Dominik

Storytelling Child

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

„Jetzt können wir Ihrem Sohn nicht mehr helfen. In 3 bis 4 Stunden wird er hirntot sein. Wie und wann er sterben wird, entscheiden Sie“, sagte die Oberärztin der Kinderintensivstation. Ich erlitt einen Nervenzusammenbruch. Den ersten meines Lebens. Ich schrie so laut, dass mir die Ohren wehtaten.

10 Minuten früher sah alles gut aus. Es ging sogar bergauf. Und nun das? Ich verstand die Welt nicht mehr. Da war so viel Wut, Schmerz, Traurigkeit und vor allem Hilflosigkeit. Ich konnte meinem Sohn nicht helfen, nur noch bei ihm sein und ihn in den Tod begleiten.

Ich hielt stundenlang sein Händchen, wog ihn in meinen Armen, streichelte und küsste ihn. Ich versuchte, diese innige Zeit zu genießen. Schließlich waren das die letzten Stunden, die ich mit ihm verbringen konnte. Ich wollte nicht wahrhaben, dass er im Sterben lag und bald nicht mehr da sein wird. Ich habe ihn doch 9 Monate lang in meinem Bauch getragen und zu Hause alles für ihn vorbereitet. Ich kann doch unmöglich ohne ihn heimfahren.

Was hast du in dieser Zeit gefühlt oder gedacht?

Ich konnte nicht klar denken, stand unter Schock. Eine Krankenschwester schlug vor, noch Hand- und Fußabdrücke von Dominik als Erinnerung zu nehmen. Ich willigte ein. Auch der Taufe stimmte ich zu, obwohl ich all das zum „richtigen“ Zeitpunkt – später – machen wollte. Ein Später gab es aber für meinen Sohn nicht mehr.

Wie hast du ihn in den letzten Stunden vor seinem Tod begleitet?

Es war mir wichtig, die ganze Familie beisammensitzen zu haben, und so ließ ich meine Tochter, die damals 3 Jahre alt war, von meinen Schwiegereltern zur Kinderintensivstation bringen. Und dann saßen wir da: mein Mann mit meiner Tochter auf dem Schoss und ich mit Dominik im Arm. Ein Moment für die Ewigkeit! Könnte man die Zeit stoppen, wäre das der Augenblick gewesen.

Meine Tochter war so stolz, große Schwester zu sein. 5 Tage lang wartete sie, bis sie ihn sehen durfte. Es war ein Hallo und gleichzeitig auch Tschüss. Doch das wusste sie nicht. „Dominik ist so süß“, sagte sie und streichelte ihm sanft über den Kopf. Das war so schön! Leider verging unsere Zeit zu viert viel zu schnell. Meine Tochter musste wieder gehen. Eigentlich hätte sie gar nicht auf die Intensivstation gedurft. Aber in diesem Fall wurde eine Ausnahme genehmigt.

Dominik war ein Kämpfer. Er hielt länger durch, als die Ärzte glaubten, doch irgendwann schwanden seine Kräfte. Die Schwestern stellten nach und nach die Lautstärke an den Überwachungsgeräten der anderen zwei Kinder im Raum aus und dimmten das Licht. Mit diesen kleinen Veränderungen fühlte sich das Klinikzimmer gar nicht mehr so kalt an.

Was ging in den letzten Stunden vor seinem Tod in dir vor?

In den letzten Stunden wankte ich zwischen Hoffnung und Trauer. Ich hoffte auf ein Wunder, wünschte mir, dass irgendetwas passierte und noch alles gut wird. Doch die meiste Zeit weinte ich. Ich trauerte bereits um meinen Sohn, obwohl er warm und weich in meinem Arm lag.

Dann blieb sein Herzchen stehen. Ich wartete, dass es wieder anfing zu schlagen, aber das tat es nicht. Ich war plötzlich eine Sternenkind-Mama und brach zusammen. Da war all die Mutterliebe, die ich Dominik nun nicht mehr schenken konnte, und all der Schmerz, der in meiner Ohnmacht gefangen war. In meinem Buch beschreibe ich diesen Moment so: „Ich schwimme in einem Meer meiner Gefühle und drohe, gnadenlos unterzugehen.“ Ging ich unter? Zum Glück nicht. Mein Mann fing mich auf.

Wie hast du die Zeit bis zur Bestattung erlebt?

Dominik wurde am 3. Tag nach seinem Tod beerdigt. In unserem Bundesland dürfen Tote maximal 4 Tage gekühlt bis zur Beerdigung aufbewahrt werden. Und da wir Dominik weder obduzieren noch verbrennen lassen wollten, musste er innerhalb dieser Frist beerdigt werden. Grausam schnell, wie ich finde.

Die 2 Tage dazwischen erlebte ich wie in Trance. Zum einem, weil ich aufgrund des Not-Kaiserschnitts starke Schmerztabletten nahm, um alle Termine erledigen zu können. Zum anderen, weil ich es einfach nicht begreifen konnte, dass mein heiß geliebter Sohn so plötzlich verstorben war.

Dass das nicht oft vorkommt, merkte ich an den Reaktionen der Menschen, die ebenfalls überfordert waren, sobald ich ihnen von Dominiks Tod erzählte. Kollegen, enge Freunde oder Nachbarn. Selbst der Mitarbeiter des Bestattungsinstituts fragte ungläubig nach und musste schlucken, als er feststellte, dass er sich nicht verhört hatte.

Hast du alle Aufgaben allein erledigt oder hattest du Unterstützung?

Das Bestattungsinstitut übernahm den Großteil der Aufgaben. Sie beantragten die Sterbeurkunde, veranlassten die Überführung unseres Sohnes und koordinierten sogar die Termine mit unserer Pfarrerin. Einen Termin, um ihr unsere Geschichte zu erzählen, damit sie die Trauerrede vorbereiten konnte und einen Termin für die Beerdigung.

Außerdem gab es erste Gespräche mit meiner Hebamme, einer Seelsorgerin und dem Steinmetz. Bei allen Terminen war mein Mann dabei. Auch er hatte sein Kind verloren und trauerte. Gemeinsam stützten wir uns. Auch heute noch (6 Jahre später), wenn es hin und wieder wehtut.

Wie hast du den Tag der Bestattung in Erinnerung?

Am Tag der Bestattung blitzte morgens schon die Sonne hinterm Vorhang hervor. Sie wollte mich aus dem Bett locken. Erst freute ich mich über ihre warmen Strahlen, dann erinnerte ich mich: Mein Sohn ist tot und heute wird er beerdigt. Ich zog mir die Decke über den Kopf, wollte wieder einschlafen und wünschte mir, den Tag einfach zu verschlafen.

Würdest du sagen, die Bestattung war ein wichtiger Schritt für dich, um Abschied zu nehmen?

Im Nachhinein bin ich froh, dass ich nicht im Bett liegen geblieben bin, denn die Bestattung war sehr wichtig für mich und meine Trauerbewältigung. Die Sonne schien den ganzen Tag. Kurz bevor die Pfarrerin eintraf, zeigte das Thermometer 28° Celsius an, Ende September. Um meinen Sohn ein letztes Mal zu sehen und mich zu verabschieden, zog ich dennoch eine Jacke über. Die Aufbahrungsräume sind doch immer kühl. Auf dem Weg dorthin begleiteten mich gemischte Gefühle. Ich freute mich, meinen Sohn noch einmal sehen zu dürfen. Allerdings war es das letzte Mal.

Als die Tür aufging, war es wieder um mich geschehen. Die Ohnmacht und Hilflosigkeit hatten mich voll im Griff. Da lag er, mein Dominik, mein Sohn, mein Bärchen. Er sah aus, als ob er schlief. War er wirklich tot? Ich streichelte und küsste ihn. Er war kalt. Eiskalt! Diese Kälte habe ich gebraucht, um zu begreifen, dass sein Tod endgültig ist. Er würde nicht mehr zurückkommen. Das war mir nun klar.

Was ist dir an der Bestattung positiv in Erinnerung geblieben?

Die Trauerrede war wunderschön. Die Pfarrerin bezog wichtige Details aus Dominiks Geschichte sowie unsere Tochter und ihre Taufe mit ein. Es fühlte sich gut an, auch wenn es gleichzeitig schrecklich wehtat. Und immerzu schien die Sonne. Ihre Strahlen drangen sogar durch die bunten Mosaikfenster hindurch, sodass sich faszinierende Farbspiele auf dem Boden ergaben. Dominik hätte das bestimmt gefallen.

Das Abschiednehmen am Grab war sehr schwer. Das war der allerletzte gemeinsame Weg. Nach dem Fallenlassen der Rose und dem Hinunterrieseln der Erde fing ein neues Kapitel meines Lebens an. Das Leben danach.

Wie hast du die Zeit nach der Beerdigung wahrgenommen?

In den ersten Tagen nach der Beerdigung schwebte ich im Nirgendwo. Täglich begrüßten mich die Ohnmacht, Hilflosigkeit und Ungläubigkeit. Das Leben zog an mir vorbei und ich konnte lediglich zuschauen. Ich fragte mich immer wieder: Wie soll ich nur ohne meinen Sohn weiterleben? Wie soll ich meine Trauer um ihn verarbeiten? Und kann ich je wieder glücklich werden?

Da waren all diese Gefühle und Gedanken, die ich zuvor nie gespürt habe. Sie kreisten permanent in meinen Kopf. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Ich fing an, alles aufzuschreiben. Ich versuchte, ein Muster zu erkennen. Meine Erkenntnis: Trauer folgt keinem Muster.

Gab es bestimmte Lichtblicke für dich in dieser Zeit?

Etwa 2 Monate nach dem Tod meines Sohnes begann der Rückbildungskurs, einer für verwaiste Mütter. Unsere Kinder waren alle verstorben, dennoch brauchten auch unsere Körper ein wenig Training. Einmal die Woche fand der Kurs statt und vor den Übungen gab es immer eine Gesprächsrunde. Wir sprachen über unsere Sternenkinder, unsere Trauer und vor allem darüber, wie wir den Alltag ohne unsere Babys bewältigten.

In dieser Runde fühlte ich mich wohl. Hier konnte ich offen reden. Die anderen wollten wirklich wissen, wie es mir geht. Sie waren an meinem Sohn genauso interessiert wie ich an ihren Kindern und ihren Geschichten. Niemand musste sich rechtfertigen. Diese Gruppe, die auch nach dem Ende des Kurses weiterhin bestehen blieb, war neben dem Schreiben meine größte Stütze.

Gab es emotionale Rückschläge? Sind sie in bestimmten Situationen aufgetreten und wie bist du damit umgegangen?

Hochschwangere in meiner direkten Nähe machten mir Angst, frischgeborene Babys konnte ich nicht sehen und die Meldung über schwere Geburten (obwohl am Ende alles gut ging) trafen mich jedes Mal mitten ins Herz. Erst schrieb ich alles nieder, dann besprach ich es mit meinen Mädels aus dem Kurs. Diese Strategie funktionierte gut für mich. Ich stellte mich herausfordernden Situationen, weil ich wusste, dass ich sie schaffen würde. Nur mit Konfrontation würde ich irgendwann wieder positiv nach vorne blicken können.

Ich übte also Alltag, ging wieder arbeiten und unternahm Ausflüge mit meiner Familie. Ich spürte das Leben und ab und zu schlichen sich Glücksgefühle ein. Ich war glücklich, die Zeit mit meinem Sohn gehabt zu haben. Ich durfte ihn kennenlernen, streicheln, küssen, liebhaben. Ich konnte ihn wickeln, ihn füttern und ihm vorsingen. Er war da und diese Zeit konnte mir niemand wegnehmen.

Das Gefühlschaos ging in die nächste Runde. Nach der akuten Phase des Nicht-Begreifen-Wollens habe ich seinen Tod akzeptiert. Nun schwankte ich zwischen den Welten: Ich trauerte der Vergangenheit mit meinem Sohn hinterher und freute mich gleichzeitig auf jeden neuen Tag, den ich weiterhin mit ihm im Herzen erleben durfte. Denn auch ich habe nur ein Leben und diese Not-OP lebend überstanden.

Wie waren die Reaktionen aus deinem Umfeld?

Einst gute Bekannte wechselten die Straßenseite, wenn sie mich sahen. Bloß nicht mit der Frau reden, die ihr Kind beerdigen musste. Doch nicht alle Reaktionen waren derart extrem. Es gab auch einige Freunde und Bekannte, die zugaben, nicht mit unserem Schicksal umgehen zu können. Es blieb somit ruhig, aber ich wusste, woran ich bin. Das war mir immer noch lieber als komplette Stille. Umso mehr half mir das Schreiben. Ich konnte all meine Gedanken rauslassen, die kaum jemand hören wollte.

Je mehr Monate vergingen, desto mehr schwierige Situationen bewältigte ich. Mit jeder einzelnen setzte ich mich auseinander. Ich fand sogar nach und nach den Mut, Menschen, die mir verletzende Sprüche wie „Ihr seid doch noch jung. Bekommt ihr eben noch ein Kind“ oder „Wer weiß, wozu das gut war“ entgegenbrachten, aufzuklären. Anfangs noch unter Tränen, schließlich stellte ich mich jedes Mal meiner eigenen Trauer. Doch irgendwann voller Stolz, denn Dominik war ein toller Junge, der bis zum Ende kämpfte. Er kämpfte, damit ich ihn kennenlernen durfte.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Heute (6 Jahre später) bin ich wieder glücklich. Ich kann mein Leben ohne schlechtes Gewissen genießen. Immer mit Dominik im Herzen. Die Trauer wird nie ganz verschwinden. Besondere Tage wie sein Geburtstag, Todestag oder Weihnachten werden immer wehtun. Aber jedes Jahr ein bisschen weniger.

Was hat dir geholfen, die Trauer zu akzeptieren?

Dominik schenkt mir häufig ein Lächeln – immer, wenn die Sonne scheint. Situationen wie diese haben mir geholfen, meine Trauer zu akzeptieren. Nur weil mein Sohn tot ist, heißt es nicht, dass er aus meinem Leben verschwunden ist. Er hat einfach einen anderen Platz eingenommen. Er ist und bleibt für immer in meinem Herzen und er hat mich gelehrt, was wichtig im Leben ist: Liebe, Familie und Gesundheit. Ich bin sehr dankbar, dass ich seine Mama sein darf.

Was hat dir geholfen, wieder eine Perspektive im Leben zu finden?

Mein Leben hat sich nicht grundlegend verändert, dennoch habe ich mich intensiv mit den Themen Tod, Trauer und Kindsverlust auseinandergesetzt. Ich habe ein Sternenkind-Buch veröffentlicht. Ich erzähle nicht nur meine und Dominiks Geschichte, sondern beschreibe, was ich gefühlt habe – beim Kinderwunsch, der Geburt, den 5 Tagen zwischen Hoffen und Bangen, dem Tod und dem „Leben danach“. Ich möchte Betroffenen Mut machen und ihnen zeigen, dass man wieder positiv in die Zukunft schauen kann, auch wenn einem so etwas Furchtbares passiert ist. Und ich möchte Nicht-Betroffenen zeigen, was sie tun können, um Betroffenen zu helfen. Denn auch sie fühlen sich oft hilflos.

Ich bin außerdem Teil des Sternenbands, dem Erkennungszeichen für Sterneneltern, und engagiere mich im Verein „Unsere Sternenkinder Rhein Main e.V.“. Andere Betroffene in ihrer Trauer zu unterstützen, hilft ungemein.

Hast du einen Rat für jemanden, der gerade eine ähnliche Situation durchlebt?

Mein Rat an jeden Menschen da draußen: Lass die Trauer zu. Als Betroffene aber auch als Nicht-Betroffene. #gemeinsammehrerreichen

Hans-Peter

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Mein Vater ist an einem frühlingshaften Sonntag im März 2012 gestorben. Es war der Tag vor meinem Abitur. Ich war an dem Morgen mit meiner Mutter im Gottesdienst, meine jüngere Schwester ist zuhause geblieben und mein Vater war mit ein paar Freunden hobbymäßig Fußball spielen. Mein Vater war sportlich, Nichtraucher, hat nie getrunken, war gerade mal 52 Jahre alt und hat doch plötzlich beim Fußballspielen einen Herzinfarkt erlitten.

