Ulf

Ulf

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Ich saß zuhause in meinem WG-Zimmer und war dabei, einen Antrag für meine Studienbeihilfe auszufüllen. Dafür benötigte ich die Sozialversicherungsnummer meines Papas, also wählte ich seine Telefonnummer, um nachzufragen. Niemand ging ans Telefon. Ich wählte noch einmal, da mein Papa immer gesagt hat, beim zweiten Mal klingelt das Handy dann laut, dann geht er ran. Er ging wieder nicht ran, stattdessen hörte ich eine andere männliche Stimme: „Landespolizeidirektion Steiermark, wer spricht da?“. Im ersten Moment dachte ich, mein Papa hätte mal wieder Mist gebaut, wäre mit der Polizei ins Diskutieren gekommen, Probleme mit dem Führerschein, was auch immer. „In welchem Bezug stehen sie?“. Mir wurde mulmig, gab es einen Unfall, in den er verwickelt war? War er im Krankhaus? Ist er wohl auf? „Sie sind die Tochter? Hmm, das ist jetzt unpassend, dass Sie anrufen, normalerweise kommen wir in solchen Fällen persönlich vorbei.“ Mir wird schlecht. Nein so schlimm kann es nicht sein, er hatte sicher einen Unfall und wird sich wieder aufrappeln, wie damals schon. „Ihr Vater ist heute gestorben“.

Was hast du in dem Moment gefühlt, als du es erfahren hast?

Meine Brust zieht sich krampfartig zusammen, ich bekomme keine Luft, Stiche in meinem Magen, eine unendliche Leere breitet sich in meinem Kopf aus. Ich rolle mit meinem Stuhl zurück, beuge mich vor, krümme mich zusammen, ringe nach Luft. In dem Moment legt sich ein Schalter in mir um, von „Manuell“ auf „Automatik“, nur in diesem Modus überlebe ich die drauffolgenden Monate. Ich musste sofort raus aus der Wohnung.

Ich saß unten vor dem Haus an einer stärker befahrenen Straße, es war unheimlich laut, mein Kopf brummte, ich hyperventilierte und hatte Atemnot. Nachdem ich meine Mutter nicht erreichte, rief ich meine Großeltern mütterlicherseits an, sie holten mich zu sich nach Hause. Meine Mutter und ihr Bruder kamen an dem Abend auch ins Haus meiner Großeltern. Ich informierte Papas Schwester und seine beste Freundin, danach betrank ich mich und weinte mich in den Armen meiner Mutter in den Schlaf.

Wie hast du die Zeit bis zur Bestattung erlebt?

Als alleinige Tochter ohne bestehender (Ehe)partnerin meines Vaters war ich vollkommen allein verantwortlich für alles, was nach seinem plötzlichem Tod kam. Die Todesnachricht überbringen, Organisation des Begräbnisses, Ausräumen der Wohnung, Notartermine, Nachlass, Abmelden aller Verträge, Konten und Fahrzeuge. Da war keine Zeit, um zu realisieren, was passiert ist, kein Platz für Trauer oder andere Gefühle.

Ich bin wie eine automatisierte Maschine von A nach B nach C gegangen und hatte täglich eine To-Do-Liste zu erledigen. Da die Obduktion und die anschließende Verbrennung sehr lange dauerten, wurde mein Vater erst 2 Monate nach seinem Tod begraben. Ich kann mich nur noch dunkel an diese Zeit erinnern.

Ich war wie von einem dichten Nebel umgeben, in Watte eingepackt, abgekapselt von meiner Umgebung, meine Welt hatte keine Farben mehr, alles war nur noch in Grautönen gezeichnet. Kalendereinträge von der Woche nach seinem Tod: Emotionslos, bedrückt, ständig wenig Luft zu Atmen, Schwere in der Brust, Erschöpfung, Leere, Hoffnungslosigkeit, sehr schwierig allein zu sein, Angst vor naher Zukunft, Überforderung, Einsamkeit, Verloren, Sinnlosigkeit weiterzumachen.

Wie hast du den Tag der Bestattung in Erinnerung?

Mein Papa wurde verbrannt, seine Urne wurde in einer Friedhofswiese in meiner Heimatstadt begraben. Aufgrund der geltenden Coronamaßnahmen durften nur 50 Personen am Begräbnis teilnehmen, ich habe also sehr bedacht eingeladen – Familie, engste FreundInnen von meinem Papa und meinen eigenen Freundeskreis.

Den ganzen Tag konnte ich nicht fassen, dass das wirklich passiert, dass alle Menschen da sind, um sich von meinem Papa zu verabschieden, von meinem Papa, der tot ist. Meine Mama, mein Partner und meine FreundInnen waren mir eine große Stütze an diesem Tag. Das Begräbnis war schön, ich habe eine sehr ehrliche Rede über meinen Papa gehalten, ein paar Menschen konnte ich damit ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Zum Abschluss eins seiner Lieblingslieder „Don’t Worry, Be Happy“, die Urne wurde in das Erdloch gelassen, die Leute umarmten mich, weinten, bedankten sich für die schöne Verabschiedung. Am Abend haben wir im Park zusammen gesessen, miteinander geredet, getanzt und den Tag gefeiert – hätte er uns zu gesehen, er hätte sich so gefreut.

Da mein Papa so plötzlich verstorben ist, konnte ich mich in keiner Weise von ihm verabschieden, auch das Begräbnis war kein Abschied für mich. Es war nur der Abschluss vom größten Teil der harten Arbeit, die ich nach seinem Tod erledigten musste, ich spürte das erste Mal nach zwei Monaten sowas wie Erleichterung. Ein erstes Gefühl von Abschied kam viel später.

Wie hat sich die Trauer angefühlt?

In den ersten Monaten nach dem Tod meines Papas hatte ich ein sehr drückendes Gefühl in der Brust, Atemnot, Schlafstörungen, selbstverletztendes Verhalten, überwältigende Ängste, Panikattacken. Ich war ständig unter Menschen und konnte nicht allein sein, gleichzeitig fühlte ich mich so oft fehl am Platz und war überfordert mit den sozialen Interaktionen.

Ich griff zu oft und zu viel zum Alkohol um meine Nerven zu beruhigen, anfangs in der Gruppe, später auch allein. Ich meldete mich von allen Lehrveranstaltungen mit Anwesenheitspflicht an meiner Universität ab, bei wenigen Online Kursen und Prüfungen versuchte ich dran zu bleiben. Ich war schon vor Papas Tod in einer Gruppentherapie, aus dieser musste ich austreten – der Vergleich zwischen meiner Lebenssituation und der von den anderen Teilnehmerinnen war für mich nicht auszuhalten.

