TRAUERNDE ERZÄHLEN

Norbert & Birgitta

Norbert und Birgitta sind im Jahr 2019 kurz nacheinander verstorben. Hier erzählt ihr Sohn über seine Erfahrungen im Umgang mit dem Tod und der Trauer.

Wie war der Tag, als du von dem Tod deiner Mutter erfahren hast?

Ich bin gegen 8:00 Uhr aufgewacht und wunderte mich, dass ich diese Nacht durchgeschlafen habe und keinen Anruf aus dem Krankenhaus bekommen habe. Nachdem ich dann aber mehrere verpasste Anrufe der Intensivstation der Uniklinik sah, auf welcher meine Mutter nach einem Frontal-Zusammenstoß auf der Landstraße behandelt wurde, öffnete ich WhatsApp und las eine Nachricht meines Bruders: „Ruf mal bitte zurück“. Als ich sofort zurückrief sagte er mir, dass er auf dem Weg ins Krankenhaus ist, in welchem mein Vater zu dieser Zeit wegen einer chronischen Darmerkrankung behandelt wurde.

„Mama hat es nicht geschafft“.
„Ok. Dann komme ich jetzt“

Dann bin ich aufgestanden, in das Zimmer meines Mitbewohners gegangen, habe mich auf sein Bett gesetzt und nüchtern den Satz meines Bruders wiederholt. „Mama hat es nicht geschafft“. Anschließend sind wir ins Krankenhaus zu meinem Vater gefahren. Meinem Bruder und mir war klar, dass wir diejenigen sind, die ihm beibringen müssen, dass die Frau, mit dem er seit 31 Jahren verheiratet ist, bei einem Autounfall verstorben ist. Ich „musste“ einfach funktionieren.

Wie hat dein Körper auf den Tod deiner Mutter reagiert?

Mit einiger Zeit Abstand kann ich reflektierend sagen, dass ich mich mit der oben beschriebenen Nachricht meines Bruders in eine Art „Tunnel“ begeben habe. Ab diesem Zeitpunkt habe ich einfach funktioniert. Ein ständiger Sprung zwischen Rationalität und Emotionalität. Ich bin ganz froh, wie meine Psyche reagiert hat. Ich denke, dass die Nachricht des Todes der eigenen Mutter eine Art „Notfallprogramm“ im Kopf gestartet hat.

Es ist jetzt fast genau zwei Jahre her. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass meine Psyche ganz bewusst manche Dinge gefiltert hat und erst garnicht im Langzeitgedächtnis hat ankommen lassen. Es gibt Erinnerungen die ich noch klar vor mir habe, ohne dabei so richtig viel zu fühlen. So kann ich mich zum Beispiel gut daran erinnern, dass ich meinem Vater unter Tränen gesagt habe „Die Mama ist tot.“ Mir kommen bei dem Satz ab und zu auch immer noch ein wenig die Tränen. Aber ich kann heute nicht mehr ansatzweise nachfühlen wie es sich damals angefühlt hat.

Um dieses clevere Verhalten meiner Psyche bin ich auch ganz froh irgendwie. Auf der anderen Seite: Mein erstes richtiges Fallenlassen/zur Ruhe kommen/der Trauer Raum geben, fand am Abend des Todestages statt. Ich bin in meinem Heimatort zu Fuß von meinem Elternhaus zum Haus meiner besten Freundin gegangen. Der Weg dorthin war für mich die erste Zeit alleine an diesem Tag und die Möglichkeit das Geschehene zu realisieren. Ich habe geklingelt – Sie hat geöffnet – Der Moment des Umarmens und des Weinens ist mir auch nach zwei Jahren sehr präsent. Ich hab das Gefühl des „Fallenlassens“ regelrecht gespürt und kann diesen Moment immer noch gut nachfühlen.

Wie war der Tag, als du von dem Tod deines Vaters erfahren hast?

Nach dem Tod meiner Mutter hat mein Vater schlichtweg aufgegeben. Wenn der Mensch stirbt, der dich jahrelang mit einem unbändigen Optimismus durch einen schweren Krankheitsverlauf mit vielen Krankenhausaufenthalten zieht, kann ich es gut nachvollziehen, dass der letzte vorhandene Wille zum Durchhalten erlischt.

So hat sich etwa eine Woche nach dem Tod meiner Mutter der Gesundheitszustand meines Vaters deutlich verschlechtert. Schlechte Lungenwerte – Verlegung auf die Intensivstation – Intubation – Fieber – Multiples Organversagen – Tod.