Ein Mitspieler hat ihn noch beatmet bis die Notärztin kam. Über eine Nachbarin, dessen Mann in derselben Mannschaft gespielt hat, hat meine Schwester als Erste von dem Unglück erfahren. Sie ist direkt zum Sportplatz gefahren, wo sie leider gesehen hat, wie mein Vater mit dem Defibrillator behandelt wurde. Nach dem Gottesdienst konnten meine Mutter und ich auch endlich erreicht werden (wer uns angerufen hat, weiß ich nicht mehr) und wir sind sofort zum Unfallort gefahren.

Mein Vater war bereits im Krankenwagen eingeladen und die Notärztin sagte uns zur Beruhigung noch, dass er eine 70 prozentige Überlebenschance hat. Meine Mutter ist mit ins Krankenhaus gefahren, meine Schwester zu einer Freundin und zu mir kam mein damaliger Freund. Es vergingen ein paar Stunden bis eine Nachbarin (nicht die oben erwähnte, sondern eine andere, die zum Glück auch Sozialarbeiterin ist) zu uns herüberkam, um uns mitzuteilen, dass mein Vater im Krankenhaus gestorben ist, dass die Ärzt:innen nichts mehr für ihn tun konnten.

Meine Mutter hatte es nicht über sich gebracht, uns angerufen und daher die Nachbarin informiert. Diese hat uns daraufhin auch ins Krankenhaus gefahren, wo bereits meine Mutter, gute Freunde meiner Eltern und der Krankenhausseelsorger auf uns gewartet haben. Nach einem Gespräch mit dem Pfarrer durften wir nochmal zu meinem Vater. Eine Krankenpflegerin hat mich und meinen damaligen Freund zu der Leiche begleitet. Ich weiß noch, dass ich die Krankenpflegerin ganz entsetzt gefragt habe, ob sie es nicht schrecklich findet, in ihrem Beruf so viele Familiendramen und Tode mitzubekommen. Sie musste damals auch fast weinen.

Das Gesicht meines Vaters war bereits leicht aufgedunsen und etwas gelblich, aber ansonsten war es nicht so schlimm ihn tot zu sehen. Ein paar Tage später im Beerdigungsinstitut wollte ich ihn aber nicht mehr sehen, da ich Angst hatte, dass er bereits zu entstellt war.

Was hat euch an diesen schweren Tagen geholfen?

Der restliche Tag nach dem Tod meines Vaters war total verrückt. Obwohl es das schlimmste Erlebnis in meinem Leben war, war der Tag nach seinem Tod auf komische Weise auch schön: Auf einmal saßen alle Nachbar:innen bei uns im Esszimmer, die es sonst nie schaffen sich alle gemeinsam zu treffen, haben Kerzen für uns angezündet und für uns Essen gemacht.

Tagelang standen plötzlich Suppentöpfe und Süßigkeiten vor der Tür. Eine Nachbarin hat mich zu meiner besten Freundin ein paar Straßen weiter gebracht, damit ich ihr auch die schrecklichen Neuigkeiten überbringen konnte. Später am Tag musste ich meinen Schuldirektor anrufen, um ihm vom Todesfall zu berichten und um ihm zu sagen, dass ich vermutlich das Abitur nicht mitschreiben kann. Er kannte meinen Vater auch persönlich und war daher sehr betroffen.

Glücklicherweise hat er mit geraten, dass Abitur regulär mitzuschreiben, auch wenn es hart werden könnte. Er meinte, dass ich jetzt noch unter Schock stehe und daher das Abitur vermutlich besser verkraften würde als in ein paar Wochen, wenn ich alles realisiert habe. Damit hatte er zum Glück Recht – ich habe mein Abitur in völliger Trance geschrieben, aber es wurde trotzdem ziemlich gut und ich war froh, alle vier Prüfungen vor der Bestattung fertig zu haben.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Genau in der Woche zwischen Papas Tod und seiner Bestattung habe ich meine Abiturprüfungen geschrieben. Als ich Montagmorgen zur ersten Prüfung kam, haben mich der stellvertretende Direktor und meine Deutschlehrerin vor allen Leuten umarmt. Als ich auf Toilette war, hat dieselbe Lehrerin meiner Klasse gesagt, dass mein Vater am Tag davor gestorben ist. Da aber bereits Redeverbot war, als ich wieder hereinkam, konnte ich nur sehen, wie mich alle angeschaut haben.

Meinen Freundinnen aus den anderen Klassen hatte ich noch nichts gesagt, da ich nicht wollte, dass sie ebenfalls beim Abitur abgelenkt sind. Eine Lehrerin hatte uns zur Motivation während der Klausur Schokolade auf den Tisch gelegt. Ich habe als Einzige ein Stück mehr bekommen. Generell waren es oft kleine Dinge oder Gesten, an denen ich gemerkt habe, dass die Menschen an einen denken und mittrauern.

Nach den Prüfungen hat mich mein damaliger Freund (er war auf der Nachbarschule) abgeholt. Wir kamen an vielen feiernden Abiturient:innen vorbei, die er aus Solidarität mit mir aber auch hat links liegen lassen. Uns war einfach nicht zum Feiern zu Mute. In derselben Woche kam mein Onkel aus Stuttgart angereist und hat eine Woche lang für uns gekocht und die Beerdigung mit meiner Mutter, seiner Schwester, geplant. Der Vater meines Vaters hat außerdem den Sarg und die Blumen mitausgesucht. Für ihn war der Tod meines Vaters mit am schlimmsten. Er sagte immerzu: „Es hätte doch mich treffen sollen“.

Hast du dich an der Organisation der Bestattung beteiligt?

Nach meinen Prüfungen habe ich nachmittags mit meiner Mutter die Trauerkarten frankiert und mit Adressen beschriftet. Sie hatte einen sehr schönen Text geschrieben und die ganze Karte mit dem Beerdigungsinstitut entworfen. Da mein Vater Albert Schweitzer mochte, stand auf der Karte: „Das einzig wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen“. Generell waren wir alle sehr froh über das Beerdigungsinstitut. Es hat bei der kompletten Organisation geholfen, die Beerdigung koordiniert, das Kondolenzbuch besorgt, Fotos von meinem Vater gesammelt und ihn sehr schön aufgebahrt, sodass auch noch Freund:innen ihn sehen konnten.

Das Beerdigungsinstitut hat mir und meiner Schwester ein kleines Holzherz geschenkt, das mich immer an Papas Sarg erinnert. Meine Mutter hatte einen sehr schnittigen Holzsarg gewählt, um seiner Sportliebe zu gedenken. Zur Vorbereitung der Beerdigung haben meine Schwester und ich uns öfter mit unserer Pfarrerin getroffen. Wir durften die Lieder wählen und ein Gedicht, das wir bei der Beerdigung gemeinsam vorgetragen haben. Einige Monate später, als die Erde über dem Sarg genug abgesackt war und der Grabstein gesetzt werden konnte, durften wir auch diesen mitgestalten. Meine Mutter und Schwester haben ihn mit dem Steinmetz behauen und ich habe die Schrift ausgewählt.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Mein Vater wurde in der katholischen Kirche bei uns in der Straße von einer evangelischen Pfarrerin beerdigt. Es war uns wichtig, dass er auf dem kleinen Friedhof mit Bergblick bei uns um die Ecke liegen kann. Sein Grab hat meine Mutter so gewählt, dass man genau auf das Kirchenportal schauen kann.

Zur Beerdigung kamen sehr viele Menschen, da mein Vater erstens noch jung war und zweitens beim Radio gearbeitet hat, wodurch er viele Menschen kannte. Sogar der Oberbürgermeister hat einen Blumenkranz geschickt. Wir saßen als Familie in der ersten Reihe, sodass ich erst nach der Trauerfeier gesehen habe, dass vor dem Kirchenportal auf dem Friedhof noch viel mehr Menschen standen.

Ein Kollege meines Vaters hat eine sehr schöne Rede über meinen Vater gehalten. Ich habe für mein Leben aber daraus mitgenommen, dass man Menschen viel häufiger schöne Dinge sagen sollte während sie leben und nicht erst wenn sie tot sind. Meine Patentante hat mir fast während des gesamten Gottesdiensts ihre warme Hand zwischen meine Schulterblätter gelegt, was sehr beruhigend war.

Das Kondolieren vor dem Grab hat über eine Stunde gedauert. Es war schön, dass so viele Leute da waren, aber ich weiß nicht mehr, was sie uns alle gesagt haben. Da ich nicht ganz in schwarz kommen wollte, hatte ich einen roten Samtmantel an, den mir mein Vater in Frankreich in einem Secondhand-Laden gekauft hatte. In der Zeit danach hatte ich auch oft die alte Lederjacke von ihm an, um ihn bei mir zu haben.

Wie ging es nach der Bestattung weiter?

Nach der Beerdigung sind wir in einer kleineren Runde essen gegangen. Die Tage davor hatte ich mit meiner Mutter die Location und das Essen ausgesucht. Eine meiner Freudinnen hat mir eine Kette aus Gänseblümchen von der Wiese vor dem Lokal gebastelt, die ich noch lange in meinem Zimmer hängen hatte. Bei vielen Verwandten und Freunden habe ich mich einfach gefreut sie mal wieder zu sehen, auch wenn der Anlass dafür denkbar schlecht war.

Bei der Beerdigungsfeier (Leichenschmaus klingt immer so makaber) hat meine Mutter die Eltern meines damaligen Freundes kennengelernt. Zwischen meiner und seiner Mutter ist durch Gespräche über Trauer, Tod und Glaube sehr rasch eine sehr intensive Freundschaft geworden, die bis heute anhält. Etwas kitschige Sätze wie „Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere“ können also wirklich wahr werden. Generell glaube ich, dass man sich nach so einem Schicksalsschlag darauf einstellen muss, dass vorhandene Freund:innen nicht mit der Situation umgehen können, aber dadurch plötzlich ganz andere Menschen und Dinge ins Leben treten, die es sehr bereichern können.

Ich erinnere mich insgesamt sehr positiv an die Beerdigung und gehe auch immer noch gerne zu Papas Grab (in dem mittlerweile auch sein Vater liegt), auch wenn ich von einigen Trauernden weiß, dass diese Rituale für sie keineswegs hilfreich sind.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Die Zeit nach dem Tod meines Vaters war sehr seltsam für mich. Sein Tod ist quasi mit dem Ende meiner Schulzeit zusammengefallen. Die Frage „und was machst du nach dem Abitur?“ hat natürlich auch vor mir keinen Halt gemacht. Vor Papas Tod hatte ich den Plan direkt studieren zu gehen, habe mich dann aber entschieden noch ein Jahr bei meiner Mutter und meiner Schwester zu bleiben. Ich habe viel Zeit damit verbracht, noch spontan einen FSJ-Platz (freiwilliges soziales Jahr) zu bekommen.

Direkt nach dem Abitur (Ende März) habe ich bis zum Sommer ansonsten alles so gemacht, wie es bereits geplant war: Zu Freunden nach Frankreich fahren, mit Freunden in den Urlaub fahren, das Zeltlager leiten, den Abiball hinter mich bringen. Bei all den Aktivitäten habe ich gemerkt, dass es vielen Leuten schwergefallen ist, mich auf Papas Tod anzusprechen. Ich selbst wollte auch nicht immer damit anfangen, um den Leuten die gute Laune nicht zu verderben. Ich habe von vielen gehört, dass „sie mich mal ablenken wollen“. Aber das funktioniert nicht.

Natürlich gab es auch lustige Tage für mich und ich habe noch andere Dinge außer trauern getan, aber ich habe trotzdem pausenlos an meinen Vater gedacht. Mir wäre es lieber gewesen, wenn mich Leute zu schönen Aktivitäten mitgenommen hätten und mich trotzdem auf Papas Tod angesprochen hätten. Das Sprechen darüber hätte manche Momente für mich eher leichter gemacht, als das Schweigen auszuhalten. Auch Sätze wie „du kannst dich jederzeit melden, ich bin immer da für dich“ sind nett gemeint, haben mir aber nicht sehr geholfen. Wenn es einem so grundlegend schlecht geht, wie nach einem Tod muss man schon sehr kommunikativ bewandert sein, um so gezielt Bedürfnisse an andere richten zu können. Mit 17 Jahren konnte ich das auf jeden Fall nicht und ich denke, dass es einem auch in höherem Alter in solchen Situationen schwerfällt, sich so bewusst an andere zu wenden.

Oft ist es ja auch mehr eine Traurigkeit, die über allem schwebt, als eine konkrete Sache, mit der man sich an jemanden wenden kann. Mir hat es immer mehr geholfen, wenn Menschen von sich aus auf mich zugekommen sind und einfach mitangepackt haben oder mich zum Reden aufgefordert haben. Ich fand es z.B. auch hilfreich von anderen Menschen zu hören, dass sie ebenfalls jung einen Elternteil verloren haben. Sie kamen mir auf einmal viel menschlicher vor und waren keine unnahbaren Erwachsenen mehr, sondern irgendwie Gleichgesinnte. Außerdem habe ich gesehen, dass sie trotzdem ein schönes Leben hatten und sie die frühe Erfahrung des Todes stark und lebensnah gemacht hatte.

Wie ist deine Familie mit der Trauer umgegangen?

Meine Schwester fand es gar nicht hilfreich, solche Geschichten zu hören, da sie oft das Gefühl hatte, dass dann nicht auf das eigene Schicksal eingegangen wird.

Generell sind alle in unserer Familie anders mit Papas Tod umgegangen und haben anders getrauert. Ich denke, es gibt daher kein allgemeingültiges Rezept, wie man so einen Schmerz verarbeitet und auch für Umstehende gibt es keine Anleitung, was man am besten zu Trauernden sagt. Was sich aber, glaube ich, die Allermeisten nach einem Verlust wünschen, ist darauf angesprochen zu werden und ernstgenommen zu werden, dass es auch Jahre später noch weh tun kann.

Gab es etwas, was dir in dieser schweren Zeit geholfen hat?

Nach der Bestattung war ich einige Male bei der Trauerbegleiterin des Beerdigungsinstituts, die mir etwas sehr Schönes gesagt hat: Sie meinte, dass ich mir Trauer wie eine innere Verletzung vorstellen soll. Da diese Verletzung nicht so sichtbar ist, wie ein gebrochener Fuß in einem Gips, ist es schwerer für andere sie zu sehen. Sie ist aber trotzdem da und man muss diese Verletzung gesund pflegen, genauso wie man es mit einem gebrochenen Fuß tun würde. Tatsächlich habe ich durch Papas Tod gemerkt, dass sich eine seelische Verletzung wie ein körperlicher Schmerz anfühlen kann. Besonders in den ersten Tagen hatte ich ein starkes Ziehen am Herz.

Mit die heilsamste Erfahrung in dieser Zeit war mein Freiwilligendienst, den ich schließlich in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke absolviert habe. Das Motto „Lebe den Tag“ wurde dort sehr stark gelebt, da es darum ging, den älteren Menschen in jedem Moment eine Freude zu bereiten, da sie es im Moment danach vielleicht schon wieder vergessen haben. Der Tod war hier auf einmal auch neben dem Leben möglich. Alle haben in dem Wissen gelebt, dass bald einer der Bewohner:innen sterben kann, aber das hat die Freude über jeden Tag nicht geschmälert.

Mir hat es sehr gutgetan, zu wissen, dass man über den Tod sprechen kann und den Tod erleben kann, ohne sein Leben aufzugeben. Nach Papas Tod hatte ich viele existentielle Fragen von „Wozu lebt man überhaupt“ bis „Was ist meine eigene Bestimmung auf dieser Welt“, die erst durch meinen Freiwilligendienst weniger wurden.

Der einzige andere Ort, an dem der Tod völlig selbstverständlich genannt wird, ist für mich die Kirche. Nach Papas Tod bin ich öfter mit meiner Mutter zu Gottesdiensten gegangen und auch während meines Studiums habe ich versucht, regelmäßig zu Taizé-Gebeten o.ä. zu gehen. Ich bin froh, dass Papas Tod auch bei uns in der Familie kein Tabuthema war, sondern meine Mutter uns oft gefragt hat, wie es uns geht. Ich konnte darauf zwar nicht immer sinnvoll antworten, aber so wusste ich doch, dass ich jederzeit zu ihr kommen konnte und sie Papa nicht vergessen möchte.