Ich wechselte in eine wöchentliche Einzeltherapie, die mir half herauszufinden mit wem und wie ich meine Zeit verbringen möchte, Angstzustände in den Griff zu bekommen, Taktiken gegen das selbstverletzende Verhalten zu erlernen. Meine Familie und FreundInnen standen hinter mir, versuchten mich abzulenken und zu unterstützen, trotzdem fehlte mir ein Geschwisterkind oder ein Mensch, der meinem Papa so nahe stand wie ich es tat, ein Mensch mit dem ich mich austauschen könnte.

Hast du etwas Bestimmtes unternommen, was dir in deiner Trauer geholfen hat?

Ich fühlte mich nicht verstanden von meinem Umfeld, ich war allein mit meinem Schmerz. Also suchte ich nach einer Trauergruppe. Nachdem ich keine passende gefunden hatte, stellte ich mithilfe eines Vereins eine eigene Trauergruppe für junge Erwachsene auf die Beine. Die Gruppe gibt es bis heute – hier fühle ich mich verstanden, ich kann alle meine Gedanken, Gefühle und den Schmerz teilen.

Wir hören zu und versuchen uns zu unterstützen, wir erzählen von unseren Erfahrungen und wie man mit den unterschiedlichsten Situationen gelernt hat umzugehen. Wir begleiten uns gegenseitig durch die Höhen und Tiefen der Trauer.

Weiter sittete ich regelmäßig Hunde und half wöchentlich auf einem Hundegnadenhof aus – die wärmende Nähe der Hunde, ihre Zuneigung und ihre Lebensfreude brachten mir die ersten Farbtupfer in mein graues Leben zurück.

Gab es bestimmte Lichtblicke für dich in dieser Zeit?

Von meinem Papa erbte ich einen uralten Campingbus, den ich herrichtete und einige Ausflüge und Reisen unternahm – das waren wunderschöne Zeiten und Erinnerungen, für die ich sehr dankbar bin.

Mein Papa war zudem viele Jahre Tauchlehrer in Ägypten, er hat mir das Tauchen beigebracht und mir das Meer näher gebracht. Heute besuche ich jährlich seine „Familie“ in Ägypten, nehme FreundInnen und Familienangehörige mit und teile die Welt des Tauchens mit ihnen.

Bei diesen Reisen bin ich mit Wärme und Dankbarkeit erfüllt, es sind für mich die schönsten Zeiten seit seinem Tod. Vielleicht werde ich auch in seine Fußstapfen treten und eine Tauchlehrerausbildung machen.

Gab es emotionale Rückschläge?

Die ersten sehr harten Rückschläge waren mein eigener erster Geburtstag ohne ihn, sein Geburtstag, der erste und der zweite Todestag. Diese Tage zeigen einem wie schnell die Zeit vergeht, dass die Erde sich einfach weiter dreht und das Leben keine Rücksicht auf dein Leid nimmt.

An diesen Tag habe ich immer einen Hund an meiner Seite, ich schreibe eine Nachricht an meinen Papa in mein Fotoalbum und organisiere ein Treffen seiner und meiner FreundInnen und wir stoßen auf ihn an.

Würdest du sagen, dass die Trauer verschwunden ist oder dass sie immer noch ein Teil deines Lebens ist?

Das Schwierige mit der Trauer: Sie kommt bei mir immer und immer und immer und immer wieder mit voller Wucht, jedes Mal mit derselben Intensität wie kurz nach seinem Tod. Ich glaube die Trauer wird nie verschwinden, sie wird wahrscheinlich von anderen Schicksalsschlägen im Leben – gute als auch schlechte – übertrumpft und dadurch in den Hintergrund wandern.

Ich stelle mir oft noch Fragen, auf die es keine Antwort gibt. Da das Verhältnis meines Papas zu seiner Familie sehr schlecht war und meine Eltern schon ewig getrennt waren, trage ich die Trauer mit mir alleine herum und kann sie nicht wirklich mit jemandem teilen, das macht mir das Leben oft sehr schwer. Ich kann mit dem Gefühl der Ungerechtigkeit nicht umgehen, ich fühle mich oft allein mit allem, ich fällt mir immer noch unheimlich schwer das Thema selbst anzusprechen.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Was die Trauer aushaltbarer gemacht hat, sind die Zeitabstände zwischen den dunklen Zeiten – diese werden länger und die Höhen werden immer höher, ich kann die Glücksmomente wieder an mich ranlassen, sie dankbar annehmen und erleben. Ich habe den Fokus leider sehr spät erst auf mich selbst gerichtet – anfangs musste ich sehr viel erledigen, dann hatte ich das Gefühl wieder funktionieren zu müssen.

Ich habe mir zu wenig Zeit für mich genommen, bis heute trage ich den Wunsch in mir mich für 2-3 Wochen vollkommen allein zurückzuziehen auf eine Almhütte oder ans Meer. Irgendwann habe ich mich dann viel mit meiner Kindheit und Jugend auseinandergesetzt und sie versucht zu verarbeitet, ich hab meine Gegenwart reflektiert und mir viele Gedanken darüber gemacht, wer ich sein möchte, wen ich um mich haben möchte und was mich glücklich macht im Leben.

Hast du einen Rat für jemanden, der gerade eine ähnliche Situation durchlebt?

Der plötzliche Verlust meines Papas hat mir aufgezeigt, wie vergänglich wir alle sind und wie wichtig es ist, das Leben jeden Tag neu zu gestalten, es wertzuschätzen und dankbar zu sein. Ich habe einige FreundInnen im Trauerprozess verloren, weil sie sich abgewandt haben, mir nicht geholfen haben oder überfordert waren. Dafür sind andere Beziehungen viel enger, intimer, offener und ehrlicher geworden.

Heute lebe ich viel bewusster, nehme mir mehr Zeit für mich selbst und achte besser auf meine Bedürfnisse. Ich bin achtsamer und dankbarer für die Menschen, Dinge und Hobbys, die ich habe.

Hans-Peter

Hans-Peter

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Mein Vater ist an einem frühlingshaften Sonntag im März 2012 gestorben. Es war der Tag vor meinem Abitur. Ich war an dem Morgen mit meiner Mutter im Gottesdienst, meine jüngere Schwester ist zuhause geblieben und mein Vater war mit ein paar Freunden hobbymäßig Fußball spielen. Mein Vater war sportlich, Nichtraucher, hat nie getrunken, war gerade mal 52 Jahre alt und hat doch plötzlich beim Fußballspielen einen Herzinfarkt erlitten.