Mein Bruder, mein Cousin, mein Mitbewohner und zwei Freunde waren zu dem Zeitpunkt bei mir in der Wohnung. Um 22.15 hatten wir Kontakt mit der besten Freundin meines Vaters, die im Krankenhaus einige Stunden vor dem Tod entschieden hat, dass sie „dabei“ sein möchte und uns Bescheid gibt, wenn es soweit ist. Wir saßen dann alle gemeinsam im Wohnzimmer und haben im Endeffekt darauf “gewartet“. Um 22.15 schrieben wir kurz mit Christina, der besten Freundin meines Vaters:

22:15 „wie läuft es?“
22:22 „ALARM“

Anschließend rief sie uns an. Mein Bruder und ich saßen in meinem Schlafzimmer auf dem Bett und haben dieses Telefonat geführt. Was soll man sagen? Doofe Situation. Mein erster Gedanke war: „Papa hat es endlich geschafft und ist jetzt wieder bei Mama, doof für uns… Gut für die zwei 💛“

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Der Tod war eine Mischung aus zwei Sachen: Erstens Funktionieren. Die Beerdigung organisieren, Bürokratische Dinge regeln, Todesmitteilungen überbringen, Dinge für meinen Vater regeln. Zweitens mit den eigenen Emotionen balancieren. Trauern, mit Freunden und Familie sprechen, eine Perspektive und Fahrtrichtung für die nächsten Wochen, Monate und Jahre finden.

Wir haben die ganzen Dinge gemeinsam mit Freunden und Familie organisiert. Die zahlreichen Hilfsangebote von Freunden, Kollegen und Bekannten ist mir besonders in Erinnerung geblieben.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung meiner Mutter war ein kalter, verschneiter Wintertag. Die Trauerhalle war brechend voll. Der Gospelchor meiner Mutter hat gesungen. Die Bestattung war ein wichtiger Schritt für das „Loslassen“. Als besonders wertvoll habe ich folgendes Bild im Kopf: Wir standen nach dem Trauermarsch an dem Urnengrab meiner Mutter. Ich blickte den Friedhofsweg entlang und wunderte mich über die große Anzahl von Trauergästen…Die Schlange hörte nicht auf. Das war schon ein ziemlich rührender Moment „Guck mal Mama, wer alles gekommen ist um dir Lebewohl zu sagen“ … Das war irgendwie ein trostspendender Gedanke.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Das erste Trauerjahr war das Schwerste. Alle ersten Male waren besonders komisch. Nicht nur die offensichtlichen Dinge wie Geburtstage oder Weihnachten, sondern auch das erste mal geblitzt werden, das erste Konzert, das erste selbst gespielte Konzert, der erste Urlaub, der erste Kater, das erste mal Kräuterquark machen, das erste mal PUR im Auto hören…die Liste ist unendlich lang.

Trauer ist ein langer, langer Prozess. Diesen Prozess stelle ich mir wie folgt vor: Es gibt einen riesigen Topf, in dem unzählige Gedanken, Ideen, Sichtweisen, Fragen, Gefühle, usw. zu finden sind. Ich glaube diese müssen ALLE einmal gedacht, gefragt, gefühlt, gesehen werden, um irgendwann sagen zu können: „Ich habe den Tod meiner Eltern verarbeitet“.

Ich habe recht zügig gemerkt, dass dieser Trauerprozess in einer Wellenbewegung stattfindet. Die Frequenz und die Amplitude verändert sich durch „Trigger“. Wann diese kommen ist für mich leider nicht vorhersehbar. So bleibt der Trauerprozess aber auch spannend! 😉 Ich war auch immer neugierig, wie es mir in 3 Tagen, 3 Wochen, 3 Monaten oder in 3 Jahren geht. Diese „Neugier“ hat mir geholfen, den Kollegen „Trauer“ als neuen Teil von mir zu akzeptieren und einen Umgang mit ihm zu finden.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Der Tod meiner Eltern gehört jetzt so fest zu mir wie meine zwei Ohren und meine Nase. Ich kann an der Situation NICHTS ändern. Ich kann einen Umgang damit lernen und das Beste draus machen. So ist das Leben eben 🙂

Hast du Ratschläge für andere Trauernde?

Höre auf dein Inneres und NIMM DIR ZEIT. Finde Dinge, die dir in deiner Traurigkeit helfen. Wenn es dir zum Beispiel hilft, Joggen zu gehen, Gitarre zu spielen oder mit Freunden zu sprechen… perfekt! Merk dir das und packe die Dinge in deine Werkzeugkiste. Wenn du das nächste Mal ein „Down“ hast, schaue in die Werkzeugkiste und probiere diese Dinge aus.

Klar, manchmal hatte ich Phasen, in denen die ganze Werkzeugkiste nicht geholfen hat. Das ist deprimierend, kommt aber vor. Dann blieben mir zumindest die Durchhalteparolen übrig, wie zum Beispiel: „Es wird auch wieder bessere Tage geben“. Ich denke JEDEN TAG an meine Eltern. Manchmal mit einem weinenden, manchmal mit einem lachendem Auge. Manchmal auch beides.

Akzeptiere den Tod als Teil deiner Geschichte und finde einen Umgang damit. Mir hilft es auch manchmal in den Himmel zu gucken und mir vorzustellen, dass die zwei auf ihrer schön aufgeräumten Wolke Nr. 14 sitzen und auf mich hinunterblicken. Dann rede ich auch manchmal mit der Wolke, zu welcher ich da gerade hinaufblicke. Ich weiß auch, dass da keine Antwort zurück kommt. Es hilft aber trotzdem irgendwie. Und wenn das hilft, perfekt! Ab in die Werkzeugkiste damit 🙂

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