Gab es bestimmte Zeiten, die besonders schwer für dich waren?

Viele Menschen sagen, dass nach einem Trauerfall bestimmte Tage wie Weihnachten oder Ostern am schlimmsten sind. Bei mir war dieser Tag der Abiball. Von allen anderen Abiturient:innen waren beide Eltern da, selbst die Geschiedenen saßen geeint an einem Tisch. Nur bei mir wurde der Vater durch den Onkel ersetzt. Soweit ich mich erinnere war dieser Tag der einzige an dem ich mich in der Öffentlichkeit nicht zusammenreißen konnte und ich auf dem Weg zur Toilette anfing zu weinen. Die Eltern von zwei Freundinnen haben mich getroffen und dann erstmal ziemlich lange getröstet.

Generell habe ich selten vor Anderen geweint, aber fast jeden Abend zu Hause im Bett oder bei meinem damaligen Freund. Wenn ich aber irgendwie in die Situation kam, nochmal Papas Tod zu schildern hat sich meine Stimme immer ganz komisch verändert und ich wurde total nervös und habe gezittert.

Komischerweise bin ich ein Jahr nach Papas Tod nochmal in ein viel größeres Loch gefallen als direkt danach. Direkt nach seinem Tod stand noch so viel an, dass mich aufgefangen hat. In der Zeit zwischen meinem Freiwilligendienst und dem Studium war hingegen wenig geplant und mir ist auf einmal schwer gefallen mich zu motivieren. Ich habe zwei Reisen abgesagt, da ich mich völlig energielos gefühlt habe. Mein einziger Lichtblick war der baldige Beginn des Studiums. Bis dahin habe ich die Trauer als sehr wellenförmig wahrgenommen. Manchmal war sie stark und betäubend und manchmal kam mir alles weit weg vor und als wäre all das gar nicht meine Lebensgeschichte.

Rückschläge kamen vor allem, wenn andere unschöne Ereignisse in meinem Leben passiert sind (z.B. Trennung, Unsicherheiten im Studium etc.). Als ich anderthalb Jahre nach Papas Tod für mein Studium in eine andere Stadt gezogen bin, hatte ich einerseits das Bedürfnis „ganz neu zu beginnen“ und gleichzeitig war es mir sehr wichtig neuen Bekanntschaften schnell zu erzählen, dass ich meinen Vater verloren hatte. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Teil meines Lebens so stark zu meiner Identität geworden war, dass mich niemand, ohne von Papas Tod zu wissen, wirklich kennen konnte.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Für mich gibt es eine Zeit vor und eine Zeit nach Papas Tod. Sein Tod ist in unserer Familie eine Art Zeitrechnung geworden, wenn wir über vergangene Ereignisse sprechen. In der Zeit vor Papas Tod waren wir eine ganz normale Familie. In der Zeit danach mussten wir uns mit Dingen wie Halbwaisenrente und Erbschaft beschäftigen und meine Mutter war auf einmal alleinerziehend.

Nach Papas Tod sind gewohnte Traditionen an Weihnachten anders geworden und meine Schwester wurde magersüchtig. Sein Tod hat uns als Frauen-Gespann getrennt und neu zusammengebracht und uns alle stärker und erschöpfter gleichzeitig werden lassen. Papas Tod ist mittlerweile fast neun Jahre her und er kommt immer noch fast jeden Tag in irgendeinem Gedanken von mir vor. Wenn ich zuhause bei meiner Mutter in meinem Elternhaus bin, kommen die Erinnerungen noch stärker zurück.

Welchen Einfluss hat dein Vater und sein Tod auf dein heutiges Leben?

Wir haben nach Papas Tod sehr schnell seine Kleidung verschenkt und auch seine anderen Sachen verräumt oder aussortiert. Wenn ich heute im Keller bin, finde ich trotzdem immer wieder Dinge von ihm, die mich an verschiedene Erlebnisse mit ihm erinnern. Ich war immer sehr gerne mit meinem Vater an der frischen Luft und muss besonders bei Reisen an Urlaube und Ausflüge mit ihm denken. Ich habe ihn also quasi immer im Gepäck, egal wo ich bin.

Ich merke, dass ich mich bis heute in bestimmten Situationen frage, was mein Vater dazu gesagt hätte, ob er sich mit meinem heutigen Freund verstehen würde und ob er stolz wäre, wo ich heute stehe. Ich war immer eher ein Papa-Kind und bin froh, dass ich mich mit ihm immer sehr gut verstanden habe und nach seinem Tod keine ungeklärten Konflikte allein mit mir ausmachen musste. Ich versuche, besonders durch Gespräche mit meiner Mutter und meiner Schwester, mir Situationen und Charakterzüge von ihm lebendig zu halten. Da er Radiojournalist war, haben wir den großen Vorteil, neben Fotos auch Tonaufnahmen als Erinnerung zu haben.

Papas Tod hat mir geholfen viele andere Situationen zu relativieren. Ich war zum Bespiel nur sehr selten vor Prüfungen aufgeregt, da ich mir immer gesagt habe, dass es „nur“ Prüfungen sind und viel schlimmere Dinge im Leben passieren können. Eine zeitlang fand ich es schrecklich, wenn Notarztwagen an mir vorbeigefahren sind, aber das ging mit der Zeit weg. Sätze wie „die Zeit heilt alle Wunden“ würde ich hingegen nicht per se unterschreiben. Mit der Zeit verliert sich zwar der Schmerz, die Erinnerung verblasst, aber der Tod der geliebten Person ist plötzlich Teil der Lebensgeschichte. Gleichzeitig glaube ich, dass dieses Annehmen nur passiert, wenn man sich aktiv mit dem Verlust auseinandersetzt. Sich nur in seiner Trauer gehen lassen und darauf zu warten, dass es die Zeit schon richten wird, kann später zu ganz schönen Rückschlägen führen.

Was hat dir am meisten geholfen?

Mir hat es geholfen, mehrmals zu der Trauerbegleiterin des Beerdigungsinstituts zu gehen. Auch die Kirche, meine Familie und mein Freiwilligendienst haben zu einer Verarbeitung des Schmerzes beigetragen. Mir tat es außerdem sehr gut in die Natur und in die Berge zu gehen. Sonnenaufgänge und beeindruckende Aussichten, haben mir gezeigt, dass die Welt trotz allem Schmerz immer noch voller Schönheit ist.

Rita

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Meine Mutter ist an unheilbarem Krebs verstorben. Es war am 04.09.2009, ein Freitag. Meine Mutter war schon länger bettlägerig und mein Vater hat meine Schwester (damals 18) und mich (damals 17) im Januar 2009 darauf eingestellt, dass unsere Mutter das Jahr wahrscheinlich nicht überleben wird. Mein Bruder war zu jung um das sofort zu erfahren (haben wir zumindest gedacht).

Da es also absehbar war, dass meine Mutter dem Tod entgegen geht und von Tag zu Tag schwächer wurde, haben wir versucht, alle Wünsche zu erfüllen, die sie noch hatte. Zum Glück ist mein Vater beruflich gut aufgestellt und konnte so als Privatpatient vieles möglich machen. Der Größte Wunsch meiner Mutter war es, zu Hause zu versterben. Also wurde unser Wohnzimmer im Jahr 2009 schnell zu einem Krankenzimmer. Ein entsprechendes Bett und sämtliche Geräte und Arzneien waren ab sofort Teil der Einrichtung.

Wir und meine Tanten und Onkel, Omas und Opas haben uns ab Juni mit Nachtwache abgewechselt. Schule und der Sport (Fussball) hat mir sehr geholfen, mich abzulenken.

Freitags morgens kam dann mein Vater ins Zimmer, weckte mich und sagte, dass Mama es geschafft hat. Am Ende war es mehr eine Erlösung, sowohl für sie als auch für die gesamte Familie. Da der Zeitpunkt abzusehen war, kam es nicht ganz überraschend. Trotzdem nimmt es einen sehr mit wenn es dann soweit ist. Ein bisschen Hoffnung bleibt ja doch bis zum Schluss.

Wie hast du auf den Tod reagiert?

Ich war wie gelähmt. Hätte ich mir vorher nie ausmalen können eine Leiche zu berühren, war nun ich derjenige, der meine Mutter nicht gehen lassen wollte. Alle Verwandten und engen Freunde kamen vorbei. Ein guter Freund der Familie hatte zu dem Zeitpunkt ein Bestattungsinstitut und kam im Laufe des Tages vorbei.

Bestimmte Gedanken oder Gefühle kann ich gar nicht beschreiben. Ich weiß aber noch, dass ich an dem Tag abends ein Saisonspiel hatte und auch tatsächlich hingegangen bin, um mich abzulenken. Letztlich war es dennoch nicht ich, der auf dem Platz stand, sondern nur meine Hülle. Abends saßen wir mit der ganzen Familie zusammen und haben zusammen geweint, uns erinnert und getrauert. Am Tag des Todes hatte meine Tante Nachtwache. Im Nachhinein bin ich froh, dass es sie war und nicht ich.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Meine Mutter wurde genau eine Woche später beerdigt. Das kuriose ist, dass sie ihre Beerdigung selbst geplant hat. Sie wollte verbrannt werden und jeder der wollte konnte zur Beerdigung kommen. Es waren mehr als 200 Leute da. Aber ich hab nur ein Menschenmeer gesehen und war total in mich gekehrt. Ich wollte mit keinem Reden, sondern nur für mich, meine Geschwister und meinen Vater da sein.

Da ein Bekannter das Bestattungsinstitut leitete, hat er alle Aufgaben diesbezüglich übernommen. Den Rest hat mein Vater erledigt, mit unserer Unterstützung. Was mir besonders in Erinnerung blieb ist, dass meine Mutter sich 2 Lieder ausgesucht hat, die auf der Beerdigung gespielt werden sollten. Und diese Lieder liefen auch. Wenn ich die jetzt hier und da nochmal anhöre kommt einiges hoch und meistens könnte ich wieder anfangen zu weinen…

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung war aus meiner Sicht schön in dem Sinne wie eine Bestattung eben schön sein kann. Es hat mich gefreut, dass so viele Leute erschienen sind um Abschied zu nehmen, dass meine Mutter selbst z.T. die Beerdigung geplant hat und dass es ein schöner, sonniger Tag war.

Die Bestattung an sich hat einen Schlussstrich unter die sehr lange Woche gezogen. Es war ein wichtiger Schritt, definitiv. Meine Schwester saß noch wochenlang mit einem Campingstuhl am Grab (Es ist ein Wiesengrab, also sieht man nur eine Bodenplatte auf einer Wiese).

Nach der Beerdigung kamen die engsten Freunde und die Verwandten mit zu uns. Wir haben das ganze Wochenende meine Mama nochmal „hochleben“ lassen und sind in Erinnerungen versunken.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Trauer als Gefühl kann ich nicht beschreiben. Ich glaube, ich trauere immer noch. Auch anders als meine Geschwister oder mein Vater. Aber viel Zeit zum Trauern blieb uns leider nicht. Mein Vater fand sehr schnell eine neue Frau und diese zog sehr schnell bei uns ein. Viele neue Situationen und Menschen…das war keine leichte Zeit.

In dem Zusammenhang gab es Rückschläge und viele Tränen. Man vergleicht die neue Frau immer mit seiner Mutter oder fragt sich, wie der Vater so schnell eine Neue suchen/finden konnte. Das ganze hat unsere Familie inklusive Verwandten leider in zwei Lager geteilt, so dass nichts mehr wie vorher war. Das war eine sehr traurige Zeit.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Ich würde sagen, Trauer verschwindet nicht. Zumindest nicht, wenn man einen Menschen verliert, der einem so nahe steht wie Mutter oder Vater. Sie begleitet einen ständig. Die Trauer zu akzeptieren ist schwer.

Gab es etwas, was dir Hoffnung gegeben hat?

Nach dem Tod meiner Mutter lernte ich einen brasilianischen Austauschschüler kennen. Er zog zu uns für ein Jahr und ich durfte im Gegenzug ein halbes Jahr nach Brasilien. Das hat mir sehr viel Perspektive gegeben. Ich habe eine neue Sprache gelernt, eine neue Kultur kennengelernt und gesehen, dass viele auf der Welt von Leid und Trauer betroffen sind. Das hat mir Hoffnung und Perspektive gegeben.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Man muss realistisch sein, weiter machen und denken, dass oben jemand sitzt der einen beobachtet. Gerade wenn man vor schweren Entscheidungen im Leben steht in denen man sich vielleicht wünscht, dass die Mutter da ist, um einem zur Seite zu stehen. Aber auch um positive Aspekte zu teilen.

Außerdem würde ich jemanden in so einer Situation raten, sich nicht zu verschließen und wenn man nicht in der Familie reden kann oder will, dann mit Freunden oder mit einem Therapeuten. Eine Therapie zu machen ist keine Schande, das musste ich mir anfangs eingestehen. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Stimmt zwar nicht ganz, aber mir hat es sehr geholfen.

Norbert & Birgitta

Storytelling Grandparents

Wie war der Tag, als du von dem Tod deiner Mutter erfahren hast?

Ich bin gegen 8:00 Uhr aufgewacht und wunderte mich, dass ich diese Nacht durchgeschlafen habe und keinen Anruf aus dem Krankenhaus bekommen habe. Nachdem ich dann aber mehrere verpasste Anrufe der Intensivstation der Uniklinik sah, auf welcher meine Mutter nach einem Frontal-Zusammenstoß auf der Landstraße behandelt wurde, öffnete ich WhatsApp und las eine Nachricht meines Bruders: „Ruf mal bitte zurück“. Als ich sofort zurückrief sagte er mir, dass er auf dem Weg ins Krankenhaus ist, in welchem mein Vater zu dieser Zeit wegen einer chronischen Darmerkrankung behandelt wurde.

„Mama hat es nicht geschafft“.
„Ok. Dann komme ich jetzt“

Dann bin ich aufgestanden, in das Zimmer meines Mitbewohners gegangen, habe mich auf sein Bett gesetzt und nüchtern den Satz meines Bruders wiederholt. „Mama hat es nicht geschafft“. Anschließend sind wir ins Krankenhaus zu meinem Vater gefahren. Meinem Bruder und mir war klar, dass wir diejenigen sind, die ihm beibringen müssen, dass die Frau, mit dem er seit 31 Jahren verheiratet ist, bei einem Autounfall verstorben ist. Ich „musste“ einfach funktionieren.

Wie hat dein Körper auf den Tod deiner Mutter reagiert?

Mit einiger Zeit Abstand kann ich reflektierend sagen, dass ich mich mit der oben beschriebenen Nachricht meines Bruders in eine Art „Tunnel“ begeben habe. Ab diesem Zeitpunkt habe ich einfach funktioniert. Ein ständiger Sprung zwischen Rationalität und Emotionalität. Ich bin ganz froh, wie meine Psyche reagiert hat. Ich denke, dass die Nachricht des Todes der eigenen Mutter eine Art „Notfallprogramm“ im Kopf gestartet hat.

Es ist jetzt fast genau zwei Jahre her. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass meine Psyche ganz bewusst manche Dinge gefiltert hat und erst garnicht im Langzeitgedächtnis hat ankommen lassen. Es gibt Erinnerungen die ich noch klar vor mir habe, ohne dabei so richtig viel zu fühlen. So kann ich mich zum Beispiel gut daran erinnern, dass ich meinem Vater unter Tränen gesagt habe „Die Mama ist tot.“ Mir kommen bei dem Satz ab und zu auch immer noch ein wenig die Tränen. Aber ich kann heute nicht mehr ansatzweise nachfühlen wie es sich damals angefühlt hat.

Um dieses clevere Verhalten meiner Psyche bin ich auch ganz froh irgendwie. Auf der anderen Seite: Mein erstes richtiges Fallenlassen/zur Ruhe kommen/der Trauer Raum geben, fand am Abend des Todestages statt. Ich bin in meinem Heimatort zu Fuß von meinem Elternhaus zum Haus meiner besten Freundin gegangen. Der Weg dorthin war für mich die erste Zeit alleine an diesem Tag und die Möglichkeit das Geschehene zu realisieren. Ich habe geklingelt – Sie hat geöffnet – Der Moment des Umarmens und des Weinens ist mir auch nach zwei Jahren sehr präsent. Ich hab das Gefühl des „Fallenlassens“ regelrecht gespürt und kann diesen Moment immer noch gut nachfühlen.