Ein Mitspieler hat ihn noch beatmet bis die Notärztin kam. Über eine Nachbarin, dessen Mann in derselben Mannschaft gespielt hat, hat meine Schwester als Erste von dem Unglück erfahren. Sie ist direkt zum Sportplatz gefahren, wo sie leider gesehen hat, wie mein Vater mit dem Defibrillator behandelt wurde. Nach dem Gottesdienst konnten meine Mutter und ich auch endlich erreicht werden (wer uns angerufen hat, weiß ich nicht mehr) und wir sind sofort zum Unfallort gefahren.

Mein Vater war bereits im Krankenwagen eingeladen und die Notärztin sagte uns zur Beruhigung noch, dass er eine 70 prozentige Überlebenschance hat. Meine Mutter ist mit ins Krankenhaus gefahren, meine Schwester zu einer Freundin und zu mir kam mein damaliger Freund. Es vergingen ein paar Stunden bis eine Nachbarin (nicht die oben erwähnte, sondern eine andere, die zum Glück auch Sozialarbeiterin ist) zu uns herüberkam, um uns mitzuteilen, dass mein Vater im Krankenhaus gestorben ist, dass die Ärzt:innen nichts mehr für ihn tun konnten.

Meine Mutter hatte es nicht über sich gebracht, uns angerufen und daher die Nachbarin informiert. Diese hat uns daraufhin auch ins Krankenhaus gefahren, wo bereits meine Mutter, gute Freunde meiner Eltern und der Krankenhausseelsorger auf uns gewartet haben. Nach einem Gespräch mit dem Pfarrer durften wir nochmal zu meinem Vater. Eine Krankenpflegerin hat mich und meinen damaligen Freund zu der Leiche begleitet. Ich weiß noch, dass ich die Krankenpflegerin ganz entsetzt gefragt habe, ob sie es nicht schrecklich findet, in ihrem Beruf so viele Familiendramen und Tode mitzubekommen. Sie musste damals auch fast weinen.

Das Gesicht meines Vaters war bereits leicht aufgedunsen und etwas gelblich, aber ansonsten war es nicht so schlimm ihn tot zu sehen. Ein paar Tage später im Beerdigungsinstitut wollte ich ihn aber nicht mehr sehen, da ich Angst hatte, dass er bereits zu entstellt war.

Was hat euch an diesen schweren Tagen geholfen?

Der restliche Tag nach dem Tod meines Vaters war total verrückt. Obwohl es das schlimmste Erlebnis in meinem Leben war, war der Tag nach seinem Tod auf komische Weise auch schön: Auf einmal saßen alle Nachbar:innen bei uns im Esszimmer, die es sonst nie schaffen sich alle gemeinsam zu treffen, haben Kerzen für uns angezündet und für uns Essen gemacht.

Tagelang standen plötzlich Suppentöpfe und Süßigkeiten vor der Tür. Eine Nachbarin hat mich zu meiner besten Freundin ein paar Straßen weiter gebracht, damit ich ihr auch die schrecklichen Neuigkeiten überbringen konnte. Später am Tag musste ich meinen Schuldirektor anrufen, um ihm vom Todesfall zu berichten und um ihm zu sagen, dass ich vermutlich das Abitur nicht mitschreiben kann. Er kannte meinen Vater auch persönlich und war daher sehr betroffen.

Glücklicherweise hat er mit geraten, dass Abitur regulär mitzuschreiben, auch wenn es hart werden könnte. Er meinte, dass ich jetzt noch unter Schock stehe und daher das Abitur vermutlich besser verkraften würde als in ein paar Wochen, wenn ich alles realisiert habe. Damit hatte er zum Glück Recht – ich habe mein Abitur in völliger Trance geschrieben, aber es wurde trotzdem ziemlich gut und ich war froh, alle vier Prüfungen vor der Bestattung fertig zu haben.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Genau in der Woche zwischen Papas Tod und seiner Bestattung habe ich meine Abiturprüfungen geschrieben. Als ich Montagmorgen zur ersten Prüfung kam, haben mich der stellvertretende Direktor und meine Deutschlehrerin vor allen Leuten umarmt. Als ich auf Toilette war, hat dieselbe Lehrerin meiner Klasse gesagt, dass mein Vater am Tag davor gestorben ist. Da aber bereits Redeverbot war, als ich wieder hereinkam, konnte ich nur sehen, wie mich alle angeschaut haben.

Meinen Freundinnen aus den anderen Klassen hatte ich noch nichts gesagt, da ich nicht wollte, dass sie ebenfalls beim Abitur abgelenkt sind. Eine Lehrerin hatte uns zur Motivation während der Klausur Schokolade auf den Tisch gelegt. Ich habe als Einzige ein Stück mehr bekommen. Generell waren es oft kleine Dinge oder Gesten, an denen ich gemerkt habe, dass die Menschen an einen denken und mittrauern.

Nach den Prüfungen hat mich mein damaliger Freund (er war auf der Nachbarschule) abgeholt. Wir kamen an vielen feiernden Abiturient:innen vorbei, die er aus Solidarität mit mir aber auch hat links liegen lassen. Uns war einfach nicht zum Feiern zu Mute. In derselben Woche kam mein Onkel aus Stuttgart angereist und hat eine Woche lang für uns gekocht und die Beerdigung mit meiner Mutter, seiner Schwester, geplant. Der Vater meines Vaters hat außerdem den Sarg und die Blumen mitausgesucht. Für ihn war der Tod meines Vaters mit am schlimmsten. Er sagte immerzu: „Es hätte doch mich treffen sollen“.

Hast du dich an der Organisation der Bestattung beteiligt?

Nach meinen Prüfungen habe ich nachmittags mit meiner Mutter die Trauerkarten frankiert und mit Adressen beschriftet. Sie hatte einen sehr schönen Text geschrieben und die ganze Karte mit dem Beerdigungsinstitut entworfen. Da mein Vater Albert Schweitzer mochte, stand auf der Karte: „Das einzig wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen“. Generell waren wir alle sehr froh über das Beerdigungsinstitut. Es hat bei der kompletten Organisation geholfen, die Beerdigung koordiniert, das Kondolenzbuch besorgt, Fotos von meinem Vater gesammelt und ihn sehr schön aufgebahrt, sodass auch noch Freund:innen ihn sehen konnten.

