich nicht realisiert habe, was es bedeutete. Als meine Brüder mit ihren Partnerinnen dazu kamen, stand die ganze Familie auf dem Flur vor der Intensivstation und hat geweint, außer mir. Ich konnte meine Gefühle in diesem Moment nicht zulassen.

Wir mussten uns daraufhin entscheiden, ob wir die Maschinen abstellen wollen und das taten wir auch – 15 Minuten später war meine Mutter verstorben. Inzwischen waren meine Cousins und Cousinen, mein Onkel und meine Oma auch gekommen. Ich bin nicht mit in das Zimmer gegangen um bei ihrem Tod dabei zu sein. Ich war nur kurz vorher nochmal bei ihr. Ich habe kurz ihre Hand gehalten und bin in den Wartebereich zurück.

Als ich erfahren habe, dass sie gestorben ist habe ich es tatsächlich geschafft kurz zu weinen. Mein Vater hat mich in den Arm genommen und es war sofort wieder weg. Alle wollten sich umarmen und zusammen sein. Ich wollte nur allein sein. Allein, damit ich meine Gefühle rauslassen kann. Schon vor mir selbst war das schwer genug, vor meiner ganzen Familie konnte ich es nicht.

Ich habe oft gesagt, dass ich nach Hause in meine Wohnung möchte, aber meine Familie bestand darauf, dass ich bei meinem Vater schlafe, damit ich nicht allein bin. Ich konnte in den ersten Tagen nicht trauern, ich war permanent damit beschäftigt gegen meine Gefühle anzukämpfen und der Starke zu sein. Am Todestag meiner Mutter habe ich schon wieder angefangen Witze zu machen, das machte es leichter für mich, mich von der Trauer abzulenken.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Vom Todestag meiner Mutter an, habe ich gegen meine Gefühle angekämpft. Ich war am Tag nach dem Tod wieder arbeiten. Am darauffolgenden Tag habe ich eine Klausur geschrieben, ohne zu lernen. Ich wollte einfach nur nach Hause und so hatte ich einen Grund zu Hause zu schlafen, bei dem ich mich auch nicht schlecht fühlte, weil ich jemanden im Stich lassen würde.

Durch die Arbeit und die Klausur konnte ich mich ablenken. Ich habe in der Zeit versucht so viele Aufgaben wie möglich zu übernehmen, habe sehr viel Sport gemacht, bis zur kompletten Erschöpfung. Ich hatte durch die unterdrückten Gefühle eine extreme innere Unruhe in mir und durch Sport wurde es besser.

In der Zeit wollten meine Familienangehörigen und Freunde viel mit mir über meine Mutter aber auch meinen Vater reden, viele haben geweint. Ich habe in der Zeit nie geweint. Ich habe behauptet, dass ich das mache wenn ich alleine bin, damit es nicht komisch rüber kommt, aber das habe ich nicht.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Am Tag der Bestattung war ich krank. Ich hatte leichtes Fieber. Ich denke die extreme psychische Belastung hat sich auch auf meinen Körper ausgewirkt. Ich habe bis zur Bestattung meine Gefühle soweit unterdrückt, dass ich sie gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Die Bestattung war für mich wie eine Bestattung eines Fremden. Das Einzige was ich gefühlt habe, war die innere Unruhe, die ich aber permanent verspürte. Nach dem Tag der Beerdigung konnte ich mir endlich mehr Zeit für mich nehmen, deshalb war der Tag für mich eine Erleichterung, aber auch nicht mehr.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

In den Wochen danach würde ich das Trauergefühl als eine Schwere bezeichnen. Ich habe es zwar auch in den Wochen danach nicht geschafft wirklich zu trauern geschweige denn zu weinen, dafür waren die Gefühle schon zu tief vergraben. Außerdem war da immer die Sorge um meinen Vater, meine Oma, meine Brüder.

Abends vor dem Einschlafen habe ich aber zugelassen über die Situation nachzudenken, ich hatte Zeit und Raum etwas zu reflektieren. Trotzdem habe ich in der Zeit häufig auch einfach funktioniert. Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht, dass ich etwas hätte besser machen können und meine Mutter damit retten können. Ich habe sehr oft darüber nachgedacht, wo ich mich falsch verhalten habe, ob ich genug gemacht habe.

Ich habe mir dadurch leider angewöhnt, öfter über Situationen die mich beschäftigen zu grübeln. Sie immer wieder in meinem Kopf durchzuspielen. Es hat lange gedauert bis ich einsehen konnte, dass ich nicht die Schuld an ihrem Tod hatte. Mir ist in der Zeit aber auch bewusst geworden, dass es einige Baustellen gibt, die durch die Krankheit und Erziehung meiner Eltern entstanden sind und von da an habe ich begonnen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Ich habe es geschafft meinen Fokus auf mich selbst zu richten und mich meinen Problemen zu stellen. Das ist für mich ein großer Lichtblick gewesen. Ich habe auch begonnen zu reflektieren woher meine Probleme kommen, wieso sich meine Eltern verhalten haben, wie sie es gemacht haben. Durch dieses Verständnis, habe ich vor allem eine Wut, die ich gegen meine Mutter hatte, verarbeiten können. In den Wochen nach der Beerdigung hatte ich viele Träume von meiner Mutter, die alle sehr schlimm waren. Mit der Zeit ließen sie aber nach. Völlig aufgehört haben sie aber, weil ich meine Gefühle nie rausgelassen habe, nie.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Der Tod meiner Mutter ist jetzt über vier Jahre her. Bewusst würde ich sagen, ist die Trauer schon sehr lange weg. Auch Gespräche über sie oder die Zeit um ihren Tod herum haben mich nicht übermäßig belastet. Kognitiv habe ich den Tod schon lange verkraftet. Aber jetzt nach über vier Jahren, wo endlich aller Druck abgefallen ist, sind die Gefühle wieder hochgekommen. Das waren vier Jahre, in denen mich diese Gefühle auch blockiert haben.

Ich habe erst jetzt bemerkt, wie sehr ich meine Gefühle unterdrücke und fange jetzt erst an sie wirklich wahrzunehmen und dadurch schaffe ich es, dass auch unterbewusste Trauer endlich verschwindet. Als Ehepartner ist man mit Sicherheit in einer anderen Situation, aber als Kind habe ich meine Perspektive generell nicht auf meine Eltern gesetzt.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Mir hat geholfen zu akzeptieren, dass es Sachen gibt, die man nicht verändern kann und dass das in Ordnung ist. Zu akzeptieren, dass man nicht immer stark sein muss und auch mal Schwäche zeigen kann und dass das auch in Ordnung ist. Zu reflektieren, was ich wirklich für mich tue und was ich für meine Eltern getan habe und das als Anreiz genommen zu haben mich persönlich weiter zu entwickeln und mein Leben selbstbestimmt zu leben.

Mein Rat ist sich Zeit für sich zu nehmen, auf sich und seinen Körper zu hören, was man grade braucht. Sich nicht daran aufzuhalten, was andere von einem verlangen in solchen Situationen. Gefühle zuzulassen, sich nicht abzulenken und die Gefühle runter zu schlucken. Trauer ist kein schönes Gefühl, aber es ist befreiend.

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