Wie war der Tag, als du von dem Tod deines Vaters erfahren hast?

Nach dem Tod meiner Mutter hat mein Vater schlichtweg aufgegeben. Wenn der Mensch stirbt, der dich jahrelang mit einem unbändigen Optimismus durch einen schweren Krankheitsverlauf mit vielen Krankenhausaufenthalten zieht, kann ich es gut nachvollziehen, dass der letzte vorhandene Wille zum Durchhalten erlischt.

So hat sich etwa eine Woche nach dem Tod meiner Mutter der Gesundheitszustand meines Vaters deutlich verschlechtert. Schlechte Lungenwerte – Verlegung auf die Intensivstation – Intubation – Fieber – Multiples Organversagen – Tod.

Mein Bruder, mein Cousin, mein Mitbewohner und zwei Freunde waren zu dem Zeitpunkt bei mir in der Wohnung. Um 22.15 hatten wir Kontakt mit der besten Freundin meines Vaters, die im Krankenhaus einige Stunden vor dem Tod entschieden hat, dass sie „dabei“ sein möchte und uns Bescheid gibt, wenn es soweit ist. Wir saßen dann alle gemeinsam im Wohnzimmer und haben im Endeffekt darauf “gewartet“. Um 22.15 schrieben wir kurz mit Christina, der besten Freundin meines Vaters:

22:15 „wie läuft es?“
22:22 „ALARM“

Anschließend rief sie uns an. Mein Bruder und ich saßen in meinem Schlafzimmer auf dem Bett und haben dieses Telefonat geführt. Was soll man sagen? Doofe Situation. Mein erster Gedanke war: „Papa hat es endlich geschafft und ist jetzt wieder bei Mama, doof für uns… Gut für die zwei 💛“

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Der Tod war eine Mischung aus zwei Sachen: Erstens Funktionieren. Die Beerdigung organisieren, Bürokratische Dinge regeln, Todesmitteilungen überbringen, Dinge für meinen Vater regeln. Zweitens mit den eigenen Emotionen balancieren. Trauern, mit Freunden und Familie sprechen, eine Perspektive und Fahrtrichtung für die nächsten Wochen, Monate und Jahre finden.

Wir haben die ganzen Dinge gemeinsam mit Freunden und Familie organisiert. Die zahlreichen Hilfsangebote von Freunden, Kollegen und Bekannten ist mir besonders in Erinnerung geblieben.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung meiner Mutter war ein kalter, verschneiter Wintertag. Die Trauerhalle war brechend voll. Der Gospelchor meiner Mutter hat gesungen. Die Bestattung war ein wichtiger Schritt für das „Loslassen“. Als besonders wertvoll habe ich folgendes Bild im Kopf: Wir standen nach dem Trauermarsch an dem Urnengrab meiner Mutter. Ich blickte den Friedhofsweg entlang und wunderte mich über die große Anzahl von Trauergästen…Die Schlange hörte nicht auf. Das war schon ein ziemlich rührender Moment „Guck mal Mama, wer alles gekommen ist um dir Lebewohl zu sagen“ … Das war irgendwie ein trostspendender Gedanke.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Das erste Trauerjahr war das Schwerste. Alle ersten Male waren besonders komisch. Nicht nur die offensichtlichen Dinge wie Geburtstage oder Weihnachten, sondern auch das erste mal geblitzt werden, das erste Konzert, das erste selbst gespielte Konzert, der erste Urlaub, der erste Kater, das erste mal Kräuterquark machen, das erste mal PUR im Auto hören…die Liste ist unendlich lang.

Trauer ist ein langer, langer Prozess. Diesen Prozess stelle ich mir wie folgt vor: Es gibt einen riesigen Topf, in dem unzählige Gedanken, Ideen, Sichtweisen, Fragen, Gefühle, usw. zu finden sind. Ich glaube diese müssen ALLE einmal gedacht, gefragt, gefühlt, gesehen werden, um irgendwann sagen zu können: „Ich habe den Tod meiner Eltern verarbeitet“.

Ich habe recht zügig gemerkt, dass dieser Trauerprozess in einer Wellenbewegung stattfindet. Die Frequenz und die Amplitude verändert sich durch „Trigger“. Wann diese kommen ist für mich leider nicht vorhersehbar. So bleibt der Trauerprozess aber auch spannend! 😉 Ich war auch immer neugierig, wie es mir in 3 Tagen, 3 Wochen, 3 Monaten oder in 3 Jahren geht. Diese „Neugier“ hat mir geholfen, den Kollegen „Trauer“ als neuen Teil von mir zu akzeptieren und einen Umgang mit ihm zu finden.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Der Tod meiner Eltern gehört jetzt so fest zu mir wie meine zwei Ohren und meine Nase. Ich kann an der Situation NICHTS ändern. Ich kann einen Umgang damit lernen und das Beste draus machen. So ist das Leben eben 🙂

Hast du Ratschläge für andere Trauernde?

Höre auf dein Inneres und NIMM DIR ZEIT. Finde Dinge, die dir in deiner Traurigkeit helfen. Wenn es dir zum Beispiel hilft, Joggen zu gehen, Gitarre zu spielen oder mit Freunden zu sprechen… perfekt! Merk dir das und packe die Dinge in deine Werkzeugkiste. Wenn du das nächste Mal ein „Down“ hast, schaue in die Werkzeugkiste und probiere diese Dinge aus.

Klar, manchmal hatte ich Phasen, in denen die ganze Werkzeugkiste nicht geholfen hat. Das ist deprimierend, kommt aber vor. Dann blieben mir zumindest die Durchhalteparolen übrig, wie zum Beispiel: „Es wird auch wieder bessere Tage geben“. Ich denke JEDEN TAG an meine Eltern. Manchmal mit einem weinenden, manchmal mit einem lachendem Auge. Manchmal auch beides.

Akzeptiere den Tod als Teil deiner Geschichte und finde einen Umgang damit. Mir hilft es auch manchmal in den Himmel zu gucken und mir vorzustellen, dass die zwei auf ihrer schön aufgeräumten Wolke Nr. 14 sitzen und auf mich hinunterblicken. Dann rede ich auch manchmal mit der Wolke, zu welcher ich da gerade hinaufblicke. Ich weiß auch, dass da keine Antwort zurück kommt. Es hilft aber trotzdem irgendwie. Und wenn das hilft, perfekt! Ab in die Werkzeugkiste damit 🙂

Lio

Storytelling Child

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Es war der 16.09.2020 – ich wachte auf als der Wecker klingelte um meinen Großen für die Schule zu wecken. Am Handy eine neue Nachricht von meiner Mama, ihr Papa ist soeben verstorben. Mein Opa ist friedlich eingeschlafen.

Wir haben uns schon alle von ihm verabschiedet und doch war es hart. Ich stand auf, führte Telefonate, kümmerte mich um Babysitter, verabschiedete den Großen. Kurze Zeit später stand meine Tochter auf, ich sagte noch zu ihr, dass ich nun meinen Kaffee austrinke und dann wecken wir Lio bevor ich sie für den Kindergarten fertig machen würde.

Es war 7.17 Uhr, ich möchte ihn wecken – er bewegte sich nicht. Ich nahm in hoch und rannte ins Wohnzimmer zum Handy und setzte den Notruf ab, unter Anleitung und vor den Augen meiner 4-jährigen Tochter begann ich mit der Reanimation. Kurze Zeit später kamen die Sanitäter und der Notarzt, ich bin mit meiner Tochter aus der Wohnung gestürmt um sie zu den Vermietern hoch zu bringen. Als ich wieder runter in die Wohnung kam, schüttelten die Helfer schon den Kopf: Es war zu spät.

Was ist unmittelbar nach seinem Tod passiert?

Ich weiß noch, dass ich telefoniert habe, mit meiner Mama und meinem Mann… Ich habe organisiert wer meinen Großen von der Schule und meinen Mann von der Arbeit holt. Irgendwann war der ganze Hof voll, alle unsere Freunde und Familie waren da. Es kam das Kriseninterventionsteam, die Polizei und die Kripo… Man kommt sich vor wie ein Verbrecher, darf seine Wohnung nicht mehr betreten. Aber es gibt halt leider auch Menschen die ihren Kindern böses tun, im Nachhinein versteht man wieso so gehandelt wird.

Gab es zuvor Anzeichen für seinen Tod?

Lio war in der Nacht zuvor kränklich, nichts was wir nicht schon gekannt hätten, er hatte von Anfang an mit Bronchitis zu kämpfen. Und doch hätte ich nie gedacht, dass er uns genommen wird.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Die erste Zeit erlebt man wie in Watte gehüllt. Man versteht die Welt nicht mehr und auch heute ist es immer noch unverständlich.

Was hat euch in dieser schweren Zeit geholfen?

Unsere Familie und Freunde waren uns in dieser Zeit die größte Stütze. Lio’s Pateneltern kümmerten sich um alles was mit der Bestattung zu tun hatte. Sie suchten seinen Sarg aus und nahmen uns einfach alles ab so gut es ging.

Wir sind so dankbar um unser soziales Netzwerk. Ich kann nur an jeden appellieren: Wenn so etwas Unglaubliches in eurer Familie oder in eurem Freundeskreis passiert, seid einfach nur da. Lasst die Eltern nicht allein!

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Es war ein sonniger Tag im September. Nur die wichtigsten Menschen ließen wir teilnehmen. Die Sängerin spielte so wunderschön für unseren Sonnenschein, wir ließen Lio Luftballons in den Himmel steigen an denen Schnuller hingen – wir wissen ja nicht ob er dort oben jemanden hat der ihm immer stundenlang Schnuller suchen kann, so wie wir, und nun hat er unendlich viele. Zu deinem Lieblingslied „Dance Monkey“ wippten wir alle mit, so wie unser Lio zu Lebzeiten.

Richtig realisieren konnte man es auch am Tag der Beerdigung nicht, aber was uns wieder besonders in Erinnerung geblieben ist, ist die Unterstützung von unserer Familie und unseren Freunden.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Ich fühlte mich vom ersten Moment an leer. Weinen fiel mir ganz schwer, ich wehrte mich richtig dagegen, ich hatte immer das Gefühl wenn ich es zulasse, dann wird es zur Realität, dann ist es wirklich so dass mein kleiner Wirbelwind nicht mehr da ist. Ich weiß, dass das total irrsinnig ist, aber Trauer hat einfach viele Gesichter.

Was hat dich in dieser Zeit angetrieben, was hat euch Halt gegeben?

Ich versuchte und versuche noch immer so gut es geht für meine Familie eine Stütze zu sein. Meine 2 Kinder an der Hand geben mir so viel Kraft. Wir sind seitdem in psychologischer Behandlung und auch diese Gespräche helfen ungemein.

Mein Antrieb mich nicht gehen zu lassen ist immer der Gedanke, dass meine Kinder mich lebensfroh kennen und ich keine verbitterte Frau werden möchte. Ich bin gebrochen, ja das bin ich, aber trotzdem möchte ich mein Himmelskind stolz machen, indem ich für ihn mitlebe, mitlache und mitliebe.

Gab es etwas, was besonders schlimm für dich war?

Wir wohnen auf einem Dorf und was da für Gerüchte kursierten ist wirklich gruselig. Traurig, dass man anstatt Mitgefühl zu haben noch immer nachtreten muss. Das ist auch der Grund weshalb ich oft ein schlechtes Gewissen habe wenn ich außer Haus lache, aus Angst was die Leute nun wieder über mich berichten… Doch sollten alle einfach nur froh sein nie so einen Schicksalsschlag erlebt zu haben. Unser Schmerz ist groß genug, das kann ich jedem versichern.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Da es bei uns erst 10 Monate her ist, ist die Trauer noch sehr frisch. Doch sie wird auch in 10 Jahren nicht vergangen sein, die Trauer ist von nun an unser täglicher Begleiter.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Lass dich tragen von deiner Familie und deinen Freunden. Suche dir Hilfe von Psychologen, es hilft wirklich ungemein. Und lebe deine Trauer so wie du sie leben willst, egal wie andere über dich urteilen.

Erika

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Ich wurde früher dazu erzogen, Gefühle für sich zu behalten, nicht zuzulassen und nicht offen zu zeigen. Am Todestag meiner Mutter hat sich die Familie morgens im Krankenhaus getroffen. Die Ärzte hatten meinen Vater angerufen und ihm gesagt, dass wir alle vorbeikommen sollen. Während ich auf dem Flur vor der Intensivstation auf die anderen gewartet habe, kam mein Vater mit zwei Ärzten zu mir. Er brach in Tränen aus und sagte „Sie wird sterben“.

Bis zu dem Zeitpunkt ging es eigentlich bergauf und wir alle hatten wieder Hoffnung geschöpft. Ich war in diesem Moment so geschockt, dass ich nicht realisiert habe, was es bedeutete. Als meine Brüder mit ihren Partnerinnen dazu kamen, stand die ganze Familie auf dem Flur vor der Intensivstation und hat geweint, außer mir. Ich konnte meine Gefühle in diesem Moment nicht zulassen.

Wir mussten uns daraufhin entscheiden, ob wir die Maschinen abstellen wollen und das taten wir auch – 15 Minuten später war meine Mutter verstorben. Inzwischen waren meine Cousins und Cousinen, mein Onkel und meine Oma auch gekommen. Ich bin nicht mit in das Zimmer gegangen um bei ihrem Tod dabei zu sein. Ich war nur kurz vorher nochmal bei ihr. Ich habe kurz ihre Hand gehalten und bin in den Wartebereich zurück.

Als ich erfahren habe, dass sie gestorben ist habe ich es tatsächlich geschafft kurz zu weinen. Mein Vater hat mich in den Arm genommen und es war sofort wieder weg. Alle wollten sich umarmen und zusammen sein. Ich wollte nur allein sein. Allein, damit ich meine Gefühle rauslassen kann. Schon vor mir selbst war das schwer genug, vor meiner ganzen Familie konnte ich es nicht.

Ich habe oft gesagt, dass ich nach Hause in meine Wohnung möchte, aber meine Familie bestand darauf, dass ich bei meinem Vater schlafe, damit ich nicht allein bin. Ich konnte in den ersten Tagen nicht trauern, ich war permanent damit beschäftigt gegen meine Gefühle anzukämpfen und der Starke zu sein. Am Todestag meiner Mutter habe ich schon wieder angefangen Witze zu machen, das machte es leichter für mich, mich von der Trauer abzulenken.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Vom Todestag meiner Mutter an, habe ich gegen meine Gefühle angekämpft. Ich war am Tag nach dem Tod wieder arbeiten. Am darauffolgenden Tag habe ich eine Klausur geschrieben, ohne zu lernen. Ich wollte einfach nur nach Hause und so hatte ich einen Grund zu Hause zu schlafen, bei dem ich mich auch nicht schlecht fühlte, weil ich jemanden im Stich lassen würde.

Durch die Arbeit und die Klausur konnte ich mich ablenken. Ich habe in der Zeit versucht so viele Aufgaben wie möglich zu übernehmen, habe sehr viel Sport gemacht, bis zur kompletten Erschöpfung. Ich hatte durch die unterdrückten Gefühle eine extreme innere Unruhe in mir und durch Sport wurde es besser.

In der Zeit wollten meine Familienangehörigen und Freunde viel mit mir über meine Mutter aber auch meinen Vater reden, viele haben geweint. Ich habe in der Zeit nie geweint. Ich habe behauptet, dass ich das mache wenn ich alleine bin, damit es nicht komisch rüber kommt, aber das habe ich nicht.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Am Tag der Bestattung war ich krank. Ich hatte leichtes Fieber. Ich denke die extreme psychische Belastung hat sich auch auf meinen Körper ausgewirkt. Ich habe bis zur Bestattung meine Gefühle soweit unterdrückt, dass ich sie gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Die Bestattung war für mich wie eine Bestattung eines Fremden. Das Einzige was ich gefühlt habe, war die innere Unruhe, die ich aber permanent verspürte. Nach dem Tag der Beerdigung konnte ich mir endlich mehr Zeit für mich nehmen, deshalb war der Tag für mich eine Erleichterung, aber auch nicht mehr.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

In den Wochen danach würde ich das Trauergefühl als eine Schwere bezeichnen. Ich habe es zwar auch in den Wochen danach nicht geschafft wirklich zu trauern geschweige denn zu weinen, dafür waren die Gefühle schon zu tief vergraben. Außerdem war da immer die Sorge um meinen Vater, meine Oma, meine Brüder.