Das Beerdigungsinstitut hat mir und meiner Schwester ein kleines Holzherz geschenkt, das mich immer an Papas Sarg erinnert. Meine Mutter hatte einen sehr schnittigen Holzsarg gewählt, um seiner Sportliebe zu gedenken. Zur Vorbereitung der Beerdigung haben meine Schwester und ich uns öfter mit unserer Pfarrerin getroffen. Wir durften die Lieder wählen und ein Gedicht, das wir bei der Beerdigung gemeinsam vorgetragen haben. Einige Monate später, als die Erde über dem Sarg genug abgesackt war und der Grabstein gesetzt werden konnte, durften wir auch diesen mitgestalten. Meine Mutter und Schwester haben ihn mit dem Steinmetz behauen und ich habe die Schrift ausgewählt.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Mein Vater wurde in der katholischen Kirche bei uns in der Straße von einer evangelischen Pfarrerin beerdigt. Es war uns wichtig, dass er auf dem kleinen Friedhof mit Bergblick bei uns um die Ecke liegen kann. Sein Grab hat meine Mutter so gewählt, dass man genau auf das Kirchenportal schauen kann.

Zur Beerdigung kamen sehr viele Menschen, da mein Vater erstens noch jung war und zweitens beim Radio gearbeitet hat, wodurch er viele Menschen kannte. Sogar der Oberbürgermeister hat einen Blumenkranz geschickt. Wir saßen als Familie in der ersten Reihe, sodass ich erst nach der Trauerfeier gesehen habe, dass vor dem Kirchenportal auf dem Friedhof noch viel mehr Menschen standen.

Ein Kollege meines Vaters hat eine sehr schöne Rede über meinen Vater gehalten. Ich habe für mein Leben aber daraus mitgenommen, dass man Menschen viel häufiger schöne Dinge sagen sollte während sie leben und nicht erst wenn sie tot sind. Meine Patentante hat mir fast während des gesamten Gottesdiensts ihre warme Hand zwischen meine Schulterblätter gelegt, was sehr beruhigend war.

Das Kondolieren vor dem Grab hat über eine Stunde gedauert. Es war schön, dass so viele Leute da waren, aber ich weiß nicht mehr, was sie uns alle gesagt haben. Da ich nicht ganz in schwarz kommen wollte, hatte ich einen roten Samtmantel an, den mir mein Vater in Frankreich in einem Secondhand-Laden gekauft hatte. In der Zeit danach hatte ich auch oft die alte Lederjacke von ihm an, um ihn bei mir zu haben.

Wie ging es nach der Bestattung weiter?

Nach der Beerdigung sind wir in einer kleineren Runde essen gegangen. Die Tage davor hatte ich mit meiner Mutter die Location und das Essen ausgesucht. Eine meiner Freudinnen hat mir eine Kette aus Gänseblümchen von der Wiese vor dem Lokal gebastelt, die ich noch lange in meinem Zimmer hängen hatte. Bei vielen Verwandten und Freunden habe ich mich einfach gefreut sie mal wieder zu sehen, auch wenn der Anlass dafür denkbar schlecht war.

Bei der Beerdigungsfeier (Leichenschmaus klingt immer so makaber) hat meine Mutter die Eltern meines damaligen Freundes kennengelernt. Zwischen meiner und seiner Mutter ist durch Gespräche über Trauer, Tod und Glaube sehr rasch eine sehr intensive Freundschaft geworden, die bis heute anhält. Etwas kitschige Sätze wie „Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere“ können also wirklich wahr werden. Generell glaube ich, dass man sich nach so einem Schicksalsschlag darauf einstellen muss, dass vorhandene Freund:innen nicht mit der Situation umgehen können, aber dadurch plötzlich ganz andere Menschen und Dinge ins Leben treten, die es sehr bereichern können.

Ich erinnere mich insgesamt sehr positiv an die Beerdigung und gehe auch immer noch gerne zu Papas Grab (in dem mittlerweile auch sein Vater liegt), auch wenn ich von einigen Trauernden weiß, dass diese Rituale für sie keineswegs hilfreich sind.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Die Zeit nach dem Tod meines Vaters war sehr seltsam für mich. Sein Tod ist quasi mit dem Ende meiner Schulzeit zusammengefallen. Die Frage „und was machst du nach dem Abitur?“ hat natürlich auch vor mir keinen Halt gemacht. Vor Papas Tod hatte ich den Plan direkt studieren zu gehen, habe mich dann aber entschieden noch ein Jahr bei meiner Mutter und meiner Schwester zu bleiben. Ich habe viel Zeit damit verbracht, noch spontan einen FSJ-Platz (freiwilliges soziales Jahr) zu bekommen.

Direkt nach dem Abitur (Ende März) habe ich bis zum Sommer ansonsten alles so gemacht, wie es bereits geplant war: Zu Freunden nach Frankreich fahren, mit Freunden in den Urlaub fahren, das Zeltlager leiten, den Abiball hinter mich bringen. Bei all den Aktivitäten habe ich gemerkt, dass es vielen Leuten schwergefallen ist, mich auf Papas Tod anzusprechen. Ich selbst wollte auch nicht immer damit anfangen, um den Leuten die gute Laune nicht zu verderben. Ich habe von vielen gehört, dass „sie mich mal ablenken wollen“. Aber das funktioniert nicht.

Natürlich gab es auch lustige Tage für mich und ich habe noch andere Dinge außer trauern getan, aber ich habe trotzdem pausenlos an meinen Vater gedacht. Mir wäre es lieber gewesen, wenn mich Leute zu schönen Aktivitäten mitgenommen hätten und mich trotzdem auf Papas Tod angesprochen hätten. Das Sprechen darüber hätte manche Momente für mich eher leichter gemacht, als das Schweigen auszuhalten. Auch Sätze wie „du kannst dich jederzeit melden, ich bin immer da für dich“ sind nett gemeint, haben mir aber nicht sehr geholfen. Wenn es einem so grundlegend schlecht geht, wie nach einem Tod muss man schon sehr kommunikativ bewandert sein, um so gezielt Bedürfnisse an andere richten zu können. Mit 17 Jahren konnte ich das auf jeden Fall nicht und ich denke, dass es einem auch in höherem Alter in solchen Situationen schwerfällt, sich so bewusst an andere zu wenden.

Oft ist es ja auch mehr eine Traurigkeit, die über allem schwebt, als eine konkrete Sache, mit der man sich an jemanden wenden kann. Mir hat es immer mehr geholfen, wenn Menschen von sich aus auf mich zugekommen sind und einfach mitangepackt haben oder mich zum Reden aufgefordert haben. Ich fand es z.B. auch hilfreich von anderen Menschen zu hören, dass sie ebenfalls jung einen Elternteil verloren haben. Sie kamen mir auf einmal viel menschlicher vor und waren keine unnahbaren Erwachsenen mehr, sondern irgendwie Gleichgesinnte. Außerdem habe ich gesehen, dass sie trotzdem ein schönes Leben hatten und sie die frühe Erfahrung des Todes stark und lebensnah gemacht hatte.