Abends vor dem Einschlafen habe ich aber zugelassen über die Situation nachzudenken, ich hatte Zeit und Raum etwas zu reflektieren. Trotzdem habe ich in der Zeit häufig auch einfach funktioniert. Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht, dass ich etwas hätte besser machen können und meine Mutter damit retten können. Ich habe sehr oft darüber nachgedacht, wo ich mich falsch verhalten habe, ob ich genug gemacht habe.

Ich habe mir dadurch leider angewöhnt, öfter über Situationen die mich beschäftigen zu grübeln. Sie immer wieder in meinem Kopf durchzuspielen. Es hat lange gedauert bis ich einsehen konnte, dass ich nicht die Schuld an ihrem Tod hatte. Mir ist in der Zeit aber auch bewusst geworden, dass es einige Baustellen gibt, die durch die Krankheit und Erziehung meiner Eltern entstanden sind und von da an habe ich begonnen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Ich habe es geschafft meinen Fokus auf mich selbst zu richten und mich meinen Problemen zu stellen. Das ist für mich ein großer Lichtblick gewesen. Ich habe auch begonnen zu reflektieren woher meine Probleme kommen, wieso sich meine Eltern verhalten haben, wie sie es gemacht haben. Durch dieses Verständnis, habe ich vor allem eine Wut, die ich gegen meine Mutter hatte, verarbeiten können. In den Wochen nach der Beerdigung hatte ich viele Träume von meiner Mutter, die alle sehr schlimm waren. Mit der Zeit ließen sie aber nach. Völlig aufgehört haben sie aber, weil ich meine Gefühle nie rausgelassen habe, nie.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Der Tod meiner Mutter ist jetzt über vier Jahre her. Bewusst würde ich sagen, ist die Trauer schon sehr lange weg. Auch Gespräche über sie oder die Zeit um ihren Tod herum haben mich nicht übermäßig belastet. Kognitiv habe ich den Tod schon lange verkraftet. Aber jetzt nach über vier Jahren, wo endlich aller Druck abgefallen ist, sind die Gefühle wieder hochgekommen. Das waren vier Jahre, in denen mich diese Gefühle auch blockiert haben.

Ich habe erst jetzt bemerkt, wie sehr ich meine Gefühle unterdrücke und fange jetzt erst an sie wirklich wahrzunehmen und dadurch schaffe ich es, dass auch unterbewusste Trauer endlich verschwindet. Als Ehepartner ist man mit Sicherheit in einer anderen Situation, aber als Kind habe ich meine Perspektive generell nicht auf meine Eltern gesetzt.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Mir hat geholfen zu akzeptieren, dass es Sachen gibt, die man nicht verändern kann und dass das in Ordnung ist. Zu akzeptieren, dass man nicht immer stark sein muss und auch mal Schwäche zeigen kann und dass das auch in Ordnung ist. Zu reflektieren, was ich wirklich für mich tue und was ich für meine Eltern getan habe und das als Anreiz genommen zu haben mich persönlich weiter zu entwickeln und mein Leben selbstbestimmt zu leben.

Mein Rat ist sich Zeit für sich zu nehmen, auf sich und seinen Körper zu hören, was man grade braucht. Sich nicht daran aufzuhalten, was andere von einem verlangen in solchen Situationen. Gefühle zuzulassen, sich nicht abzulenken und die Gefühle runter zu schlucken. Trauer ist kein schönes Gefühl, aber es ist befreiend.

Anni

Storytelling Grandparents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Ich saß inmitten eines Teammeetings als meine Zwillingsschwester mich anrief und mir sagte, dass Oma gestorben sei. Ich wusste es war was passiert, weil sie 2-mal direkt hintereinander anrief. Vor lauter Angst oder Schockstarre vergaß ich den Ton und das Bild auszumachen. Ich saß wie versteinert vor meinem Bildschirm und mir schossen 1000 Erinnerungen in den Kopf, zeitgleich fühlte ich mich leer, Tränen schossen in die Augen.

Ich bin hochgelaufen zu meinem Freund und er hat mich direkt aufgefangen. Es hat sich angefühlt, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen, als wäre die Zeit für einen kurzen Moment stehen geblieben. Ein Schlag in die Magengrube, Übelkeit und Überforderung und direkt kamen mir Vorwürfe in den Kopf: „Wieso warst du nicht öfter da?“

Ich bin direkt zu ihr gefahren, lief meinem Vater in die Arme. Ich habe ihn noch nie so gesehen. Völlig in Trauer und geschockt. Oma dort liegen zu sehen, reglos und mit demselben Blick wie immer. Die Hände wurden schon zu betenden Händen überschlagen. Sie sah friedlich aus. Ich wollte ihre Hand halten, das haben wir so oft gemacht aber ich traute mich nicht. Ich sagte zu meinem Vater, ob er mir helfen könnte, meine Hand zu Oma zu führen. Das tat er. Zu Beginn war sie noch warm und weich – sie fühlte sich wie immer an, nur dass sie nicht redete. Ich habe versucht meine Gedanken in eine positive Richtung zu lenken.

Erzähl uns mehr über deine Oma

Oma war 89, sie hätte sich gewünscht so zu sterben, ohne Schmerzen und Zuhause. Sie hatte ein schönes Leben, 4 Söhne, Enkelkinder und sogar Urenkel– sie war meine Patentante. Ich kenne niemanden der so vertrauenswürdig war, sie konnte „Schweigen wie ein Grab“ und Tipps hatte sie auch immer auf Lager, zu jeder Situation. Sie war loyal, lästerte nicht und war immer bedacht mit allem was sie tat und sagte.

Sie war nicht die typische „damals war alles besser“ Oma, man konnte mit ihr lachen und sie begeistern. Sie war an allem interessiert, hat sich nie großartig beklagt. Sie war dankbar und wollte Niemandem zur Last fallen. Sie hatte 4 Söhne und seit wenigen Wochen hatte Sie eine ukrainische Hilfe bei sich wohnen. Sie hat der Himmel geschickt- liebevoll, geduldig und hat sich rund um die Uhr liebevoll um Oma gekümmert.

Ich habe so viele großartige Kindheitserinnerungen an sie – die Oma, bei der ich noch im späten Kindesalter an der Pulla trinken durfte, stundenlange Kartenspiele und dieses leckere Frühstück mit dickem Bauernbrot und Aufschnitt auf Holzbrettchen. Wir hatten schöne Stunden und so will ich sie auch in Erinnerung halten. Und auch wenn ich diese positiven Gedanken hatte, wurde ich immer wieder in die Realität zurückgeholt. Die Trauer hat Allen im Gesicht gestanden.

Wie liefen die letzten Tage vor ihrem Tod ab?

Mein Vater erzählte mir, dass sie die letzten Tage vor Ihrem Tod Bemerkungen machte, dass sie keine Kraft mehr hätte. Sie war nachts sehr unruhig. Wir wussten vom letzten Krankenhausaufenthalt, der erst einige Wochen zuvor „glimpflich“ ausging, dass Ihre Nierenfunktion nicht mehr die beste war. An dem Montag, hatte meine Mutter Geburtstag und ich wollte vorher noch bei Oma vorbei. Ich kam nicht rein, weil die Hilfskraft einkaufen war.

So stand ich vor den großen Fenstern im Garten und beobachtete Oma wie sie im Sessel schlief. Ich habe sie einige Minuten beobachtet, weil ich sichergehen wollte, dass sie tatsächlich nur schläft. Ihre Atmung war so flach, dass man sie fast nicht gesehen hat. Dann kam ein kurzer Schnarcher, ich weiß noch, dass ich vor mich hin geschmunzelt habe. Dann habe ich noch ein Bild durchs Fenster gemacht und bin zu meiner Mutter gefahren. Ich wollte nach dem Geburtstag nochmal kurz hin, aber ich war müde und bin direkt nach Hause. Donnerstagmorgen ist sie dann gestorben und ich frage mich bis heute, wieso ich nicht einfach noch hingefahren bin. Aber hätte es was geändert? Natürlich nicht. Vorwürfe bringen auch nichts, das würde sie nicht wollen und sie wusste, dass ich sie liebe.

Wie hat dein Umfeld auf den Tod deiner Oma reagiert?

Opa ist schon vor einigen Jahren gestorben und da habe ich das alles in meinen jungen Jahren nicht so mitbekommen. Dieses Mal war es anders – die „starken“ Onkel konnten es nicht fassen, waren natürlich am Boden zerstört. Das hat mir das Herz zerrissen, vor allem meinen Vater so zu sehen. Ich war darauf die Tage jeden Tag dort, jeder der wollte, konnte sich von ihr verabschieden. Meine Zwillingsschwester und ich haben ihr jeweils einen Brief geschrieben und in Ihren Blazer ans Herz gepackt. Mir fielen 1000 Dinge ein, die ich sagen wollte und irgendwie hatte ich das Gefühl, sie würde das so eher hören, als wenn ich es nur in meinen Gedanken sage. Sie wurde von Tag zu Tag gelblicher, die Hände konnte ich am nächsten Tag schon nicht mehr halten, sie waren kalt, hart und die Finger verfärbten sich. Es waren nicht mehr „Oma’s weiche Hände“.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Es gab so viel zu tun und zu besprechen. Ich war aber gar nicht in der Lage bei den Erwachsenen zu sitzen und einen Sarg und Blumen oder gar einen Spruch für die Todesanzeige auszusuchen. Ich hätte selber nicht gedacht, dass es mich so umhaut.

Ich habe mich eher zurückgezogen und mich neben sie gesetzt. Sie einfach beobachtet und bin hin und wieder durchs Haus gegangen. Alles roch nach ihr. Wir haben innerhalb der Familie in alten Erinnerungen gestöbert, viel geredet. Trotz der Corona Zeit war die gesamte Familie da, der Pastor ist gekommen und wir haben gebetet.

Kerzen brannten, gesegnetes Wasser und Palmzweige standen bereit. Der Pastor hatte unfassbar schöne Worte gefunden – mir lief ein kalter Schauer hinunter. Er sagte etwas wie „dank ihr seid ihr alle hier.“ Und das war mir nie so bewusst, aber er hatte recht. Wahnsinn, dass die Person dank der wir alle leben nun tot ist. Ob wir je an Weihnachten wieder so in der Familie feiern, bleibt wohl offen. Sie war ja diejenige die uns an ihrem Geburtstag, Ostern und Weihnachten zusammengebracht hatte.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Die Beerdigung war sehr emotional. Mein Vater hat eine so unwahrscheinlich tolle Rede über sie geschrieben. Von klein an bis heute. Er kann so schön schreiben und der Zuhörer hatte einen Rundum-Blick auf Omas Leben. Sie hatte ein nicht ganz einfaches und dennoch wunderschönes Leben. Omas Geschichte wurde vom Pastor in der Kirche vorgelesen. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Oma hätte es geliebt und bestimmt schön gefunden, wenn man ihr all das mal persönlich gesagt hätte. Wir waren aufgrund der Pandemie nur im kleinen Kreis.

Angekommen an der Leichenhalle lagen Kränze und Blumen um den Sarg herum. Sie hätte diese ganzen bunten Blumen geliebt. Dann der Weg zum Grab. Die Söhne, mein Bruder und ein Cousin trugen sie. Es lief „Amoi seg‘ ma uns wieder“. Das waren vielleicht 50 Meter, aber es hat sich angefühlt wie Kilometer – wie ein Weg, der nie aufhört. Der Weihrauch steckt gefühlt noch immer in meiner Nase. Ich klammerte mich wieder an positive Gedanken: „Sie hat es geschafft und liegt jetzt neben Opa – im Doppelgrab, wie sie es sich wünschte. Im kräftigsten Eichensarg, den es gab – sie ist also gut geschützt.“

Es hat sich angefühlt wie ein Film, in dem ich sehe, wie ich dort stehe und weine. Mir war kalt, es hat genieselt. 100 Gedanken im Kopf; der Wunsch, dass sie oben angekommen ist und es ihr gut geht. Ich legte eine wunderschöne Rose auf den Sarg, genau da wo das Kreuz war, segnete den Sarg mit Weihwasser und ging. Wissend, dass Sie schon im Nachmittag unter der Erde liegt, mit meinem und Isas Briefen genau an ihrem Herzen. Es war alles gesagt und doch so viel unausgesprochen. Der Tag war wichtig für mich, um abzuschließen – auch wenn erst im Nachgang das richtige Abschließen begann.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Es fühlte sich alles unreal an. Sie war nicht mehr da. Ich habe einige Bilder bei mir in der Wohnung und ich habe immer wieder angefangen zu weinen. Sie schoss mir in meine Gedanken, aus dem Nichts. Ich sortierte Bilder von ihr. Ich habe extra einen Ordner gemacht. Ich werde nicht vergessen, wie ich neben meinem Partner lag und sagte, du riechst gerade so nach ihr.

Es waren stille Nächte, voller Sehnsucht. Gefühlt ging der Tod bis zur Beerdigung schnell und erst danach wurde es real. An einem Tag fühlte ich Trauer, im nächsten Moment war ich dankbar wie es gelaufen ist. Ziemlich suspekt – ich weiß noch wie ich einer Kollegin sagte: „Ich wünschte mir, dass sie noch da wäre, aber ich empfinde es zeitgleich als so egoistisch, weil sie einfach den schönsten Tod hatte.“ Wäre sie im Krankenhaus gestorben, hätten wir uns nicht verabschieden können, mal abgesehen von der Tatsache, dass sie so gestorben ist wie sie es immer wollte. Rückblickend glaube ich, dass sie es wusste. Sie hat im Krankenhaus ihre letzten Kräfte gebündelt, denn sie hat tatsächlich bis zum Tod alle noch einmal gesehen. Klingt verrückt, aber es schien, als hätte sie nochmal alle sehen wollen um dann loslassen zu können.

Es fühlt sich an als wäre sie bei mir – in vielen Situationen habe ich gemerkt, dass sie mich umgibt. Es riecht oft nach ihr. Wir waren natürlich nochmal im Haus. Das war sehr hart und ist es noch immer. Dort war der Treffpunkt der Familie und auf einmal gibt es das so nicht mehr. Ein schönes Ende gibt es, da das Haus in der Familie bleibt. Es wird demnächst wunderschön umgebaut und neues Leben und Glück zieht ein. Das ist das, was sie sehr schön gefunden hätte. Ihre Möbel konnten so gut wie alle unter die Leute gebracht werden. Fast nichts muss weggeworfen werden. Da hätte sie sich im Grab einmal umgedreht lach

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Lichtblicke für mich sind, dass ich weiß, dass es ihr gut geht. Es war der richtige Zeitpunkt zu gehen und ich habe gelernt loszulassen,- jedoch mit dem Wissen sich wiederzusehen. Ich weiß, dass sie mich weiterbegleitet und mich nicht aus den Augen lässt. Sie wird mir Situationen geben, bei denen ich über mich hinauswachse. Ich habe rückblickend viel von ihr gelernt und kann das alles weitergeben. Das ist ein Riesen Geschenk.

Ich habe gelernt, dass Reden Gold ist. Ich habe die Gefühle einfach rausgelassen und hatte meinen Partner die ganze Zeit an meiner Seite. Er war und ist immer in diesen Momenten bei mir. Ich habe akzeptiert, dass es ein Prozess ist und es dazugehört. Es ist schon fast „schön“, weil es zugleich zeigt wie wichtig sie mir ist. Ich denke, dass es wichtig ist die Trauer zuzulassen, um alles verarbeiten zu können.

Was hilft dir im Umgang mit deiner Trauer?

Der Brief hat mir sehr geholfen, genauso wie die Bilder im Ordner. Ich habe Mailbox Nachrichten von ihr, damit ich ihre Stimme nicht vergesse und sie hören kann, wenn ich will. Ich habe mit den Erbstücken eine wunderschöne Ecke bei uns gestaltet. Sie saß auch immer eher im Hintergrund und beobachtete das Geschehen. Diese Ecke ist wie für sie gemacht. Absoluter Überblick über den ganzen Raum, auf einem bequemen Sessel. Rechts daneben stehen immer frische Blumen.

Manfred

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Mein Vater ist am 07.12.2017 gestorben, das ist nun ziemlich genau drei Jahre her. Ich war kurz zuvor auf einer sechswöchigen Urlaubsreise in Südamerika und sehr froh, dass ich drei Tage vor dem Tod wieder zurückgekommen bin und noch die letzten Stunden zusammen mit meinem Vater verbringen konnte.

Zu dem Zeitpunkt lag er bereits seit einer Woche im Krankenhaus und es war klar, dass er bald einschlafen wird, da der Krebs sich bereits so verteilt hatte, dass auch die Chemotherapie nicht mehr angeschlagen hatte. Es war, als ob Papa nur noch auf mich gewartet hatte.

Als ich direkt vom Flughafen angekommen bin, konnten wir uns noch einigermaßen gut unterhalten, aber schon nach wenigen Stunden war Papa zunehmend erschöpft und es fiel ihm schwerer zu sprechen und sich zu bewegen. Eigentlich war ich fast durchgehend bis zu seinem Tod bei ihm. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass er keine Schmerzen hat und friedlich einschlafen würde. Zum Glück hat er vorher noch selber mit der Ärztin abgesprochen, welche Schmerztherapie er sich wünscht und ich war sehr dankbar, dass ich mich nicht damit auseinander setzen musste.

Kurz vor dem Todeszeitpunkt war ich nicht im Krankenhaus, aber als mich meine Mutter anrief, bin ich sofort wieder ins Krankenhaus gefahren und war dann auch noch bei ihm. In seinen letzten Stunden war er zu keiner Zeit alleine. Natürlich war ich währenddessen und auch schon vorher, als ich wusste, das sein Leben zu Ende geht, sehr traurig. Ich habe unglaublich viel geweint und mich oft gefragt, ob auch alles gesagt wurde, was ich meinem Papa noch mitgeben wollte – irgendwie war dann doch weniger Zeit als ich vorher erwartet hatte.

Auch wenn ein paar Wochen vorher klar war, dass er bald sterben könnte, habe ich diesen Gedanken sehr verdrängt. Da auch er selber seine Krankheit nicht so oft thematisiert hat, wusste ich nicht abzuschätzen, dass nur noch so wenig Zeit bleibt und dass es so schlimm um ihn steht. Er hatte ein Jahr vor seinem Tod noch eine große OP und ich dachte, dass er dadurch noch viele Jahre zu leben hätte.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Die Zeit bis zur Bestattung habe ich sehr durchwachsen und turbulent erlebt. Es gab viel zu tun, vor allem mussten weitere Angehörige und Freunde über das Ereignis informiert, Trauerkarten geschrieben und gleichzeitig sehr viel organisiert werden. Besonders weil die Bestattung nicht am Todesort, sondern 600 km entfernt stattfand, wo das Familiengrab der Familie meines Vaters liegt und die restlichen Verwandten wohnen. Meine Eltern sind getrennt und ich habe keine Geschwister, so dass ich als Tochter die nächste Angehörige bin und mich dadurch um einige Sachen alleine kümmern musste, auch wenn meine Mutter mich bei allen Dingen, bei denen es ihr möglich war, unterstützt hat.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Durch einige Formalitäten, nämlich dadurch, dass die Urne von uns persönlich in ein anderes Krematorium gebracht werden musste, war die Erdbestattung nicht am gleichen Tag wie die Trauerfeier möglich. Auch für Freunde in Bonn war es nicht möglich, nach München zur Bestattung oder zur Trauerfeier zu kommen. Daher haben wir dreimal Abschied genommen: Am Tag der Trauerfeier, am Tag der Urnenbeisetzung und am Tag seines 65. Geburtstages, den er leider nicht mehr mit uns zusammen feiern konnte, wir aber ein ganz kleines „Erinnerungsfest“ gemacht haben.

Die Trauerfeier war wunderschön gestaltet und hat mir sehr geholfen, nochmal sein Leben Revue passieren zu lassen. Auch die Vorbereitung, das Heraussuchen von Liedern, die ihn begleitet haben und das Verfassen von Erinnerungen an meinen Vater, an denen ich alle teilhaben lassen wollte, haben mir geholfen, zu akzeptieren, dass die Lebenszeit begrenzt ist und er trotz seines sehr frühen Todes viel bewirkt hat und viel Einfluss auf mein Leben hatte und auch immer noch hat. Besonders wertvoll habe ich erlebt, zu sehen, dass viele Menschen gekommen sind, um gemeinsam Abschied zu nehmen und sich gegenseitig zu trösten.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

In den Monaten nach dem Tod mussten extrem viele organisatorische Sachen erledigt werden. Ich habe die Wohnung komplett aufgelöst und dabei viele persönliche Gegenstände und Erinnerungen meines Vaters entdeckt. Bestimmte Gegenstände haben vergessene Kindheitserinnerungen wieder geweckt und in diesen Momenten habe ich meinen Vater ganz besonders als Person, mit der ich diese Erinnerung teile, mit der ich mich jedoch nicht mehr austauschen kann, vermisst.

Ich fand oft, dass ich den Dingen gar nicht gerecht werden konnte und fand mich nicht wohl dabei, zwischen „kann weg, wird nicht mehr gebraucht“, „behalte ich“ und „entscheide ich später“ entscheiden zu müssen. Für meinen Vater waren fast alle seine (nicht unbedingt materiellen) Dinge wichtig und ich wusste, dass er sie gerne aufbewahrte. Trotzdem musste ich mich irgendwie von dem Gedanken lösen, alles festhalten zu wollten.

Noch immer habe ich sehr viele Dinge, die ich noch nicht weggeben möchte, aber auch nicht gebrauchen kann und mindestens genauso viele besondere Dinge, die ich geerbt habe und die einen ganz persönlichen Erinnerungswert haben. Ich glaube, auch diese Dinge helfen mir, an meinen Vater und unsere Beziehung zu denken, wann immer ich damit in Berührung komme und zu hoffen, dass er sich freut, dass diese Dinge noch weiterhin Freude bereiten – wie z. B. sein Fahrrad, dass früher er fuhr und das jetzt täglich mich durch die Gegend trägt.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

In den ersten Wochen habe ich jeden Tag an meinen Vater gedacht. Mittlerweile ist es weniger geworden, ohne dass er in Vergessenheit gerät. Ich denke, dass ich den Verlust meines Vaters akzeptiert habe und mittlerweile gut damit umgehen kann. Mir hilft es, sehr offen mit Freunden, Angehörigen und Gleichgesinnten über den Tod meines Vaters zu sprechen. Außerdem hilft es mir, ein Grab als Ort des Abschieds und der Verbindung zu haben. Dort kann ich auch örtlich meinem Vater nah sein. Gedanklich kann ich das jederzeit. Manchmal beruhigt es mich, eine Kerze anzuzünden und dabei ganz besonders an meinen Papa zu denken.

Falk

Storytelling Parents

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

An dem Tag an dem mein Vater starb, war ich zuhause. Es passierte alles, während ich schlief. Ungefähr gegen 9:00 Uhr wachte ich schreckhaft auf mit dem Wissen, verschlafen zu haben. Zu dem Zeitpunkt war ich 14 Jahre alt und wurde normalerweise immer von meinem Vater geweckt. Als ich auf die Uhr schaute, stürmte ich wutentbrannt aus meinem Zimmer, um zu sehen warum mich keiner geweckt hatte.

Als ich um die Ecke des Flurs ging änderte sich plötzlich alles und ich realisierte das etwas ganz und gar nicht stimmt. Am Ende des Flurs standen Polizeibeamte. Mein erster Gedanke war: Unser Hund ist mal wieder abgehauen. Die Idee, dass einem Familienmitglied etwas zugestoßen sein könnte, kam mir nicht mal ansatzweise in den Sinn. Ich lief umgehend zurück in mein Zimmer und setzte mich auf mein Bett. Nach kurzer Zeit kam meine Mutter ins Zimmer und sagte, dass Sie mir gleich alles erkläre. Ganz schnell führte sie mich im Arm runter.

Unten angekommen, merkte ich, dass etwas wirklich Schlimmes passiert sein musste. Mein Bruder, der zu dem Zeitpunkt schon ausgezogen war, war auch da und sah bitterlich verweint aus. Daraufhin erzählte Mama mir, dass Papa verstorben ist an diesem Morgen und alles ganz plötzlich kam. Ich werde diesen Moment wohl nie vergessen.

Was hast du in diesem Moment gefühlt?

Die Gedanken an meine letzten Momente mit Papa kreisten nur so um mich und schweben mir bis heute ständig im Kopf. An dem Tag brach meine Welt zusammen und ich wusste nicht, inwiefern ich diesen Verlust wohl jemals ertragen könnte. Der Schmerz einen so geliebten Menschen zu verlieren, wird nie verschwinden. Die Art und Weise wie man damit lebt ändert sich allerdings.

Ich habe mich nicht von meinem Vater verabschiedet, da ich meine Erinnerung nicht mit einem solchen Moment trüben wollte. Bis heute glaube ich, war es die beste und schwerste Entscheidung zugleich. Denn der Abschied und das Realisieren des Verlustes sind dadurch schwierig. Wie soll man auch begreifen, dass man diesen Menschen nie wiedersehen wird, wenn er doch am Abend vorher noch Scherze mit dir gemacht hat? Andererseits hat sich das positive, vitale Bild meines Vaters dadurch nie verändert. Und darum bin ich sehr froh.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Ich habe die Zeit mit meinem damaligen Freund verbracht. Mein Vater starb an einem Freitag. Ich bin bereits montags wieder in die Schule zurückgekehrt, da ich den Trubel zuhause nicht aushielt. Auch meine Mutter wollte mich davor schützen. Nach einem plötzlichen Todesfall ist der anstehende Papierkram enorm und bürokratisch entstehen einige Hürden. Ich habe mich also so gut es geht abgelenkt.

Ich habe mit meinen Freunden über alles sprechen können, daher war es kein Verdrängen sondern ein einfaches Abtauchen aus der Situation. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt alles völlig unreal scheint. Ich glaube das, was mich im Nachhinein am meisten schockiert hat, ist die Tatsache, was alles auf meine Mutter zukam. Der Verlust eines geliebten Menschens, ein Umzug etc. sind schon Herausforderung genug. Doch das System erschwert viele Prozesse und verlangt finanziell und bürokratisch enorm viel von den Betroffenen ab.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Bestattung war sehr emotional und auch sehr bedrückend. Allerdings hatten wir zwei Trauerfeiern. Eine bei uns im Garten für alle Freunde und Angehörige und eine private Beisetzung in Hessen auf einem Waldfriedhof. Eine Beisetzung/Trauerfeier für einen recht jungen Mann, der plötzlich verstirbt, kann nur extrem schmerzhaft sein, weil der Tod so unfair scheint. Allerdings haben wir das Beste aus der Situation gemacht.

Was ist dir von diesem Tag positiv in Erinnerung geblieben?

Zu sehen wie viele Menschen mein Vater berührt und bewegt hat in seinem Leben, hat mir nur nochmal bestätigt was für ein wunderbarer Mensch er doch war. Und dass nicht nur ich um ihn trauern werde, sondern er täglich von so vielen Menschen vermisst werden wird. Er hat Spuren hinterlassen und niemand würde ihn je vergessen. Das hat mir ein Stück Mut, Hoffnung und Glücksgefühl beschert.

Denn ich konnte zumindest sagen, was ich für ein Glück hatte 14 Jahre lang einen solchen Vater gehabt zu haben. Einen Vater, der mir und meiner Familie so viel gegeben hat und mich mit größter Güte und Liebe erzogen hat. So ein Glück erfahren nicht alle Kinder. Das Wissen, immerhin 14 Jahre von ihm gehabt zu haben und so viel von ihm gelernt zu haben, hat mich mit Stolz erfüllt und durch diesen Tag gebracht.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Die erste Zeit nach dem Tod meines Vaters war extrem schwierig. Ich habe zwar weiter gemacht wie zuvor, und auch weiterhin gelacht und glückliche Momente gelebt. Aber das Bewusstsein darüber was der Tod bedeutet und dass ein Leben endlich ist, war für mich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht wirklich greifbar. Ich dachte ständig daran, meinen Vater bald wiederzusehen.

Auch heute denke ich, dass es nicht möglich ist, dass ich meinen Vater nie wieder umarmen kann. Diese bittere Realität werde ich nie begreifen können. Gerade zu Beginn war ich sehr sensibel und war schnell am Wasser gebaut. Das was mir in diesen Momenten am meisten geholfen hat, war der enge Bezug zu meinen Freunden. Ich musste so viel unternehmen, wie ich nur konnte. Denn vor meiner Mutter Trauer zeigen und zu weinen, war kaum vorstellbar.

Meine Mutter bat mich deshalb zu einer Psychologin zu gehen, aus dem einfachen Grund, dass sie nicht kontrollieren konnte, inwiefern ich über meine Trauer spreche. Für mich war das auch vollkommen okay und ich begab mich in eine Form von wöchentlichen Gesprächen mit meiner Psychologin. Es gab mir zwar einen neutralen Blick auf die Dinge, aber ich kann nicht sagen, dass Sie mir helfen konnte. Das liegt aber vor allem daran, dass man mir nicht helfen musste, denn ich habe meine Trauer bei meinen Freunden auslassen können und schon immer gut über den Verlust sprechen können.

Ich glaube das ist mit Abstand der wichtigste Punkt nach einem derartigen Ereignis. Ohne die offene Kommunikation wäre ich innerlich vermutlich daran zerbrochen. Mein Freund war mir zu dem Zeitpunkt eine sehr große Hilfe. Meine Freundinnen waren alle ebenfalls sehr bestürzt, da auch sie ein sehr enges Verhältnis zu meiner Familie und besonders zu meinem Vater hatten. Sie schwelgen bis heute gerne mit mir in Erinnerung und gemeinsam können wir über all die schönen Momente lachen, die mein Vater uns bescherte.

Was hat dich angetrieben, deinen Weg weiter zu gehen?

Es gab einige Menschen, die nicht begreifen konnte wie ich „einfach so weitermachen könnte“ und warteten förmlich auf einen Absturz. Ich denke es gibt viele Menschen, die ein solches Ereignis nicht verkraften. Für mich ist es bis heute auch nicht leicht, aber ein Gedanke hat mich durch alles hindurch geführt: Ich möchte meinen Vater stolz machen. Er soll von Oben auf mich herabschauen und glücklich sein. So wie er es auch von mir verlangen würde glücklich zu sein.

Ein weiterer Gedanke hielt mich über Wasser: Diese Art eines plötzlichen Todes ist zwar für die Zurückgebliebenen das Schlimmste, da es die Welt völlig unerwartet auf den Kopf stellt. Für meinen Vater war es allerdings die beste Form. Schnell, kurz und unspektakulär. Kein langer Leidensweg. Genau so hätte er es sich gewünscht.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Die Trauer verlässt einen nie. Es begleitet mich jeden Tag. Und jeden Tag wache ich auf und hoffe es wäre anders. Ich denke und vermisse Ihn jeden Tag, wünschte ich könnte ihm von meinem Tag erzählen, ihm stolz über meine neuen Lebensschritte berichten. Der Gedanke an die Zukunft und dass er nicht bei mir sein kann, wenn ich heirate; dass er mich nicht zum Altar laufen kann oder mit meinen Kindern irgendeinen Blödsinn machen kann; dass ich niemals mit ihm zusammen ein Bier trinken werde und bis spät in die Nacht über die Welt philosophieren kann.

All das sind Gedanken, die mich täglich begleiten. Aber genauso spüre ich jeden Tag eine tiefe Dankbarkeit für alles, was ich von ihm mitnehmen durfte und durch ihn gelernt habe. Und wenn man diese Dankbarkeit in den Vordergrund stellen kann, dann schafft man es auch einen Weg zu finden, mit der Trauer umzugehen.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Mein Rat: Sprich dich aus, es gibt keinen Grund diese Trauer und diese Gedanken mit dir selbst zu vereinbaren. Sei froh und dankbar über deine gemeinsame Zeit mit diesem Menschen, denn die wird dir niemals jemand nehmen können. Du verlierst niemanden für immer, denn dieser Mensch wird immer bei dir sein, weil du ihn in dir trägst. Er wird dich ständig begleiten und dir helfen, wenn du daran denkst, was dieser Mensch in dieser Situation gesagt und getan hätte. Für mich gibt es ein Leben nach dem Tod. Und ich weiß, dass mein Wunsch meinen Vater umarmen zu können in Erfüllung gehen wird.