Wie ist deine Familie mit der Trauer umgegangen?

Meine Schwester fand es gar nicht hilfreich, solche Geschichten zu hören, da sie oft das Gefühl hatte, dass dann nicht auf das eigene Schicksal eingegangen wird.

Generell sind alle in unserer Familie anders mit Papas Tod umgegangen und haben anders getrauert. Ich denke, es gibt daher kein allgemeingültiges Rezept, wie man so einen Schmerz verarbeitet und auch für Umstehende gibt es keine Anleitung, was man am besten zu Trauernden sagt. Was sich aber, glaube ich, die Allermeisten nach einem Verlust wünschen, ist darauf angesprochen zu werden und ernstgenommen zu werden, dass es auch Jahre später noch weh tun kann.

Gab es etwas, was dir in dieser schweren Zeit geholfen hat?

Nach der Bestattung war ich einige Male bei der Trauerbegleiterin des Beerdigungsinstituts, die mir etwas sehr Schönes gesagt hat: Sie meinte, dass ich mir Trauer wie eine innere Verletzung vorstellen soll. Da diese Verletzung nicht so sichtbar ist, wie ein gebrochener Fuß in einem Gips, ist es schwerer für andere sie zu sehen. Sie ist aber trotzdem da und man muss diese Verletzung gesund pflegen, genauso wie man es mit einem gebrochenen Fuß tun würde. Tatsächlich habe ich durch Papas Tod gemerkt, dass sich eine seelische Verletzung wie ein körperlicher Schmerz anfühlen kann. Besonders in den ersten Tagen hatte ich ein starkes Ziehen am Herz.

Mit die heilsamste Erfahrung in dieser Zeit war mein Freiwilligendienst, den ich schließlich in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke absolviert habe. Das Motto „Lebe den Tag“ wurde dort sehr stark gelebt, da es darum ging, den älteren Menschen in jedem Moment eine Freude zu bereiten, da sie es im Moment danach vielleicht schon wieder vergessen haben. Der Tod war hier auf einmal auch neben dem Leben möglich. Alle haben in dem Wissen gelebt, dass bald einer der Bewohner:innen sterben kann, aber das hat die Freude über jeden Tag nicht geschmälert.

Mir hat es sehr gutgetan, zu wissen, dass man über den Tod sprechen kann und den Tod erleben kann, ohne sein Leben aufzugeben. Nach Papas Tod hatte ich viele existentielle Fragen von „Wozu lebt man überhaupt“ bis „Was ist meine eigene Bestimmung auf dieser Welt“, die erst durch meinen Freiwilligendienst weniger wurden.

Der einzige andere Ort, an dem der Tod völlig selbstverständlich genannt wird, ist für mich die Kirche. Nach Papas Tod bin ich öfter mit meiner Mutter zu Gottesdiensten gegangen und auch während meines Studiums habe ich versucht, regelmäßig zu Taizé-Gebeten o.ä. zu gehen. Ich bin froh, dass Papas Tod auch bei uns in der Familie kein Tabuthema war, sondern meine Mutter uns oft gefragt hat, wie es uns geht. Ich konnte darauf zwar nicht immer sinnvoll antworten, aber so wusste ich doch, dass ich jederzeit zu ihr kommen konnte und sie Papa nicht vergessen möchte.

Gab es bestimmte Zeiten, die besonders schwer für dich waren?

Viele Menschen sagen, dass nach einem Trauerfall bestimmte Tage wie Weihnachten oder Ostern am schlimmsten sind. Bei mir war dieser Tag der Abiball. Von allen anderen Abiturient:innen waren beide Eltern da, selbst die Geschiedenen saßen geeint an einem Tisch. Nur bei mir wurde der Vater durch den Onkel ersetzt. Soweit ich mich erinnere war dieser Tag der einzige an dem ich mich in der Öffentlichkeit nicht zusammenreißen konnte und ich auf dem Weg zur Toilette anfing zu weinen. Die Eltern von zwei Freundinnen haben mich getroffen und dann erstmal ziemlich lange getröstet.

Generell habe ich selten vor Anderen geweint, aber fast jeden Abend zu Hause im Bett oder bei meinem damaligen Freund. Wenn ich aber irgendwie in die Situation kam, nochmal Papas Tod zu schildern hat sich meine Stimme immer ganz komisch verändert und ich wurde total nervös und habe gezittert.

Komischerweise bin ich ein Jahr nach Papas Tod nochmal in ein viel größeres Loch gefallen als direkt danach. Direkt nach seinem Tod stand noch so viel an, dass mich aufgefangen hat. In der Zeit zwischen meinem Freiwilligendienst und dem Studium war hingegen wenig geplant und mir ist auf einmal schwer gefallen mich zu motivieren. Ich habe zwei Reisen abgesagt, da ich mich völlig energielos gefühlt habe. Mein einziger Lichtblick war der baldige Beginn des Studiums. Bis dahin habe ich die Trauer als sehr wellenförmig wahrgenommen. Manchmal war sie stark und betäubend und manchmal kam mir alles weit weg vor und als wäre all das gar nicht meine Lebensgeschichte.

Rückschläge kamen vor allem, wenn andere unschöne Ereignisse in meinem Leben passiert sind (z.B. Trennung, Unsicherheiten im Studium etc.). Als ich anderthalb Jahre nach Papas Tod für mein Studium in eine andere Stadt gezogen bin, hatte ich einerseits das Bedürfnis „ganz neu zu beginnen“ und gleichzeitig war es mir sehr wichtig neuen Bekanntschaften schnell zu erzählen, dass ich meinen Vater verloren hatte. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Teil meines Lebens so stark zu meiner Identität geworden war, dass mich niemand, ohne von Papas Tod zu wissen, wirklich kennen konnte.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Für mich gibt es eine Zeit vor und eine Zeit nach Papas Tod. Sein Tod ist in unserer Familie eine Art Zeitrechnung geworden, wenn wir über vergangene Ereignisse sprechen. In der Zeit vor Papas Tod waren wir eine ganz normale Familie. In der Zeit danach mussten wir uns mit Dingen wie Halbwaisenrente und Erbschaft beschäftigen und meine Mutter war auf einmal alleinerziehend.

Nach Papas Tod sind gewohnte Traditionen an Weihnachten anders geworden und meine Schwester wurde magersüchtig. Sein Tod hat uns als Frauen-Gespann getrennt und neu zusammengebracht und uns alle stärker und erschöpfter gleichzeitig werden lassen. Papas Tod ist mittlerweile fast neun Jahre her und er kommt immer noch fast jeden Tag in irgendeinem Gedanken von mir vor. Wenn ich zuhause bei meiner Mutter in meinem Elternhaus bin, kommen die Erinnerungen noch stärker zurück.