Frédéric

Storytelling Child

Wie war der Tag, als du von dem Tod erfahren hast?

Um die Situation zu beschreiben, in der ich war, als ich von Frédérics Tod erfahren habe, muss ich etwas ausholen: Frédéric war im September 2014 nach San Francisco gereist, um dort bei einem Startup ein Praktikum zu machen. Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Studium in Nürnberg und Nancy (Frankreich) hatte er diese tolle Möglichkeit über eine ehemalige Mitschülerin erhalten. Eine Woche nach dem Interview mit dem Geschäftsführer, das er von unserem Sommerdomizil in Südfrankreich aus führte, saß er nach einem kurzen Stopp bei seinem Halbbruder in Paris im Flugzeug nach „SanFran“.

Frédéric war absolut begeistert von der Stadt, der Stimmung und der kollegialen Atmosphäre in dem Startup. Diese belohnte gegen Ende des Jahres ihre Mitarbeiter durch einen Arbeitsaufenthalt in Punta Cana, einem Massenurlaubsort auf der karibischen Insel Santo Domingo. Dort arbeiteten sie morgens und am Nachmittag nutzten die Mitarbeiter die vielzähligen Unterhaltungsmöglichkeiten. Frédéric schrieb begeisterte Mails oder SMS.

Nachts bekam ich dann in Berlin den Anruf aus den USA: Frédéric war bei einem Bootsausflug mit einem Kopfsprung in nicht ausreichend tiefes Wasser in Strandnähe gesprungen und hat vier Halswirbel „stark gestaucht“. Der stellvertretende Geschäftsführer, der mich aus San Francisco anrief, meinte, es sei „ernst“, er müsse wahrscheinlich in die Hauptstadt Santo Domingo überführt und operiert werden und dazu bräuchten sie meine Einwilligung, vor allem die Garantie der Übernahme der Krankenkasse. Es folgten massenweise administrative Aufgaben am frühen Morgen für mich, Formulare, die mir gemailt wurden ausdrucken und unterschreiben, die Versicherung kontaktieren. Ich fühlte mich sicher, dass alles gut laufen würde, wir waren gut versichert und ich bereit, alle notwendigen Informationen zeitnah zu liefern.

Ist dir an diesem Tag etwas besonders in Erinnerung geblieben?

Ich mache hier mal einen „Ausflug“ in die Welt der Versicherungen, von denen man sich ja immer irgendwie „beschützt und abgesichert“ fühlt. Um ein Praktikum in den USA zu machen, hatte Frédéric obligatorischer Weise eine recht teure „all round“ Versicherung abgeschlossen, die natürlich ärztliche Versorgung sowie Krankenhausbehandlungen einschloss. Diese Versicherungen haben aber Klauseln, u.a. in Bezug auf Betreuung und Rückführung. Diese Versicherungsfragen wurden leider in den Umständen in denen Frédéric verunglückt und gestorben ist, zum roten Faden aller daraus folgenden Handlungen.

Er befand sich, als er verunglückte, in einem Entwicklungsland mit mäßiger Gesundheitsversorgung. Da ein amerikanischer Arzt in seinem Team war, stellte sich von Anfang an die Frage, ob man ihn nicht von Punta Cana aus direkt nach Florida transportieren sollte, wo er eine optimalere ärztliche Behandlung bekommen würde (oder bekommen hätte) und diese Fragen wurden IMMER von der Versicherungsgesellschaft beantwortet.

Dass die Versicherungsgesellschaft immer mit im Boot saß, bekamen wir ständig zu spüren: sie entschied wo und wie Frédéric medizinisch versorgt würde, ob und wann er nach Deutschland überführt werde, bis hin wie und wann er beerdigt werden könne, welcher Sarg durch die Versicherung „abgedeckt“ war. Auch in Deutschland können solche Umstände auftreten. Ich habe im Nachhinein von vielen organisatorischen Ungereimtheiten nach Unfällen oder Katastrophen oder auch Kunstfehlern gehört und die Konsequenzen der Versicherungen daraus sind oft nebulös.

Wie hast du von dem Tod erfahren?

Die von der Versicherung eingesetzte Fluggesellschaft, die Frédéric als schwer Verletzten rückführte, informierte mich von Deutschland aus über seinen Tod im Himmel über Kanada. Zu diesem Zeitpunkt war ich in Punta Cana, in der Nähe von dem Ort wo Frédéric verunglückt war. Es war mir nicht erlaubt worden mitzufliegen, da im Flugzeug neben den lebenserhaltenden Instrumenten, einem Intensivpfleger und zwei Piloten kein Platz für eine zusätzliche Passagierin war. Schweren Herzens hatte ich ihn in der Nacht im Krankenhaus verabschiedet.

Der Anruf, dass Frédéric im Himmel von Kanada gestorben war, erreichte mich in dem Hotelzimmer, in dem ich mich vor dem langen Rückflug ein wenig ausruhen sollte. Mein Handy klingelte in dem gleichen Moment, in dem mir das Hotelzimmer aufgeschlossen wurde. Ich sah, dass der Anruf aus Deutschland und drückte ihn weg, hatte aber sofort das Gefühl, dass das nichts Gutes bedeutete. Kaum hatte ich mein Gepäck abgestellt klingelte es wieder.

„Es tut mir leid, dass…“

Ich hatte sofort begriffen – man begreift sofort, es ist verrückt: in keiner einzigen Sekunde seit dem Anruf in Berlin hatte ich daran gedacht, dass Frédéric an den Folgen seines Unfalls sterben könnte. In keiner einzigen Sekunde! Und dann dieser zweite Anruf – sofort war mir alles klar – es ist eine Katastrophe passiert.

Wie hast du dich in dem Moment gefühlt?

Wie ein allwissender Stein stürzte es auf mich herab: diese Nachricht wird Dein Leben verändern – dieser Anruf ist die Annonce einer Katastrophe – dieser Anruf ist ein Anruf, den niemand, absolut niemand im Leben verdient hat!

Und doch: es traf mich wie eine Bombe. Diesen Bombeneinschlag fühle ich noch bis heute. Mit jeder Nervenzelle meines Körpers. Diese Bombe schlug ein tiefes Loch in mein Herz. Mit diesem Loch im Herzen lebe ich bis heute.

Und was antwortet man auf die Todesnachricht des eignen Kindes? Ich antworte so, weil ich die ganze tonnenschwere Verantwortung, meinen schwer verletzen Sohn nach Deutschland rückführen zu lassen, ganz alleine trug, da ich als Einzige vor Ort war. Meine Reaktion war eine kristallklare, luzide Frage: Dr. Sowieso, habe ich meinen Sohn durch diesen Rücktransport umgebracht?

Ich trug diese Verantwortung alleine, da nur ich vor Ort war und zehn Tage mit den Ärzten und den Versicherungsvertretern verhandelt hatte, ob Frédéric rückführungstauglich sei. Keiner, weder die Ärzte noch die Gutachter der Versicherung konnten dies einschätzen, und schon gar nicht ich selbst. Aber es mussten eben rasch Entscheidungen getroffen werden, Entscheidungen, an denen Frédérics Leben hing.

Der bayrische Bereitschaftsarzt beruhigte mich zwar am Telefon mit seiner Antwort, indem er mir versicherte, dass sie Frédéric auf keinen Fall transportiert hätten, wären da irgendwelche Zweifel gewesen, dass er die lange Flugreise nicht überstehen wird. Aber Fragen blieben und bleiben offen, Schuldgefühle sind bis heute nicht loszuwerden.

Was hast du gemacht, nachdem du die Nachricht über den Tod erhalten hast?

Im Hotelzimmer schwankte der Boden unter meinen Füßen, als ich versuchte aufzustehen. Was macht man da so alleine? Wie hält man so etwas aus? Es kam kein Schrei aus meiner Brust, keine Tränen flossen – es war da nur ein unbeschreiblicher Schmerz in meinem Herzen, ein elendiger Druck in der Brust und das Gefühl, innerlich durchbohrt zu werden.

Ich rief Frédérics Vater, seine Brüder, meine beste Freundin und meine Mutter an. Obwohl es sich nach Ohnmacht anfühlte, war ich bei vollem Bewusstsein und die paar Stunden bis zu meinem Abflug nach Deutschland vergingen nur zäh und langsam. Das Touristenflugzeug war mit vielen jungen Menschen besetzt, die die Spätsaison genutzt hatten, um nochmal vor dem Winter in Deutschland Sonne zu tanken. Ausgerechnet neben jungen Männern, die in Frédérics Alter waren, wurde ich platziert.

Wie ist der Flug nach Hause abgelaufen?

Ich weiß nicht weshalb, aber noch vor dem Abflug kam eine Stewardess auf mich zu und fragte, ob etwas nicht stimmte. Ich glaube ich sagte ihr gerade heraus, dass ich vor ein paar Stunden erfahren hatte, dass mein 21-jähriger verletzter Sohn auf dem Rücktransport nach Deutschland gestorben war. Sie organisierte mir 2 freie Sitze in einer Fensterreihe, die sie eigentlich für die Crew reserviert hatte.

Sie blieb lange neben mir kniend, meine Hand haltend sitzen und erzählte mir von ihrem einzigen noch kleinen Kind und dass sie so oft denkt, was für ein Albtraum es sein müsse, ein Kind zu verlieren. Wie oft sollte ich den von mir inzwischen verhassten Satz noch hören müssen: „ein Kind zu verlieren ist das Schlimmste was einem passieren kann“.

Warum ich diesen Satz hasse? Weil er kein Trost ist. Er bestätigt nur, was man ohnehin weiß und was man nicht auch noch immer wieder hören will. Es fühlt sich für mich so an, als würde ich, obwohl ich bereits zerstört auf dem Boden liege, nochmal nachgetreten bekommen. Damals empfand ich das noch nicht so. Ich war ja erst am Anfang der schwersten Reise meines Lebens.

Ich erinnere mich, dass die Stewardess lange neben mir kniete, ihren Dienst vernachlässigte, aber dafür Verständnis von ihren Kollegen bekam. An bestimmte Gedanken oder konkrete Dinge erinnere ich mich nicht. Ich glaube, ich stand unter Schock und wünschte mir nur eins: so schnell wie möglich zu Frédérics Brüdern zu kommen.

Was waren deine ersten Gedanken?

Erst sehr viel später ließ ich Gedanken und Fragen zu: „Wie ist er wohl in dieser fliegenden Intensivstation gestorben? Haben ihn seine Begleiter würdevoll verabschiedet?“

Ich weiß nur eines, sie haben alles getan, um ihn zu retten. Sie wussten , dass sie die Verantwortung für ein so junges Leben hatten und haben sich sicherlich hundertprozentig für ihn eingesetzt.

Wie war die Zeit bis zur Bestattung für dich?

Die Tage nach meiner Ankunft in Berlin waren mit Organisation gefüllt. Zunächst hatten wir keine Ahnung, wohin Frédéric transportiert worden war. Der Heimatflughafen der Flugnotrettung war Nürnberg und der Pilot hatte nach Frédérics Versterben im Himmel von Kanada die Anordnung bekommen, nicht wie geplant in die Unfallklinik nach Berlin-Marzahn, sondern nach Hause zu fliegen. Über das, was dann passieren sollte wurden wir erst einmal nicht informiert.

Hast du dir die organisatorische Verantwortung geteilt?

Da ich mich fünf Jahre zuvor vom Vater von Frédéric getrennt hatte und mit ihm und seinen drei Brüdern ein recht eingespieltes Team geworden war, teilten wir uns die vielen anstehenden Aufgaben. Leider hatte ich im Frühjahr und im Sommer bereits zwei mir nahestehende Freundinnen beerdigt, sodass mir die Organisation der Beerdigung nicht so schwerfiel.

Frédéric, seine Brüder und auch wir, seine Eltern haben aus beruflichen Gründen einen sehr internationalen Bekannten- und Freundeskreis. Der Vater Frédérics widmete sich hauptsächlich der „Com“, saß stundenlang am Computer und kommunizierte mit seiner Familie, seinen Kollegen und Freunden. Meine Söhne mobilisierten den sehr großen und internationalen Freundeskreis Frédérics. Da ich gut in die Kirchengemeinde eingebunden war und ein freundschaftliches Verhältnis zum Priester hatte, organisierte ich mit Hilfe meiner Söhne eine kirchliche Trauerfeier, die dann hauptsächlich von Frédérics Brüdern und seinem Freundeskreis bestritten wurde, der Priester ließ sie netterweise alles sehr frei gestalten.

Erinnerst du dich an bestimmte Gefühle oder Gedanken dieser Zeit?

All das passiert, indem man sich in einem seltsamen „Trance-Zustand“ befindet, der einem erlaubt, ganz gut zu funktionieren und der einen auch erstmal von der Wucht der Gefühle verschont. Es wird immer betont, wie anders sich Männer und Frauen in akuter Trauer verhalten, dass Männer sich eher der Organisation und Frauen dem „Zwischenmenschlichen“ widmen. Meine Erfahrung ist auch, dass man sich gut absprechen muss, welche Personen einem „gut tun“.

Leider hat mein Ex-Mann seinen Cousin zu uns nachhause geholt, dessen oft zynische Art ich noch nie mochte und der dann ohne mein Einverständnis bei uns aufkreuzte. Das hat meine Gefühle sehr stark verletzt, was eher mit der Haltung meines Ex‘ als mit dem Menschen selbst zu tun hatte. Achtsamkeit und Rücksichtnahme sind in dieser dramatischen Situation sehr wichtig.

Es kam dann auch zu „verrückten“ Situationen – aus Verzweiflung und weil uns allen die Decke auf den Kopf fiel. Irgendwann habe ich mir den Cousin und einen Freund geschnappt und bin mit ihnen auf den Weihnachtsmarkt gegangen. Da standen wir dann vor dem etwas kitschig angeleuchtetem Schloss und haben Glühwein geschlürft. Dort, wo ich noch ein Jahr zuvor dasselbe mit meiner ein paar Monate zuvor verstorbenen Freundin getan hatte.

Gab es noch weitere, schwierige Situationen für dich?

Am nächsten Morgen rief mich ein Beamter der bayrischen Kripo an. Er dachte wohl, er telefoniere mit den Berliner Behörden. Er schrie mich im urbayrischen Akzent an, was er „denn mit der Leich don soll“ und ob wir nicht wüssten, dass die bayrischen Bestattungsverordnungen anders als in Berlin seien und dass er so schnell wie möglich “die Leiche“ loswerden wolle. Als ich ihm dann, völlig schockiert über Art und Ton, sagte, ich sei die betroffene trauernde Mutter, wurde er zwar etwas kleinlauter, aber nicht weniger bestimmt, dass man sich dringend um die Überführung kümmern müsse.

Auch hier waren wir wieder der Versicherungsgesellschaft ausgeliefert: sie bestimmte den Zeitpunkt der Überführung von Nürnberg nach Berlin, ausgerechnet die Strecke, die Frédéric so oft als Student zurückgelegt hatte. Oft mit Mitfahrgelegenheiten, d.h. mir unbekannten Fahrern bei jeder Jahreszeit und Witterung. Wie oft hatte ich schlaflos gelegen und gebangt und gebetet, dass er gut in Berlin ankommt. Nun fuhr sein lebloser Körper ausgerechnet diese Strecke das letzte Mal in seine Heimat und zu seiner letzten Ruhestätte. Diese Strecke wird für immer mit meinen Erinnerungen an diese Rückführung verbunden sein.

Selbst bei der Auswahl seines Sarges gab es mit der Versicherung noch Schwierigkeiten. Es ging um den Preis, der durch die Versicherung abgedeckt war. Gut, dass der Bestatter hier vermittelte und einiges Organisatorische übernommen hat. Der Bestatter war keine schlechte Wahl, aber doch etwas „traditionell“. Später habe ich Dinge erfahren, die in Deutschland möglich, aber nicht „Usus“ sind, die aber manchmal schon eben einen wichtigen Unterschied ausmachen.

Was hättest du an diesem Punkt gerne gewusst?

Uns wurde z.B. nicht gesagt, dass man die Lieben auch zuhause aufbahren und verabschieden kann. Es kann sein, dass das die komplizierten Umstände in unserem Fall es gar nicht zugelassen hätten, aber ich finde es trotzdem wichtig, es zu erwähnen. Unser Bestatter ist mit einem Unternehmen unter Vertrag, der eine Art „Aussegnungshalle“ in Berlin betreibt, dort fanden wir dann auch Frédéric. Wir wussten auch nicht, dass man seine Lieben auch selbst waschen und ankleiden kann. Auch das hätten wir wahrscheinlich nicht verkraftet – aber darüber informiert hat uns keiner.

Ich war froh, dass der Bestatter das Verabschieden am offenen Sarg organisiert hatte. Seit meiner frühen Jugend kenne ich Wichtigkeit der Trauer – und Verabschiedungsrituale. Das eigene Kind im Sarg liegen zu sehen ist eine Sache, aber kann ich es auch den jungen Brüdern und Freuden zutrauen? Ständig habe ich mich mit allem beschäftigt, sodass ich gar nicht recht zum Nachdenken kam, wie es mir eigentlich ging. Aber ich glaube das ist so ein Großfamilien-Mutterding, wir Mütter wollen es immer Allen Recht machen.

Meinen ältesten, geliebten Sohn im offenen Sarg zusehen, war natürlich ein Schock. Aber ich hatte ein großes Bedürfnis ihn zu berühren und zu küssen und die Kälte seiner Hände und Wangen waren unerträglich. Es war das ganz eindeutige und unwiderrufliche Zeichen, dass nur so direkt ins Herz geht, was der Verstand nicht wahrhaben will: er ist wirklich verstorben. Der nächste Gedanke war sofort: das ist nicht mehr er! Die Seele ist dem Körper entwichen, es ist nur noch seine Hülle, das wird einem nur so richtig klar.

Ich hatte in meinem Leben bereits ein paar Leichname gesehen, aber ich spürte in der „Aussegnungshalle“, zu der wir alle Menschen eingeladen hatten, die auch zur Beerdigung kommen wollten, dass es vor allem für die jungen Brüder und die jungen Freunde sehr starke Emotionen auslöste, ein erstes Mal so mit dem Tod konfrontiert zu werden. Auch diese Verantwortung spürte ich auf meinen Schultern, denn diesen Anblick werden diese jungen Menschen für den Rest ihres Lebens nicht mehr vergessen!

Da ich mich bis heute, mehr als 7 Jahre nach dem Tod Frédérics noch unermüdlich für die Enttabuisierung von Sterben und Tod in unserer Gesellschaft einsetze (weshalb ich mich auch hier beteilige) empfinde ich es richtig, dass auch junge Menschen und Kinder bei Beerdigungen dabei sind und lernen, „unerschrocken“ mit diesen Thema umzugehen. Ein erstes Mal ein Haustier zu begraben ist bestimmt leichter, als dann später die Großeltern und noch später die eigenen Eltern zu beerdigen. Und dass die Reihenfolge manchmal, und öfter als man denkt, nicht stimmt, gehört eben zum Leben auch dazu. Leben und Tod sind 2 Seiten derselben Medaille.

Der Tag der Bestattung – wie hast du ihn erlebt?

Der Tag der Beerdigung war immer noch stark von Organisation geprägt. Seine Brüder und Freunde haben für die Trauerfeier viel übernommen und ich bin ihnen bis heute noch unendlich dankbar. Sie haben Plakate gemalt und eine Fotoshow zusammengestellt. All das war natürlich für mich herzzerreißend, denn viele von den Fotos hatten sie aus ihren persönlichen Handys kopiert und ich hatte sie noch nie gesehen. Stumme Zeugen eines das Leben umarmenden jungen Mannes, der leben, lieben, entdecken und die Welt verändern wollte! Was für ein Drama!

Eine Säule in dem ganzen Trubel war für mich unser Priester. Er war ein sehr aufgeschlossener, moderner Pfarrer, kam aus der demokratischen Republik Congo und integrierte die von mir so geliebte afrikanische Kultur in die sonntäglichen katholischen Gottesdienste. Ich glaube und hoffe, Frédéric hat seine Trauerfeier genossen. Die Fotoshow war mit Hilfe seiner „Playlist“ musikalisch begleitet – also hat er sie auch ein bisschen „mitgestaltet“.

Was war am Tag der Bestattung besonders wichtig für dich?

Wie immer die Menschen, die kamen und uns begleiteten. In meinen zahlreichen Mails, die ich in die ganze Welt verschickte, war immer am Ende der einzige wichtigste Satz: „Ohne Euch, meine Freunde und Familie werde ich dies nicht schaffen.“

Gab es auch etwas, was dir nicht so gut in Erinnerung geblieben ist?

Bis heute ist die Beerdigung Frédérics und vor allem die dort Anwesenden so eine Art Sympathie-Barometer für mich. Obwohl so viele Menschen kamen, habe ich das Gefühl, ich habe mir hauptsächlich gemerkt, wer kam und wer nicht. Das erinnert mich im Nachhinein wie das Splitten des Freundeskreises nach meiner Scheidung: die zu meinem Ex, und die zu mir standen.

Ein großer Schock für mich: der Opa von Frédéric, mein Vater, kam nicht zu seiner Beerdigung. Ok, er war etwas gehbehindert, aber Frédéric war sein erster Enkel gewesen und es gab eine starke Verbindung zwischen den beiden. Wie konnte so etwas passieren? Ich habe keine plausible Erklärung. Seit der Beerdigung meines Sohnes ist alles eigentlich ganz einfach: ich liebe (fast) alle die, die kamen und ich verachte (fast) alle, die nicht kamen.

Wie ging es nach Trauerfeier und Beisetzung weiter?

Die Eckkneipe, in die wir nach der Beisetzung gingen, war hoffnungslos überfüllt und die dort Angestellten gaben sich die größte Mühe, die bei Schneeregen durchgefrorene Trauergemeinschaft zu bewirten und aufzuwärmen. Deshalb lade ich immer noch meistens zu Frédérics Gedenk- und Geburtstagen in diese Kneipe ein. Auch hier habe ich eine innige Verbindung mit fremden Menschen aufgebaut.

Wie waren die ersten Wochen und Monate nach der Bestattung?

Besonders ist mir in Erinnerung geblieben, dass meine beste Freundin mich ein paar Wochen später besucht und mich in der Nachbeben-Phase aufgefangen hat. Ich erinnere mich an heilsame Spaziergänge mit unserer Hündin und Gespräche über Frédéric und die Fragen über mein Weiterleben nach seinem Tod.

Durch die Tapferkeit meines jüngsten Sohnes motiviert, ging ich kurz nach der Beerdigung wieder zur Arbeit. Mir gab die Arbeit einerseits Struktur und andererseits auch die Ablenkung und Möglichkeit aus den ewigen Gedankenschleifen rauszukommen.

„Was habe ich falsch gemacht? was wäre passiert, wenn..? Wie hätte er gerettet werden können?“

Gab es etwas, das besonders schlimm für dich war?

Das schlimmste in den Wochen und Monaten danach war immer noch Post für Frédéric zu bekommen. Ein Unternehmen forderte Frédéric drei Mal schriftlich auf, die Schließung seines Kontos per Unterschrift zu bestätigen. Auch wenn der Antrag zur Schließung der Konten mit der Sterbeurkunde versehen und in die richtige Abteilung geschickt worden war, war dieser Fehler seitens des Unternehmens ein Speerstich direkt in mein Herz!

Was hast du unternommen, um mit deiner Trauer umzugehen?

Eine Freundin in Paris hatte vor Jahren auch ihren jugendlichen Sohn unter tragischen Umständen verloren. Wir hatten darüber gesprochen, dass sie seit Jahren in eine Trauergruppe geht. Also machte ich mich auf die Suche nach einer Trauergruppe, was nicht ganz einfach war. Zuerst fand ich eine „geschlossene“ Gruppe und verstand erst nicht, was das bedeutete. Es bedeutet eine Gruppe trauernder Eltern, die sich seit Jahren kennt und keine neuen Zugänge an Mitgliedern wünscht, schade!

Dank Internet und ein paar Telefonaten erhielt ich dann die Telefonnummer einer „offenen Trauergruppe“, wo ich erst einmal auf den Anrufbeantworter stieß. Erste Reaktion: „Keine Chance, dass ich einer unbekannten Stimme den Satz sage: ‚Ich rufe an, denn mein Sohn ist tot‘“. Ich habe es dann geübt. Nach ein paar Versuchen habe ich es auch geschafft. Gerade solche banal anmutenden Situationen, können in diesem akuten Trauerzustand so schwer sein.

Der Rückruf kam in einem Moment, als ich im Büro war und mich mit meinem Handy schnell in den leeren Druckerraum verzog. Eine emphatische, ruhige Stimme erklärte mir das Prozedere und fragte nach den Details: Alter, Art des Versterbens, ob Geschwister da sind. Jeden ersten Freitag im Monat träfe sich diese offene Gruppe. Es gäbe eine Elterngruppe und auch eine Geschwistergruppe. Beim ersten Treffen sprach ich nicht viel, kämpfte ständig mit den Tränen und sah die Teilnehmenden wie durch einen Nebelvorhang. Das Wichtigste, das mir auffiel: sie haben alle dasselbe durchgemacht und leben noch und es wurde sogar recht oft gelacht während dieser ersten Sitzung, aber genauso wurde auch geweint. Ich spürte sofort eine tiefe Verbundenheit mit diesen ganz fremden Menschen.

Jetzt nach all den Jahren, wenn meine Freunde oder Familie mich fragen, ob und weshalb ich denn nach so langer Zeit immer noch in die Trauergruppe gehe, antworte ich genau das: weil ich akut Trauernden mit meiner Anwesenheit, meinen Geschichten aus dem Alltag, aber auch durch meine Erkenntnisse und Gedanken signalisieren möchte, dass man weiterleben kann, dass man sich zurück kämpfen kann ins Leben und wichtig, dass man auch wieder Lachen kann!

Aus Mitgliedern der offenen Trauergruppe entstand eine Gruppe, die sich zunächst nach dem Gruppentermin zu einem Bierchen oder einem Glas Wein in der Nähe zusammensetzte, und die dann begann, sich außerhalb der Gruppentermine privat zu treffen. Diese Gruppe lud mich nach ein paar Treffen ein dazuzukommen und so wurde sie meine geliebte „Trauermamas -Gruppe“ und auf nichts in der Welt möchte ich sie missen! Wir treffen uns regelmäßig zu unterschiedlichen Aktivitäten und sind vor allem auch elektronisch verbunden und helfen uns gegenseitig durch komplizierte Alltagssituationen in Verbindung mit unserer Trauer. Oft auch mit viel Humor und Witz, immer, um unserer Trauer gemeinsam zu begegnen.

Half dir neben der Trauergruppe noch etwas?

Was mir half: Lesen, Schreiben und Rituale. Im Juni 2019 stieß ich bei Facebook auf einen Aufruf einer anderen Trauergruppe, die bereits drei Bücher zum Thema Trauer veröffentlicht hatte und nun ein viertes veröffentlichen wollte mit Erfahrungsberichten zur „Veränderung der Trauer nach längerer Trauerzeit“. Ich bewarb mich, denn ich wollte anderen Trauenden vermitteln was zu meiner Trauerveränderung beigetragen hat und was geholfen hat, mit der Trauer zu leben, nach mehr als fünf Jahren.

Welche Rituale hattest du neben dem Lesen und Schreiben?

Ich erwähnte, dass ich regelmäßig in die Kirche ging und gehe. Abgesehen von unserem sympathischen Priester, ist die Kirche der einzige öffentliche Ort, wo wir jeden Sonntag „unseren verstorbenen Brüdern und Schwester“ gedenken. In meiner akuten Trauerzeit achtete ich oft nicht wirklich auf Predigt oder Gebete, aber ich wartete sehnsüchtig auf diesen einen Satz und spürte mit den mir in der Kirche sitzenden Menschen eine tiefe Verbundenheit.

Wir denken alle im selben Augenblick an unsere verstorbenen Liebsten und ich stellte mir immer vor, dass in diesem Moment alle auf uns herabschauen uns sich freuen, weil wir so innig bei ihnen sind und an sie denken. Auch kann man in katholischen Kirchen überall auf der Welt Kerzen anzünden und beten, auch das tat und tue ich natürlich auch jeden Sonntag und tue es auch, wenn ich verreise und an einer Kirche vorbeikomme. Dasselbe gilt natürlich für meine wöchentlichen Gänge auf den Friedhof, mit Hündin oder Freunden.

Frédéric starb an einem 1. Dezember. Seit März 2015, ein Tag an dem ich mich besonders einsam fühlte, begann ich an dem Tag ein weiteres Ritual: meine Familie und Freunde bekommen jeden ersten des Monats eine Mail mit dem Titel „remember Frédéric every 1st of the month“, in der ich eine kleine Weisheit, Erkenntnis, Erlebnis des vergangenen Monats in seinem Gedenke verschicke.

Warum sind Rituale so wichtig für dich?

In meinem Leben, das sich trotz allem auch oft wie ein Hamsterrad anfühlt, sind diese Rituale eine wunderbare spirituelle „Bremse“, ein „Anhalten aller Uhren“ währen dessen ich mich ganz meinem geliebten Frédéric, aber auch anderer Verstorbener widme. Es ist mein Dialog mit dem Jenseits und immer auch der Versuch, durch Stille und Einkehr Kontakt aufzunehmen. Meine Rituale sind wunderbare Momente und Quellen von tiefer Spiritualität und eine sinnreiche Zwiesprache mit der „anderen Welt“.

Wie schaust du heute auf alles zurück?

Die Trauer ist natürlich nicht verschwunden. Es ist genauso wie es gesagt wird: wir trauernden Eltern und Geschwister (und auch andere Nahestehende) haben “lebenslänglich“ bekommen. Aber man wächst auch mit der Trauer, weil wir alle diese besondere, wenn auch sehr schmerzhafte Erfahrung machen (von der keiner sagen kann, ob sie ihren Preis wert ist).

Wir haben an Tiefgang gewonnen. Wir können nicht mehr oberflächlich sein, nur noch wahre Gefühle zählen, wahre Freunde, ehrliche, authentische Beziehungen. Es liegt aber auch viel Einsamkeit in der Trauer, eben aus dem Grund, weil jeder Mensch anders trauert.

Ich habe in meinen Ritualen Halt gefunden und die Erkenntnis, dass die Momente außerhalb dieser Rituale wieder lebenswert sind, aber eben nur deshalb, weil ich weiß, dass ich mich in diesen Ritualen mit Frédéric verbinde, ihm meine Zeit schenke und meine Liebe sende. Außerhalb der Rituale widme ich mich seinen Brüdern und meinem Leben. Die Liebe zu meinen Kindern ist natürlich konstant und immer da – aber gesehen und gespürt wird ja Liebe erst dann, wenn man sie nach Außen bringt: Für Frédéric sind es die Momente der Rituale und mit seinen lebenden Brüdern sind es die Momente der Treffen, des Zusammenseins, sich gegenseitig unterstützen und auch die Rituale gemeinsam zu leben.

Wie hat sich dein Leben noch verändert?

Ich habe meine berufliche Ausrichtung als Coachin für Karriere und Persönlichkeitsentwicklung darauf ausgerichtet, Führungskräfte, die Personalverantwortung haben, darauf zu sensibilisieren, was es bedeutet, wenn Trauernde an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Ich möchte in die (Arbeits-)Welt schreien, dass Trauer weder Krankheit, Depression oder Psychose ist, sondern eben etwas Drittes. Etwas ganz Besonderes. Woran man wächst, wenn man sie zulässt.

Was würdest du jemandem raten, der eine ähnliche Situation durchlebt?

Es gibt keine Ratschläge für Trauernde. Allerdings hoffe ich, dass ich ein paar Wegweiser hier aufgestellt habe, die aus den Erfahrungen und auf meinem Weg durch die Trauer entstanden sind. Dieser Weg ist (hoffentlich) noch lange nicht zu Ende.

Wir nehmen dich nach deinem Verlust an die Hand

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