Welchen Einfluss hat dein Vater und sein Tod auf dein heutiges Leben?

Wir haben nach Papas Tod sehr schnell seine Kleidung verschenkt und auch seine anderen Sachen verräumt oder aussortiert. Wenn ich heute im Keller bin, finde ich trotzdem immer wieder Dinge von ihm, die mich an verschiedene Erlebnisse mit ihm erinnern. Ich war immer sehr gerne mit meinem Vater an der frischen Luft und muss besonders bei Reisen an Urlaube und Ausflüge mit ihm denken. Ich habe ihn also quasi immer im Gepäck, egal wo ich bin.

Ich merke, dass ich mich bis heute in bestimmten Situationen frage, was mein Vater dazu gesagt hätte, ob er sich mit meinem heutigen Freund verstehen würde und ob er stolz wäre, wo ich heute stehe. Ich war immer eher ein Papa-Kind und bin froh, dass ich mich mit ihm immer sehr gut verstanden habe und nach seinem Tod keine ungeklärten Konflikte allein mit mir ausmachen musste. Ich versuche, besonders durch Gespräche mit meiner Mutter und meiner Schwester, mir Situationen und Charakterzüge von ihm lebendig zu halten. Da er Radiojournalist war, haben wir den großen Vorteil, neben Fotos auch Tonaufnahmen als Erinnerung zu haben.

Papas Tod hat mir geholfen viele andere Situationen zu relativieren. Ich war zum Bespiel nur sehr selten vor Prüfungen aufgeregt, da ich mir immer gesagt habe, dass es „nur“ Prüfungen sind und viel schlimmere Dinge im Leben passieren können. Eine zeitlang fand ich es schrecklich, wenn Notarztwagen an mir vorbeigefahren sind, aber das ging mit der Zeit weg. Sätze wie „die Zeit heilt alle Wunden“ würde ich hingegen nicht per se unterschreiben. Mit der Zeit verliert sich zwar der Schmerz, die Erinnerung verblasst, aber der Tod der geliebten Person ist plötzlich Teil der Lebensgeschichte. Gleichzeitig glaube ich, dass dieses Annehmen nur passiert, wenn man sich aktiv mit dem Verlust auseinandersetzt. Sich nur in seiner Trauer gehen lassen und darauf zu warten, dass es die Zeit schon richten wird, kann später zu ganz schönen Rückschlägen führen.

Was hat dir am meisten geholfen?

Mir hat es geholfen, mehrmals zu der Trauerbegleiterin des Beerdigungsinstituts zu gehen. Auch die Kirche, meine Familie und mein Freiwilligendienst haben zu einer Verarbeitung des Schmerzes beigetragen. Mir tat es außerdem sehr gut in die Natur und in die Berge zu gehen. Sonnenaufgänge und beeindruckende Aussichten, haben mir gezeigt, dass die Welt trotz allem Schmerz immer noch voller Schönheit ist.

Manfred

Manfred

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Mein Vater ist am 07.12.2017 gestorben, das ist nun ziemlich genau drei Jahre her. Ich war kurz zuvor auf einer sechswöchigen Urlaubsreise in Südamerika und sehr froh, dass ich drei Tage vor dem Tod wieder zurückgekommen bin und noch die letzten Stunden zusammen mit meinem Vater verbringen konnte.

Zu dem Zeitpunkt lag er bereits seit einer Woche im Krankenhaus und es war klar, dass er bald einschlafen wird, da der Krebs sich bereits so verteilt hatte, dass auch die Chemotherapie nicht mehr angeschlagen hatte. Es war, als ob Papa nur noch auf mich gewartet hatte.

Als ich direkt vom Flughafen angekommen bin, konnten wir uns noch einigermaßen gut unterhalten, aber schon nach wenigen Stunden war Papa zunehmend erschöpft und es fiel ihm schwerer zu sprechen und sich zu bewegen. Eigentlich war ich fast durchgehend bis zu seinem Tod bei ihm. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass er keine Schmerzen hat und friedlich einschlafen würde. Zum Glück hat er vorher noch selber mit der Ärztin abgesprochen, welche Schmerztherapie er sich wünscht und ich war sehr dankbar, dass ich mich nicht damit auseinander setzen musste.

Kurz vor dem Todeszeitpunkt war ich nicht im Krankenhaus, aber als mich meine Mutter anrief, bin ich sofort wieder ins Krankenhaus gefahren und war dann auch noch bei ihm. In seinen letzten Stunden war er zu keiner Zeit alleine. Natürlich war ich währenddessen und auch schon vorher, als ich wusste, das sein Leben zu Ende geht, sehr traurig. Ich habe unglaublich viel geweint und mich oft gefragt, ob auch alles gesagt wurde, was ich meinem Papa noch mitgeben wollte – irgendwie war dann doch weniger Zeit als ich vorher erwartet hatte.

Auch wenn ein paar Wochen vorher klar war, dass er bald sterben könnte, habe ich diesen Gedanken sehr verdrängt. Da auch er selber seine Krankheit nicht so oft thematisiert hat, wusste ich nicht abzuschätzen, dass nur noch so wenig Zeit bleibt und dass es so schlimm um ihn steht. Er hatte ein Jahr vor seinem Tod noch eine große OP und ich dachte, dass er dadurch noch viele Jahre zu leben hätte.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Die Zeit bis zur Bestattung habe ich sehr durchwachsen und turbulent erlebt. Es gab viel zu tun, vor allem mussten weitere Angehörige und Freunde über das Ereignis informiert, Trauerkarten geschrieben und gleichzeitig sehr viel organisiert werden. Besonders weil die Bestattung nicht am Todesort, sondern 600 km entfernt stattfand, wo das Familiengrab der Familie meines Vaters liegt und die restlichen Verwandten wohnen. Meine Eltern sind getrennt und ich habe keine Geschwister, so dass ich als Tochter die nächste Angehörige bin und mich dadurch um einige Sachen alleine kümmern musste, auch wenn meine Mutter mich bei allen Dingen, bei denen es ihr möglich war, unterstützt hat.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Durch einige Formalitäten, nämlich dadurch, dass die Urne von uns persönlich in ein anderes Krematorium gebracht werden musste, war die Erdbestattung nicht am gleichen Tag wie die Trauerfeier möglich. Auch für Freunde in Bonn war es nicht möglich, nach München zur Bestattung oder zur Trauerfeier zu kommen. Daher haben wir dreimal Abschied genommen: Am Tag der Trauerfeier, am Tag der Urnenbeisetzung und am Tag seines 65. Geburtstages, den er leider nicht mehr mit uns zusammen feiern konnte, wir aber ein ganz kleines „Erinnerungsfest“ gemacht haben.

Die Trauerfeier war wunderschön gestaltet und hat mir sehr geholfen, nochmal sein Leben Revue passieren zu lassen. Auch die Vorbereitung, das Heraussuchen von Liedern, die ihn begleitet haben und das Verfassen von Erinnerungen an meinen Vater, an denen ich alle teilhaben lassen wollte, haben mir geholfen, zu akzeptieren, dass die Lebenszeit begrenzt ist und er trotz seines sehr frühen Todes viel bewirkt hat und viel Einfluss auf mein Leben hatte und auch immer noch hat. Besonders wertvoll habe ich erlebt, zu sehen, dass viele Menschen gekommen sind, um gemeinsam Abschied zu nehmen und sich gegenseitig zu trösten.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

In den Monaten nach dem Tod mussten extrem viele organisatorische Sachen erledigt werden. Ich habe die Wohnung komplett aufgelöst und dabei viele persönliche Gegenstände und Erinnerungen meines Vaters entdeckt. Bestimmte Gegenstände haben vergessene Kindheitserinnerungen wieder geweckt und in diesen Momenten habe ich meinen Vater ganz besonders als Person, mit der ich diese Erinnerung teile, mit der ich mich jedoch nicht mehr austauschen kann, vermisst.

Ich fand oft, dass ich den Dingen gar nicht gerecht werden konnte und fand mich nicht wohl dabei, zwischen „kann weg, wird nicht mehr gebraucht“, „behalte ich“ und „entscheide ich später“ entscheiden zu müssen. Für meinen Vater waren fast alle seine (nicht unbedingt materiellen) Dinge wichtig und ich wusste, dass er sie gerne aufbewahrte. Trotzdem musste ich mich irgendwie von dem Gedanken lösen, alles festhalten zu wollten.

Noch immer habe ich sehr viele Dinge, die ich noch nicht weggeben möchte, aber auch nicht gebrauchen kann und mindestens genauso viele besondere Dinge, die ich geerbt habe und die einen ganz persönlichen Erinnerungswert haben. Ich glaube, auch diese Dinge helfen mir, an meinen Vater und unsere Beziehung zu denken, wann immer ich damit in Berührung komme und zu hoffen, dass er sich freut, dass diese Dinge noch weiterhin Freude bereiten – wie z. B. sein Fahrrad, dass früher er fuhr und das jetzt täglich mich durch die Gegend trägt.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

In den ersten Wochen habe ich jeden Tag an meinen Vater gedacht. Mittlerweile ist es weniger geworden, ohne dass er in Vergessenheit gerät. Ich denke, dass ich den Verlust meines Vaters akzeptiert habe und mittlerweile gut damit umgehen kann. Mir hilft es, sehr offen mit Freunden, Angehörigen und Gleichgesinnten über den Tod meines Vaters zu sprechen. Außerdem hilft es mir, ein Grab als Ort des Abschieds und der Verbindung zu haben. Dort kann ich auch örtlich meinem Vater nah sein. Gedanklich kann ich das jederzeit. Manchmal beruhigt es mich, eine Kerze anzuzünden und dabei ganz besonders an meinen Papa zu denken.

Falk

Falk

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

An dem Tag an dem mein Vater starb, war ich zuhause. Es passierte alles, während ich schlief. Ungefähr gegen 9:00 Uhr wachte ich schreckhaft auf mit dem Wissen, verschlafen zu haben. Zu dem Zeitpunkt war ich 14 Jahre alt und wurde normalerweise immer von meinem Vater geweckt. Als ich auf die Uhr schaute, stürmte ich wutentbrannt aus meinem Zimmer, um zu sehen warum mich keiner geweckt hatte.

Als ich um die Ecke des Flurs ging änderte sich plötzlich alles und ich realisierte das etwas ganz und gar nicht stimmt. Am Ende des Flurs standen Polizeibeamte. Mein erster Gedanke war: Unser Hund ist mal wieder abgehauen. Die Idee, dass einem Familienmitglied etwas zugestoßen sein könnte, kam mir nicht mal ansatzweise in den Sinn. Ich lief umgehend zurück in mein Zimmer und setzte mich auf mein Bett. Nach kurzer Zeit kam meine Mutter ins Zimmer und sagte, dass Sie mir gleich alles erkläre. Ganz schnell führte sie mich im Arm runter.

Unten angekommen, merkte ich, dass etwas wirklich Schlimmes passiert sein musste. Mein Bruder, der zu dem Zeitpunkt schon ausgezogen war, war auch da und sah bitterlich verweint aus. Daraufhin erzählte Mama mir, dass Papa verstorben ist an diesem Morgen und alles ganz plötzlich kam. Ich werde diesen Moment wohl nie vergessen.

Was hast du in diesem Moment gefühlt?

Die Gedanken an meine letzten Momente mit Papa kreisten nur so um mich und schweben mir bis heute ständig im Kopf. An dem Tag brach meine Welt zusammen und ich wusste nicht, inwiefern ich diesen Verlust wohl jemals ertragen könnte. Der Schmerz einen so geliebten Menschen zu verlieren, wird nie verschwinden. Die Art und Weise wie man damit lebt ändert sich allerdings.

Ich habe mich nicht von meinem Vater verabschiedet, da ich meine Erinnerung nicht mit einem solchen Moment trüben wollte. Bis heute glaube ich, war es die beste und schwerste Entscheidung zugleich. Denn der Abschied und das Realisieren des Verlustes sind dadurch schwierig. Wie soll man auch begreifen, dass man diesen Menschen nie wiedersehen wird, wenn er doch am Abend vorher noch Scherze mit dir gemacht hat? Andererseits hat sich das positive, vitale Bild meines Vaters dadurch nie verändert. Und darum bin ich sehr froh.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Ich habe die Zeit mit meinem damaligen Freund verbracht. Mein Vater starb an einem Freitag. Ich bin bereits montags wieder in die Schule zurückgekehrt, da ich den Trubel zuhause nicht aushielt. Auch meine Mutter wollte mich davor schützen. Nach einem plötzlichen Todesfall ist der anstehende Papierkram enorm und bürokratisch entstehen einige Hürden. Ich habe mich also so gut es geht abgelenkt.

Ich habe mit meinen Freunden über alles sprechen können, daher war es kein Verdrängen sondern ein einfaches Abtauchen aus der Situation. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt alles völlig unreal scheint. Ich glaube das, was mich im Nachhinein am meisten schockiert hat, ist die Tatsache, was alles auf meine Mutter zukam. Der Verlust eines geliebten Menschens, ein Umzug etc. sind schon Herausforderung genug. Doch das System erschwert viele Prozesse und verlangt finanziell und bürokratisch enorm viel von den Betroffenen ab.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung war sehr emotional und auch sehr bedrückend. Allerdings hatten wir zwei Trauerfeiern. Eine bei uns im Garten für alle Freunde und Angehörige und eine private Beisetzung in Hessen auf einem Waldfriedhof. Eine Beisetzung/Trauerfeier für einen recht jungen Mann, der plötzlich verstirbt, kann nur extrem schmerzhaft sein, weil der Tod so unfair scheint. Allerdings haben wir das Beste aus der Situation gemacht.

Was ist dir von diesem Tag positiv in Erinnerung geblieben?

Zu sehen wie viele Menschen mein Vater berührt und bewegt hat in seinem Leben, hat mir nur nochmal bestätigt was für ein wunderbarer Mensch er doch war. Und dass nicht nur ich um ihn trauern werde, sondern er täglich von so vielen Menschen vermisst werden wird. Er hat Spuren hinterlassen und niemand würde ihn je vergessen. Das hat mir ein Stück Mut, Hoffnung und Glücksgefühl beschert.

Denn ich konnte zumindest sagen, was ich für ein Glück hatte 14 Jahre lang einen solchen Vater gehabt zu haben. Einen Vater, der mir und meiner Familie so viel gegeben hat und mich mit größter Güte und Liebe erzogen hat. So ein Glück erfahren nicht alle Kinder. Das Wissen, immerhin 14 Jahre von ihm gehabt zu haben und so viel von ihm gelernt zu haben, hat mich mit Stolz erfüllt und durch diesen Tag gebracht.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Die erste Zeit nach dem Tod meines Vaters war extrem schwierig. Ich habe zwar weiter gemacht wie zuvor, und auch weiterhin gelacht und glückliche Momente gelebt. Aber das Bewusstsein darüber was der Tod bedeutet und dass ein Leben endlich ist, war für mich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht wirklich greifbar. Ich dachte ständig daran, meinen Vater bald wiederzusehen.

Auch heute denke ich, dass es nicht möglich ist, dass ich meinen Vater nie wieder umarmen kann. Diese bittere Realität werde ich nie begreifen können. Gerade zu Beginn war ich sehr sensibel und war schnell am Wasser gebaut. Das was mir in diesen Momenten am meisten geholfen hat, war der enge Bezug zu meinen Freunden. Ich musste so viel unternehmen, wie ich nur konnte. Denn vor meiner Mutter Trauer zeigen und zu weinen, war kaum vorstellbar.

Meine Mutter bat mich deshalb zu einer Psychologin zu gehen, aus dem einfachen Grund, dass sie nicht kontrollieren konnte, inwiefern ich über meine Trauer spreche. Für mich war das auch vollkommen okay und ich begab mich in eine Form von wöchentlichen Gesprächen mit meiner Psychologin. Es gab mir zwar einen neutralen Blick auf die Dinge, aber ich kann nicht sagen, dass Sie mir helfen konnte. Das liegt aber vor allem daran, dass man mir nicht helfen musste, denn ich habe meine Trauer bei meinen Freunden auslassen können und schon immer gut über den Verlust sprechen können.

Ich glaube das ist mit Abstand der wichtigste Punkt nach einem derartigen Ereignis. Ohne die offene Kommunikation wäre ich innerlich vermutlich daran zerbrochen. Mein Freund war mir zu dem Zeitpunkt eine sehr große Hilfe. Meine Freundinnen waren alle ebenfalls sehr bestürzt, da auch sie ein sehr enges Verhältnis zu meiner Familie und besonders zu meinem Vater hatten. Sie schwelgen bis heute gerne mit mir in Erinnerung und gemeinsam können wir über all die schönen Momente lachen, die mein Vater uns bescherte.

Was hat dich angetrieben, deinen Weg weiter zu gehen?

Es gab einige Menschen, die nicht begreifen konnte wie ich „einfach so weitermachen könnte“ und warteten förmlich auf einen Absturz. Ich denke es gibt viele Menschen, die ein solches Ereignis nicht verkraften. Für mich ist es bis heute auch nicht leicht, aber ein Gedanke hat mich durch alles hindurch geführt: Ich möchte meinen Vater stolz machen. Er soll von Oben auf mich herabschauen und glücklich sein. So wie er es auch von mir verlangen würde glücklich zu sein.

Ein weiterer Gedanke hielt mich über Wasser: Diese Art eines plötzlichen Todes ist zwar für die Zurückgebliebenen das Schlimmste, da es die Welt völlig unerwartet auf den Kopf stellt. Für meinen Vater war es allerdings die beste Form. Schnell, kurz und unspektakulär. Kein langer Leidensweg. Genau so hätte er es sich gewünscht.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Die Trauer verlässt einen nie. Es begleitet mich jeden Tag. Und jeden Tag wache ich auf und hoffe es wäre anders. Ich denke und vermisse Ihn jeden Tag, wünschte ich könnte ihm von meinem Tag erzählen, ihm stolz über meine neuen Lebensschritte berichten. Der Gedanke an die Zukunft und dass er nicht bei mir sein kann, wenn ich heirate; dass er mich nicht zum Altar laufen kann oder mit meinen Kindern irgendeinen Blödsinn machen kann; dass ich niemals mit ihm zusammen ein Bier trinken werde und bis spät in die Nacht über die Welt philosophieren kann.

All das sind Gedanken, die mich täglich begleiten. Aber genauso spüre ich jeden Tag eine tiefe Dankbarkeit für alles, was ich von ihm mitnehmen durfte und durch ihn gelernt habe. Und wenn man diese Dankbarkeit in den Vordergrund stellen kann, dann schafft man es auch einen Weg zu finden, mit der Trauer umzugehen.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Mein Rat: Sprich dich aus, es gibt keinen Grund diese Trauer und diese Gedanken mit dir selbst zu vereinbaren. Sei froh und dankbar über deine gemeinsame Zeit mit diesem Menschen, denn die wird dir niemals jemand nehmen können. Du verlierst niemanden für immer, denn dieser Mensch wird immer bei dir sein, weil du ihn in dir trägst. Er wird dich ständig begleiten und dir helfen, wenn du daran denkst, was dieser Mensch in dieser Situation gesagt und getan hätte. Für mich gibt es ein Leben nach dem Tod. Und ich weiß, dass mein Wunsch meinen Vater umarmen zu können in Erfüllung gehen wird.

Wir nehmen dich nach deinem Verlust an die Hand

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